Der Ausbruch der Corona-Pandemie und der zu ihrer Eindämmung vorgenommene Lockdown sowie die Kontaktbeschränkungen zwangen viele Menschen zum Arbeiten zu Hause. Ein längst überfälliger Test, der erst durch eine weltweit wütende Viruserkrankung möglich wurde. Die Heimarbeit bietet Vorteile für Mensch und Umwelt und sollte nach Möglichkeit beibehalten werden.
Für extrovertierte Menschen ist die Corona-Krise eine Zumutung. Für Introvertierte dürfte sie dagegen Vorteile haben. Beispiel Arbeitsumfeld: Die einen brauchen den täglichen Plausch mit den Kollegen an der Kaffeemaschine, die anderen konnten im Großraumbüro noch nie gut arbeiten, weil sie Stille für ihre Konzentration brauchen. Wer den Kontakt mit vielen Menschen – die man sich zudem nicht ausgesucht hat – nicht als Bereicherung, sondern tendenziell als Belastung empfindet, dem dürfte die Pandemie in diesem Bereich eine Erleichterung verschafft haben. "Früher habe ich jedes Problem der Kollegen mitbekommen, dazu kam die Sorge vor dem nächsten Wutanfall des Chefs. Man ist ständig gezwungen, seine Aufmerksamkeit auf Dinge zu richten, die einen gar nicht betreffen", berichtet eine ehemalige Angestellte aus dem kreativen Bereich, die sich mittlerweile selbstständig gemacht hat und von zu Hause aus arbeitet, von ihren früheren Erfahrungen. "Der Büroklatsch hinterlässt oft eine negative Stimmung, die einen belastet. Ich brauche für meine Arbeit aber eine gute Stimmung und einen freien Kopf. Und Besprechungen klappen auch gut am Telefon."
Sperrte sich so mancher Arbeitgeber bis vor dem Ausbruch von Covid-19 gegen Heimarbeit, waren und sind diese jetzt zum großangelegten Praxistest gezwungen. Und viele dürften positiv überrascht sein, denn: Oh Wunder, nur, weil jemand im Büro keine Präsenz zeigt, heißt das nicht, dass er zu Hause den ganzen Tag nur Katzenvideos guckt. Auch wenn es dem Kontrollbedürfnis mancher Chefs zuwiderläuft (frei nach dem Motto: "Ich seh den nicht, der macht bestimmt nix"): Im trauten Heim kann man ganz prima arbeiten und nebenbei statt Raucherpause auch mal die Spülmaschine ausräumen, um den Kopf zu entlasten. Das kann dem allgemeinen Alltags-Überforderungsgefühl kolossal entgegenwirken. Wir alle kennen solche wie die folgende Situation: man kommt abends nach Hause und muss statt eines Feierabendbierchens auf der Couch erst mal dafür sorgen, dass man am nächsten Tag noch frische Socken hat – und stellt dann fest, dass es schon zu spät zum Waschen ist. Bayerische Mitbürger stehen nach einem langen Arbeitstag auch gerne mal vor verschlossenen Supermarkttoren.
Ehemalige Angestellte aus dem kreativen Bereich
Das Arbeiten im heimischen Umfeld könnte entscheidend dazu beitragen, das Stresslevel arbeitender Menschen und somit ihr Burn-Out-Risiko zu senken. Außerdem kann es positive Auswirkungen auf die Gesundheit geben: Eine Umfrage des Karrierenetzwerks "Xing" ergab, dass 50 Prozent der Nutzer im Homeoffice ihre Pausen nutzten, um sich zu bewegen. Das klingt nachvollziehbar, ist es doch letztlich egal, was man zu Hause vor dem Computer trägt oder ob man zwischendurch ein paar "Hampelmänner" macht, was man im Büro wohl eher sein lassen würde. Und mehr Schlaf ist ebenfalls drin: "Ich muss sonst eine Stunde früher aufstehen, um mich herzurichten. Nun steh' ich auf, klatsch' mir Wasser ins Gesicht und sitze nach fünf Minuten vor dem Rechner", sagt die Mitarbeiterin eines Kabelherstellers. Eine Studie der mhplus-Krankenkasse und der Süddeutschen Krankenversicherung (SDK) bestätigt: 70 Prozent der Heimarbeiter bekommen mehr Schlaf als sonst.
Flexibilität und Selbstorganisation
Der unwiderlegbare Vorteil des Zu-Hause-Arbeitens ist: Flexibilität. Jeder kann seinen Alltag so organisieren, wie es seinen Bedürfnissen entspricht – sofern er oder sie denn nicht an fixe Besprechungstermine gebunden ist, versteht sich. Im Optimalfall können die "Eulen" abends länger machen, ohne, dass sie aus dem Büro gekehrt werden und müssen sich dafür nicht morgens im Halbschlaf in die U-Bahn schleppen. Denn das täglich erzwungene Zusammensein von Menschen mit ganz unterschiedlichen Eigenheiten kann sozialen Stress erzeugen, und wenn es nur um ein offenes oder geschlossenes Fenster geht. Auch Mobbing und Lästereien sind nicht zu unterschätzende Phänomene, etwas Abstand vom Flurfunk lässt da manchen aufatmen und entspannter arbeiten.
Laut der Studie der beiden Krankenkassen arbeiten 65 Prozent der Befragten lieber zu Hause als im Büro. Und in einer noch laufenden Studie des Fraunhofer-Instituts für angewandte Informationstechnik (FIT) zeigte sich in einer Zwischenauswertung eine Überwiegende Mehrheit der Befragten – 79 Prozent der Frauen und 85 Prozent der Männer – zufrieden mit ihren Homeoffice-Erfahrungen.
Wer einmal begriffen hat, welche Freiheiten ihm die Arbeit von zu Hause bieten kann, will es bisweilen gar nicht mehr anders haben. Ein Segen ist es vor allem für Pendler: "Wenn ich jeden Tag zur Arbeit fahre, bedeutet das für mich zwei bis drei Stunden Zeitverlust – pro Tag. Kann man das einsparen und rechnet das auf ein Arbeitsjahr hoch, kommt man auf 438 Stunden gewonnene Lebenszeit, das sind über 18 ganze Tage", erzählt die Angestellte eines DAX-Konzerns. "Das erhöht meine Lebensqualität deutlich. Sonst sind mir meine Stunden quasi einfach ausgegangen, da blieb unter der Woche vom Leben nicht viel übrig." Sie führt seit über einem Jahr eine Fernbeziehung, nun kann sie auch von der Wohnung ihres Partners aus arbeiten. "Wir haben jetzt einen gemeinsamen Alltag, das war vorher nicht möglich. Ich wünschte, es wäre nie wieder anders." Ihr Kollege zog kurzer Hand gleich in die Berge, da die Nähe zur Arbeitsstätte für ihn nicht mehr relevant ist. Und er setzt voraus, dass das so bleibt.
Mitarbeiterin eines Kabelherstellers
Natürlich gibt es Unterschiede. Nicht jeder ist fürs Homeoffice gemacht. Mancher muss es auch erst lernen, das häusliche Umfeld als Arbeitsplatz zu begreifen. Entscheidend ist, was hinten rauskommt, wusste schon Helmut Kohl. Daran lässt sich schnell feststellen, ob diese Handhabung für jemanden funktioniert oder nicht. Die so offenbarte tatsächliche Produktivität kann sogar zeigen, ob der Fokus sonst vielleicht mehr auf Kaffeekränzchen als auf der Arbeit selbst liegt. Etwas, das Chefs im Büro auch nicht unbedingt überprüfen.
Man darf sich auf der anderen Seite aber auch nicht dazu verleiten lassen, immer weiterzumachen. Selbstorganisation ist das Zauberwort. Auch die räumliche Aufteilung der Wohnung samt Rückzugsmöglichkeiten und Kinder sind über die Machbarkeit von Heimarbeit entscheidende Faktoren. Letzteres veranschaulichte der bereits im hpd erschienene Artikel einer Lehrerin im Corona-Homeoffice. Und ja, selbstverständlich kommt das Arbeiten von Daheim aus nicht für alle Berufsgruppen in Frage, sofern man sich keine Maschinenhalle oder einen Operationssaal ins Wohnzimmer einbauen lassen möchte.
Persönliche Präsenz wird überschätzt
Es geht vielmehr um die Wahlfreiheit. Jeder, der möchte und bei dem es die Arbeitsumstände zulassen, sollte im Homeoffice arbeiten können. Und was die Umstände alles zulassen, durften wir ja staunend feststellen: EU-Gipfel, Parteitage, Aktionärs-Hauptversammlungen. Allerorten merkte man, dass persönliche Präsenz überschätzt wird. Dass man nicht für jeden Auswärtstermin durch die Gegend fliegen muss, um im gleichen Raum zu sitzen. Es stellte sich überraschend heraus, dass die Gelegenheiten, zu denen man sich wirklich persönlich sehen muss, weniger sind als gedacht. Die bisher von unserer Bundesregierung stiefmütterlich behandelte Digitalisierung macht's möglich. Es hat anscheinend eine weltweite Virus-Krise gebraucht, um die Bedeutung und die Vorteile virtuellen Arbeitens zu verdeutlichen und uns aufzuzeigen, warum 5G an jeder Milchkanne eben doch vorteilhaft wäre.
Angestellte eines DAX-Konzerns
Der Homeoffice-Boom hat noch einen weiteren Vorteil: Die Umwelt wird entlastet. Während ein Viertel aller Arbeitnehmer während der Corona-Beschränkungen zeitweise zu Hause arbeitete, gab es laut Umweltbundesamt 30 bis 50 Prozent weniger Straßenverkehr in den Städten, die Stickoxidwerte reduzierten sich um 15 bis 40 Prozent. Langfristig ließe sich nach Berechnungen einer vom Bundesumweltministerium in Auftrag gegebenen Studie der Personenverkehr durch die gezielte Förderung von virtuellen Arbeitsformen und des Zu-Hause-Arbeitens dauerhaft um bis zu acht Prozent reduzieren. Vielleicht ist die gezielte Förderung des Homeoffice der Königsweg zur Verkehrswende? Wie viele Menschen brauchen ihr Auto in erster Linie für den Weg zur Arbeit und würden es vielleicht sogar abschaffen, wenn der wegfiele?
Doch nicht nur auf die Umwelt hätte der geringere Berufsverkehr positive Auswirkungen: Jeden Tag würde sich das Unfallrisiko im hektischen Berufsverkehr verringern und der Geldbeutel freut sich ebenfalls: Besagte Mitarbeiterin eines Kabelherstellers spart nach eigener Aussage viel Geld durch das Corona-bedingte Mehr an Heimarbeit: "Durch die Fahrerei musste ich circa einmal in der Woche tanken. Nun muss ich maximal einmal im Monat tanken. Vom Verschleiß meines Autos mal ganz abgesehen."
Der Angestellte eines Zulieferbetriebs berichtet, ein großer Teil der Belegschaft wünsche sich die Fortführung des Homeoffice. Nun denke die Firma gar darüber nach, im letzten Jahr gekaufte innerstädtische Büroräume wieder abzustoßen. Dies wirft ein Schlaglicht darauf, dass Unternehmen zusätzlich von vielfältigen Kosteneinsparungen profitieren könnten, wenn sie ihre Beschäftigten auf Wunsch zu Hause arbeiten lassen. Eine Umfrage, auf die das Umweltministerium verweist, ergab, dass ein Drittel der Befragten erwarten, dass Meetings auch künftig durch Videokonferenzen ersetzt und Geschäftsreisen abnehmen werden. Es gibt jedoch auch weniger progressive Beispiele: Der Betrieb der zitierten DAX-Konzern-Mitarbeiterin hat angekündigt, dass im Juli wieder 70 bis 100 Prozent der Beschäftigten bei maximal zwei Tagen Homeoffice pro Woche im Büro erscheinen sollen. Auch bei dem erwähnten Kabelhersteller sollen die Angestellten nicht auf Dauer nur von zu Hause aus arbeiten.
Bevor veränderungsscheue Chefs wieder komplett in alte Muster zurückfallen, wäre es höchste Zeit, dass eine gesetzliche Regelung zum Recht auf Heimarbeit kommt. Und die soll es nun tatsächlich geben: Im Herbst will das Bundesarbeitsministerium einen entsprechenden Gesetzesentwurf vorlegen. "Jeder, der möchte und bei dem es der Arbeitsplatz zulässt, soll im Homeoffice arbeiten können – auch wenn die Corona-Pandemie wieder vorbei ist", zitiert t3n Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD). Katrin Göring-Eckardt, Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, unterstützt sein Vorhaben. Finanzminister Olaf Scholz (SPD) sagte außerdem, die Arbeitswelt solle nicht mehr hinter die Errungenschaften der letzten Wochen rund um das Zu-Hause-Arbeiten zurückfallen. In Teilen der Politik scheint das Thema also angekommen zu sein. Jetzt müssen noch die Arbeitgeber die Vorteile für alle Seiten erkennen – im Idealfall auch ohne administrativen Zwang.
3 Kommentare
Kommentare
David See am Permanenter Link
die selbstmordrate unter schülern die gemobbt werden kann durch onlinelearning auch verrinngert werden, Mobbing ist teil unseres schulwesens
Olaf Sander am Permanenter Link
Hallo Herr See,
bitte benutzen Sie nicht mehr das Wort "Selbstmord". Es ist nämlich in sich selbst falsch. Ludwig Minelli hat hier ganz gut herausgearbeitet, weshalb das so ist.
https://hpd.de/artikel/darf-begriff-selbstmord-noch-verwendet-werden-16956
Natürlich ist jeder einzelne Suizid von Schulkindern und jugendlichen Schüler:innen ein Suizid zuviel. Darüber gibt es sicher nichts zu diskutieren. Aber Ihr Kommentar tut gerade so, als wäre das a: ein großes Problem und b: immer dem Mobbing an Schulen geschuldet. Das glaube ich ehrlich gesagt nicht, gleichwohl Mobbing ganz sicher ein Problem in unseren Schulen darstellt. Aber soweit ich das beurteilen kann, sind die Lehrer:innen sehr aufmerksam mit so etwas und haben mittlerweile auch Strategien dem zu begegnen.
Wie hoch die Rate der all zu jungen Suizidenten tatsächlich ist, zeigt ein Blick in die Statistik. Im Jahr 2018 haben sich 13 Schüler:innen im Alter von 10 - 15 Jahren und 179 Schüler:innen im Alter von 15 - 20 Jahren selbst das Leben genommen.
https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Gesundheit/Todesursachen/Tabellen/suizide.html
Die Ursache wird hier zwar nicht mitgeteilt (man wird es auch gar nicht immer genau wissen), aber es ist doch ziemlich unwahrscheinlich, dass alle diese Suizide Mobbing in der Schule als Hintergrund haben.
A.S. am Permanenter Link
Konsequenter weise sollte bei "Heimarbeitern" ein Arbeitszimmer steuerlich absetzbar sein. Das wäre seitens der Politik zu gewähren. Auch wenn nur ein Teil der Arbeit von zuhause aus geleistet wird.