Der umstrittene Hostien-Vorfall in Polen

Nightmare in Bełchatów

In Polen gab es in einer Kirche einen umstrittenen Vorfall Rund um eine Hostie und einen 13-jährigen Jungen, sogar die Polizei war involviert. Was ist wirklich vorgefallen, wie sind die Hintergründe und die Reaktionen? Der hpd hat versucht, der Sache auf den Grund zu gehen.

Die polnischen Medien berichten seit Anfang November: In Bełchatów, etwa 50 Kilometer südlich von Łódź gelegen, riefen Geistliche am 28. Oktober die Polizei: Sie hatten einen 13-Jährigen in der Kirche festgehalten und befragt, weil er während der Kommunion eine geweihte Hostie aus seinem Mund genommen und sich in die Tasche gesteckt hatte. Anschließend soll er sich geweigert haben, sie herauszurücken. Auf die Frage, weshalb er sie nicht verschluckt habe, gab er an, Zahnschmerzen zu haben. Er soll geweint und mehrfach versucht haben, aus der Kirche zu entkommen. Nachdem die Polizei eingetroffen war und schließlich auch die Mutter, habe der Junge die Hostie schließlich zu sich genommen.

Heftige Empörung – auf allen Seiten

"Schockierend" titeln Zeitungen. Es werden Rufe nach Strafverfolgung der Priester laut, da sie "das verängstigte Kind" "isoliert", "gefangen genommen" und mit "Fragen über sein Privatleben" gepeinigt und "mit Polizei gedroht" hätten. Die Polizei wird ebenfalls kritisiert, da "sie das Kind nicht befreiten, sondern ebenfalls begannen, den Jungen zu befragen. Sie taten es ohne die Anwesenheit eines Psychologen oder der Eltern, und verstießen damit gegen das Gesetz." Die Organisation Zentrum zur Überwachung rassistischen und fremdenfeindlichen Verhaltens (Ośrodek Monitorowania Zachowań Rasistowskich i Ksenofobicznych) sammelt bereits Spenden, um die Klagen zu finanzieren.

Bürger zeigen sich in den sozialen Medien besorgt über den Wahn der Kirche und ihre Macht im Staat. Eine Aktivistin in Bełchatów sagt: "Aber solange ich denken kann, ist die Kirche in Bełchatów an der Macht (...). Selbst diejenigen, die nicht alles mögen, sind ruhig. Sie protestieren nicht, weil ein Familienmitglied seinen Arbeitsplatz in einer Mine oder einem Kraftwerk verlieren kann. Sie haben sogar Angst, ein Kind aus der Religion zu nehmen oder einen Priester (...) nicht anzunehmen, obwohl sie Ungläubige sind." Nicht zuletzt die Mutter des Jungen gehört wohl dazu: Sie sieht keine Veranlassung für eine Strafverfolgung.

Doch auch innerhalb des Klerus brennt eine Debatte darüber, ob es nun übertrieben war, die Polizei zu rufen. Zum einen schade man dem Bild der Kirche. Zum anderen hätte man vielleicht über die Eltern Zugang zu dem Jungen finden können. Außerdem hätte man ihn nicht überreden müssen, die Hostie zu sich zu nehmen, um sie zu retten, man hätte sie ja zum Beispiel dem Jungen abnehmen und dann in Wasser auflösen können. Andere fragen verzweifelt, was denn ein Priester in so einer Situation sonst hätte tun sollen? Und obendrein sorgt man sich auch um das Wohl des Jungen, der sich mit so einer Tat schade.

Gleichzeitig badet man sich in der Opferrolle: "Übrigens ist es interessant, wie (reagiert werden würde), wenn ein 13-Jähriger gestoppt würde, während er Schweinefleisch aus einer Dose bei der Moschee streut oder etwas an die Synagogenwand schreibt. Die Darstellung wäre ganz anders gewesen ..." Außerdem dürfe Priestern keine Angst eingeredet werden, gegen die Angriffe auf ihre Kirche vorzugehen, wie gegen jemanden, der "auf ihre Veranda pisst". Die Zeitungen betrieben antiklerikale Hetze.

Doch die Geistlichen hatten eben kein Problem, sich über die Maßen zu wehren. Sie haben polizeiliche Hilfe geholt, da sie "Angst vor der Entweihung der Kommunion hatten. Wir haben eine bestimmte Zeit, wir sind kurz vor Allerheiligen. Der 31. Oktober ist Halloween, und es kommt oft vor, dass Gruppen von Menschen angeheuert werden, um Hostien zu stehlen, und es kommt zu einer Schändung bei schwarzen Messen".

Tatsächlich ist nicht klar, warum der Junge an einem gewöhnlichen Montag in der Kirche war und an der regulären Kommunion teilnahm. Es war weder die feierliche Erstkommunion, denn die empfangen Kinder in Polen mit spätestens 10 Jahren. Unklar ist auch, warum er die Hostie nicht essen, sondern mitnehmen wollte. Zahnschmerzen sind tatsächlich eine dürftige Ausrede – für ein kleines Stück Papiergebäck.

Karte von Polen
Bełchatów liegt etwa 50 Kilometer südlich von Łódź (Bild: Robert Fotograf via Pixabay / Pixabay License)

Ein befreundeter Geistlicher aus Łódź, Przemysław Szewczyk, fasst die Stimmung treffend zusammen: "Wir bestreiten eine öffentliche Debatte auf der Grundlage der Stereotypen, die wir in unseren Köpfen haben. Einige Leute sehen einen satanischen Jungen. Andere Leute sehen den autoritären Priester, der den unschuldigen Jungen ins Gefängnis bringen will. In der Tat wissen wir nicht, was genau passiert ist."

Vom Corpus Jesu zum Corpus Delicti – die Hostienschändung

Für den gläubigen Katholiken wandelt sich die gemeine Backoblate während der Zeremonie zum Leib Jesu. Dieses Stück Leib wird dem Gläubigen auf die Zunge gelegt oder in die Hand gegeben, er verspeist sie, nimmt sie also auf, um seine Aufnahme in die Gemeinschaft zu vollenden. Innerhalb des katholischen Mythos ist die Angst verständlicherweise ernst, dass dieser "Leib des Herrn" geschändet werden könnte.

Die Frage ist natürlich, inwieweit diese religiöse Vorstellung vom Gesetz geschützt werden sollte. Und um genau diese Frage drehen sich letzten Endes die Debatten im Land. Vielen ist diese wichtige Abgrenzung jedoch nicht bewusst: So sagte etwa Piotr Wysocki, Leiter eines rechtskonservativen Debattierclubs in Bełchatów: "Der religiöse Staat? Bitte machen Sie keine Witze. Es war unmöglich, sich anders zu verhalten. Die Schändung der Hostie ist eine sehr ernste Angelegenheit in unserer katholischen Welt."

Während die einen ob des Missbrauchsskandals und des ständigen Bevormundens durch die Kirche verzweifelt nach Säkularität rufen, ist bei den anderen dieses Konzept noch nicht einmal im Bereich des Denkbaren angekommen: Dass katholische Vorstellungen tatsächlich nicht das Recht haben, als Wahrheit zu gelten, staatlich etabliert und verteidigt zu werden. 

Artikel 196: Beleidigung religiöser Gefühle anderer Menschen

Kein Wunder, wenn Gotteslästerungsparagraphen das (entstehende) säkulare Verständnis gleich wieder ins Wanken bringen. Artikel 196 des polnischen Strafgesetzbuches wurde 1997 verabschiedet: "Wer die religiösen Gefühle anderer Personen verletzt, indem er das Objekt der Religionsausübung oder den für die öffentliche Ausführung religiöser Riten vorgesehenen Ort öffentlich beleidigt, wird mit einer Geldstrafe, der Strafe der Freiheitsbeschränkung oder der Strafe des Freiheitsentzuges von bis zu zwei Jahren belegt." 

Im Jahr 2012 wurde im Parlament ein Antrag auf Abschaffung dieses Artikels abgelehnt. Es ist jedoch keineswegs so, dass sich die laut Wikipedia zu 87 Prozent katholischen Polen in Fragen der Verknüpfung von Staat und Kirche einig sind. Der Paragraph wird wieder heftig diskutiert. Die Linie zieht sich wohl zwischen dem linken oder liberal progressiven Milieu und den konservativen, derzeit noch stärkeren Kräften im Land, die neuerdings sogar das Beleidigen nationaler Gefühle gesetzlich regeln.

Zu Begebenheiten wie denen in Bełchatów wird der Ton auf beiden Seiten wieder schärfer. In einer Demokratie können hitzige Debatten ein Zeichen für Lebendigkeit sein, und nicht zuletzt entsteht daraus der Wandel. Und so stoße ich mit einem Glas profanem Wein auf unser Nachbarland an: Was sich soll klären, das muss erst gären.