Rezension von Benoîte Groults "Irischem Tagebuch"

Vom Fischen und von der Liebe

Fast dreißig Jahre hat es gedauert, bis aus dem Nachlass von Benoîte Groult, ediert von einer ihrer drei Töchter, etwas herauskam, das ebenso interessant ist und wie eine Ergänzung von "Salz auf unserer Haut" wirkt. Jüngere kennen das damalige Werk der Bestsellerautorin vermutlich nicht, aber der Aufschrei damals, 1988 erst in Frankreich, 1989 in Deutschland, war riesengroß. Als sexistisch, feministisch, pornografisch wurde das Buch klassifiziert, hatte doch eine Frau mal über Sex und Gefühle geschrieben, was vornehmlich den Männern zugebilligt wurde – die dann natürlich von der Sicht der Männer über die Frauen und deren Sexabenteuer handelten, so als ob nur denen die wahre Sicht vorbehalten war.

Wichtig für die Frauenbewegung wie für die Literatur waren ihre Bücher allemal, und wenn man jüngere Schriftstellerinnen befragt, wer ihre eigene Literatur geprägt habe, nennen die meiste von ihnen Benoîte Groult.

Der Hype – damals gab es das Wort noch nicht – um das Buch "Salz auf unserer Haut" hat mich nie interessiert, im Gegenteil, wenn ich davon Wind bekommen hätte, hätte ich mich verweigert, denn ich wollte selbst Stellung zu den Büchern beziehen, wenn ich sie las. Ein erhobener Zeigefinger mit der Aufforderung: "Das musst du aber lesen!", hätte mich gebremst.

Beispielbild

So saß ich nun, 1989 war das, das Buch war gerade in deutscher Sprache erschienen, auf dem Sofa in dem riesigen Wohnzimmer in Hyeres, das an einen großen Felsen angebaut war, sodass es eins war mit dem Felsen, und interviewte Benoîte Groult zu ihrem Buch – mehr schlecht als recht, denn der viel ältere Mann, der ebenfalls im Wohnzimmer rumwuselte und den sie mir später als ihren Mann vorstellte, störte mich ein wenig bei meinen Fragen. Zudem war ich noch völlig verstört von einem Vorfall zehn Minuten zuvor, weil in dem Augenblick, in dem ich bei ihrem Haus vorbeifuhr, um einen Parkplatz zu suchen, ein Arbeiter auf der gegenüberliegenden Seite vom Gerüst eine Spitzhacke verlor – und die knallte auf das Auto, das ich in Toulon am Flughafen gemietet hatte, zum Glück hatte das nur Folgen für das Auto, nicht für mich. Aber schon deswegen ist mir der Besuch vor dreißig Jahren sehr in Erinnerung geblieben.

Paul Guimard, der Mann im Zimmer, auch er ein bekannter Schriftsteller und Literaturwissenschaftler, aber vor allem ein Protagonist in dem Roman, also ein Betroffener wie auch Beschriebener, in Frankreich genauso bekannt wie sie. Wenn ich jetzt in ihrem Nachlass, dem Irischen Tagebuch ("Vom Fischen und der Liebe", Ullstein 2019), von den Verhaltensweisen miteinander erfahre, wird mir klar, dass ihn das Interview natürlich interessierte.

Ich weiß nicht mehr so genau, was ich fragte, auch ihre Antworten sind mir entfallen, nur, dass ich nicht gerade einfühlsam nach dem Verhältnis von Fiktion und Wirklichkeit in dem Buch fragte – und der Mann hört dabei zu.

In Liebesdingen bin ich lange – sehr lange – eine Anfängerin geblieben. Manches habe ich zu spät erkannt, als der Schaden bereits angerichtet war, und glaubte dennoch, ich könnte das Wesentliche retten. Ich wollte mich großherzig zeigen, verständnisvoll, wenn auch nicht einsichtig. Ich erhob keine dramatischen Forderungen, drohte nicht, bettelte nicht. Vertraute eher auf die Vernunft als auf das Gefühl. Und das war ein verhängnisvoller Fehler, mein Fehler als junge Liebende.

Als Benoîte Groult das 1986 in ihr Tagebuch schrieb, stand sie kurz vor dem Abschluss von "Salz auf unserer Haut", ihre Stimmungen wechselten ständig zwischen den Gefühlen für beide Männer, Paul Guimard und Kurt, einem amerikanischen Piloten, den sie 1945 kennengelernt und in den sechziger Jahren wiedergefunden hatte. Im Roman kommt er als bretonischer Fischer namens Gauvain vor, der oft nach Irland kam und natürlich auch in die anderen Häuser von Benoîte und Paul, während Pauls Abwesenheit, aber mit dessen Einverständnis. "Sartre und Beauvoir lassen grüßen".

Vier Häuser hatten sie insgesamt, nach Irland zogen sie, weil ihre Schwester Flora, mit der sie früher einige Bücher zusammen verfasst hatte, in zweiter Ehe mit Bernard Ledwige verheiratet war, halb Engländer, halb Ire, außerdem Diplomat und Schriftsteller – und der natürlich von seinem Heimatland Irland schwärmte. Sie hatten sich verliebt in Irland, in dem "stets ein Unwetter heraufzieht", sie liebten den Regen, die Feuchtigkeit. Viele ihrer berühmten Freunde, Francois Mitterand, die Badinters und andere besuchten sie dort.

Paul und Benoîte waren nicht nur Schriftsteller, sondern auch Fischer. Im Irischen Tagebuch wimmelt es von der Vielzahl der Fänge im Meer, akribisch genau notiert – ein wenig nervig dann ob der Vielzahl, aber tagtäglich wurde ein Festmahl durch Benoîtes Kochkünste zelebriert, das hat seinen Stellenwert – nicht umsonst trägt das Tagebuch den Obertitel "Vom Fischen und von der Liebe", im Französischen wie im Deutschen.

Wie hart das Leben hier ist! Gestern ganztägig bewölkt. Trotzdem haben wir unsere fünf Reusen ausgelegt und genug gefangen, um diese zu beködern. Wir waren allein auf dem Meer, zwei Greise, gerüstet mit Ölzeug, Südwester und Matrosenjacke.

Nachts kommen mir die Dinge so trostlos vor. Man könnte auch sagen: So, wie sie ab einem bestimmten Alter nun mal sind. Morgens empfinde ich dann wieder diese kopflose, körperliche Lust zu leben. Und bin so verrückt, Pläne zu schmieden. Als gäbe es keinen Tod.

Sechsundzwanzig Jahre lang hat Benoîte Groult akribisch alles aufgeschrieben, was ihr wichtig in Irland im Sommer vorkam, die Fänge ebenso wie ihre eigenen Gewohnheiten, mit den jeweiligen Männern umzugehen. Dazu kommen neben den vielen Zweifeln auch die Beobachtungen des Körpers, bzw. der Körper und die Angst vor dem Alter immer häufiger zum Ausdruck.

Während ich mit Paul immer auf unsicherem Gelände gelebt habe, bewege ich mich jetzt zwischen zwei Gewissheiten: seiner Liebe und der Liebe von Kurt. Erstere kann ich nicht mehr uneingeschränkt genießen. Das vergangene Glück lässt sich nicht mehr heraufbeschwören. Letztere lässt sich nicht mehr heraufbeschwören, dafür aber so intensiv, dass diese Liebe mich voll und ganz erfüllt und die restliche Zeit erhellt. Was für eine erstaunliche Situation: mit neunundfünfzig erfahre ich mehr Liebe als mit vierzig.

Sie litt zunehmend an Alzheimer – und spürte das. Bei den Männern sah sie immer mehr die vielen, verschiedenen modischen wie unmöglichen Kleidungen als Alarmsignale für Verfall der Körperhygiene – sie war wehrlos dagegen. Und sich selbst beobachtete sie aber auch sehr genau, spürte die täglichen Veränderungen, haderte mit ihnen.

Es ist sehr interessant, beide Bücher noch einmal zu lesen. Man erfährt vieles, was dokumentiert wurde – und was fiktional aufbereitet wurde. Dass der Liebhaber sich strikt weigerte, Französisch zu lernen oder der Ehemann acu die Liebesbriefe seines 'Konkurrenten' las. Und das Vorwort zu "Vom Fischen und von der Liebe" von Blandine de Caunes, einer der Töchter, ist sehr wegweisend, wie auch das Nachwort zu der Neuausgabe von "Salz auf unserer Haut" von Antonia Baum ergeben interessante Nuancen zu dem Konzept des Lebens von Benoîte Groult und ihren Liebhabern.