Von Schwulen, Lesben und Kardinälen

STEISSLINGEN. (hpd) Gerade zieht das vollschlanke Gesicht eines Kardinals durch die Medien. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Reinhard Marx (München) hat die einstimmig verabschiedete Erklärung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken "Zwischen Lehre und Lebenswelt Brücken bauen – Familie und Kirche in der Welt von heute" öffentlich gerügt. Denn das Komitee, das offenbar noch Menschennähe und Mitmenschlichkeit kennt, hat gefordert, was "theologisch so nicht akzeptabel" sein soll. Daher muss es ein Kardinal zurechtweisen. Ordnung muss in der Kirche sein, gerade wenn sie unter aller Augen zusammenbricht.

Die Forderung nach einer Segnung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften sei "mit Lehre und Tradition der Kirche nicht vereinbar", meint Deutschlands oberster Oberhirte. Und auch die Forderung "nach einer 'vorbehaltlosen Akzeptanz' des Zusammenlebens in festen gleichgeschlechtlichen Partnerschaften" widerspreche der Lehre und Tradition der Kirche.

Das vorbehaltlose, wahrscheinlich mit dem Vatikan abgestimmte Urteil eines Kardinals. Dieser spricht zudem abschätzig von einer "vorschnellen, plakativen Forderung", die weder "eine sicher notwendige theologische Debatte" noch einen "innerkirchlichen Dialog" fördere.

Vorschnell? Die Einschätzung des Kardinals will die Geschwindigkeit der Diskussion bestimmen. Doch wie wir die Oberhirten kennen, ist ein Prozess, wie er diesen ins Konzept passt, an Langsamkeit nicht zu übertreffen. Das Problem wird einfach vor sich hergeschoben. Wie oft und wie bewusst haben die Hirten dabei Gedächtnisverluste ihrer Herde einkalkuliert?

Plakativ? Abwertender geht es nicht. Mit dieser Totschlagvokabel ist das Anliegen erledigt. Inwieweit oberhirtliche Äußerungen plakative Züge tragen, will ich gar nicht fragen. Scheinprobleme der Theologie lassen sich nun einmal am leichtesten mit plakativen Stellungnahmen lösen. So speisen Satte andere Satte ab – und Betroffene bleiben hungrig.

Eine theologische Debatte? Hat die überhaupt eine Chance, nachdem der Kardinal bereits ein Endurteil gesprochen hat? Die Forderung soll ja "der Lehre und der Tradition der Kirche" widersprechen. Was gibt es da noch zu diskutieren? Und der innerkirchliche Dialog? Hat es den je gegeben oder lief er ausnahmslos auf den Monolog von Oberhirten hinaus, die sich das letzte Wort reservierten? Schließlich verstehen Bischöfe sich als "gottgegeistet", ein Zentralkomitee voller "Laien" steht da weit beiseite.

Lehre und Tradition? Hat sich Jesus von Nazaret, der angebliche Stifter der Kirche, je zur Homosexualität geäußert? Spricht sein Schweigen nicht für die Annahme, dass er das gesamte Thema für unwichtig gehalten hat? Warum müssen dann die Oberhirten stets nachbessern und schwatzen, schwätzen? Bedienen sie etwa eine lehramtseigene Obsession? Im Übrigen: Findet sich keine Tradition, die Jesus selbst zum schwulen Freund eines Lieblingsjüngers machte? Und gab es niemals homosexuelle Päpste und Kardinäle? Auch eine Tradition dieser Kirche?

Ohne jedes Fragezeichen kann freilich über eine unbeirrt feststehende Tradition gesprochen werden: die der erbarmungslosen Ausgrenzung aller, die nicht ins offizielle Bild passten und passen. Gerade die so genannte Nächstenliebe kam und kommt, wie historisch und aktuell erwiesen, nicht ohne Diskriminierung aus. Noch immer werden wiederverheiratete Geschiedene menschenverachtend beurteilt. Ähnlich ergeht es Homosexuellen, verheirateten Priestern, in “wilder Ehe” Lebenden, Frauen, die Geburten kontrollieren oder ihre Schwangerschaft abbrechen, Müttern mit nichtehelichen Kindern und, und …

Die traditionelle Ausgrenzung von Mitmenschen.In dieser tristen Angelegenheit wären eine theologische Debatte und ein innerkirchlicher Dialog überfällig, Herr Kardinal.

Nächstenliebe? Solidarität? Ich bin weder schwul noch Kardinal. Doch fällt es mir ungleich leichter, Schwule und Lesben zu lieben als Kardinäle.