"Apostasiezähler" dokumentiert Kirchenaustritte in Polen

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Stanisław Gądecki, Erzbischof von Posen
Stanisław Gądecki

Immer mehr Menschen in Polen kehren der katholischen Kirche den Rücken. Teils aus Protest gegen auch dort schwelende Missbrauchsvorwürfe, teils aus Solidarität mit den seit Monaten andauernden Protesten gegen die Aushöhlung der Rechte von Frauen und LGBTQI+. Anders als in Deutschland zählt jedoch niemand offiziell mit, wie viele Menschen jährlich austreten. Um die Apostat:innen sichtbar zu machen, haben drei linke Politiker:innen daher einen digitalen "Apostasiezähler" eingerichtet.

2.229 Pol:innen haben sich bis zum 14. März auf "licznikapostazji" zu ihrem Kirchenaustritt bekannt. Auch das Jahr der Apostasie gaben die meisten an. Die Website wurde Anfang Dezember 2020 gelaunchet.

Die drei linken Politiker:innen Agata Diduszko-Zyglewska, Joanna Scheuring-Wielgus und Robert Biedron hatten den "Apostasiezähler" ins Leben gerufen, da die katholische Kirche Polens sich beharrlich weigert, Austrittszahlen zu veröffentlichen. In der Tat hat sie dies nur ein einziges Mal getan, nämlich 2012. Domradio.de zufolge traten im Jahr 2010 "offiziell" 459 Menschen aus. Während Diduszko-Zyglewska und Biedron die Liste anführen, taucht Scheuring-Wielgus darauf nicht auf. Sie sei weiterhin in der Kirche, so domradio.de.

Die Initiative kritisiert, dass die Kirche ihre Repräsentanz der polnischen Frauen durch die Zahl der Getauften legitimiere, nicht durch die Zahl derjenigen Frauen, die aktiv am kirchlichen Leben teilnehmen. Das seien licznikapostazji zufolge weniger als 30 Prozent.

Doch ein Kirchenaustritt verläuft in Polen komplizierter als vergleichsweise in Deutschland. Statt dem Amtsweg beschreitet man einen Gang zum Altar, das Austrittsgesuch nimmt der örtliche Priester entgegen. Bis das Verfahren im Jahr 2016 vereinfacht wurde, war es außerdem notwendig, sich mehrfach mit dem Priester zu beraten und sogar Zeug:innen zum Austritt mitzubringen.

Da das Prozedere noch immer undurchsichtig und nervenaufreibend ist, gibt es Websites wie apostazja.eu. Krzysztof Gwizdała, der die Seite betreibt, berät Menschen zum Thema Kirchenaustritt und unterstützt sie bei den notwendigen Formalitäten. 80 Prozent der Anfragen kämen von Frauen, so Gwizdała.

Da eine schriftliche Absichtserklärung eingereicht werden muss, weiß die katholische Kirche in etwa, warum sich die Menschen von ihr abwenden. Als eine Art Antwort auf die Austrittswelle kann daher der diesjährige Hirtenbrief des Vorsitzenden der Polnischen Bischofskonferenz, Stanisław Gądecki, betrachtet werden.

Einsicht ist darin allerdings keine zu finden. Stattdessen entgegnet Gądecki den Menschen, die sich durch die Taufe im Kindesalter in die Kirche gezwungen fühlen, dass diese Mitgliedschaft für eine moralische Bildung unerlässlich sei. Man würde ja auch nicht erst nach der Volljährigkeit mit der Schulbildung beginnen, so der Hirtenbrief.

Denjenigen, die sich vom Verhalten der Kirche abgestoßen fühlen, wirft der Erzbischof derweil vor, oft selbst keine christliche Moral zu vertreten. Gądecki liefert hier ein Paradebeispiel für einen Whataboutism, während er versucht, das katholische Wertesystem als absolut darzustellen. In dieses Horn blies auch Jarosław Kaczyński, Chef der regierenden Partei PiS, als Antwort auf die immensen Proteste im letzten Oktober. Das katholische Wertesystem sei das einzige, das Polen kenne, sagte Kaczyński.

Mit dieser Strategie wird sich die Dynamik nur weiter anheizen. Dass das Interesse an Kirchenaustritten ungebrochen ist, zeigt ein Blick auf die Suchstatistik Googles zum Begriff "apostazja".

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