Die "erste Welle" scheint vorbei zu sein und die Menschen denken an den Sommerurlaub. Währenddessen grassiert Covid-19 weiter und flammt in verschiedenen Orten wieder auf. Die Krankheit, die ein Spektrum von Symptomfreiheit bis Intensivstation verursachen kann, scheint aber nicht nur die Lunge zu befallen, sondern auch andere Organe und in manchen Fällen sogar das Gehirn – mit gravierenden Folgen.
Auch wenn die Menschen es zunehmend nicht mehr ernst nehmen: Das Coronavirus ist nicht weg. In dieser Woche beschloss der Berliner Senat wegen massenhafter Missachtung ein Bußgeld für das Nichtbeachten der Maskenpflicht. Während wir noch beim Lockern sind und die ersten Test-Touristen auf Mallorca weilen, steigen die Infektionen hierzulande durch neue Ausbrüche schon wieder, Gütersloh steckt schon mitten im zweiten Lockdown. Das löst Unmut aus, da für einige der Sommerurlaub flachzufallen droht. Setzt man sich aber konkret damit auseinander, was eine Covid-19-Erkrankung bedeuten kann, scheint das das kleinste Problem zu sein.
"Ich bin irritiert, wie viele Menschen die Gefahren aktuell ignorieren", schreibt ein Genesener in einem Leserbrief, der über einen Blog veröffentlicht wurde. Er berichtet von seiner überstandenen Erkrankung, die einen schweren Verlauf nahm, obwohl er erst 43 Jahre alt und nicht chronisch krank sei:
"Fieber bis zu 40 Grad, Geruchs- und Geschmacksverlust (beides immer noch da), zunehmende Atemnot. Nach fünf Tagen ging es mir so schlecht, dass meine Frau den Rettungswagen rufen musste. Im Krankenhaus wurde ich umgehend in ein künstliches Koma versetzt. Insgesamt war ich fast vier Wochen im Koma, wurde nicht nur künstlich beatmet, sondern benötigte auch eine ECMO" – diese "Extrakorporale Membranoxygenierung" ist eine letzte intensivmedizinische Therapiemöglichkeit, bei der das Blut künstlich mit Sauerstoff versorgt wird. "Die Ärzte (…) haben mir das Leben gerettet, ich war zwischenzeitlich mehr tot als lebendig und meine Familie voll verzweifelter Sorge. (…) Ein so langes Koma, die Medikamente, aber auch der Virus selber hinterlassen deutliche Spuren, deren Beseitigung offenbar einiges an Zeit benötigt."
Welche das sein können und was an Spät- oder gar Dauerfolgen auftreten kann, ist noch kaum bekannt. Erschreckendes offenbarte am Dienstag ein Beitrag der Investigativsendung Frontal 21: Demnach befällt das Coronavirus offenbar nicht nur die Lunge, sondern auch das Gehirn. Dort kann es passieren, dass Steuerungsprozesse angegriffen werden, die dann nicht mehr richtig funktionieren. Eine besondere Affinität wird beim Atemsteuerungszentrum vermutet. Die Folge: Das "automatische" Atmen setzt plötzlich aus. So soll es Fälle geben, in denen Patienten dem Virus zum Opfer fielen, ohne vorher überhaupt Lungensymptome gehabt zu haben.
Eine 34-jährige Frau berichtet in dem Beitrag, wie sie mitten in der Nacht beim Einschlafen merkte, dass sie nicht von alleine, sondern nur bewusst atmen konnte. Darüber hinaus hat sie noch andere Probleme, mit der Bedienung ihrer Kaffeemaschine beispielsweise, beim Lesen wird ihr schlecht. Eine 66-jährige Frau musste nach eigener Aussage nach der überstandenen Erkrankung alle Buchstaben neu lernen und hat ganze Wörter einfach vergessen. Auch Rechnen geht nicht mehr.
In einer vorangegangenen Ausgabe von Frontal 21 schilderten ehemalige Patienten, dass sie auch nach Wochen noch nicht wirklich wieder gesund seien und sich nicht fit fühlten. Einer berichtete, er habe "absolute kognitive Schwierigkeiten", konnte nicht Auto fahren und könne wegen der Atemnot nur im Sitzen schlafen. In einem Beitrag des NDR von Anfang Juni ist gar von möglichen lebenslangen Folgeschäden die Rede. Vor allem, wenn das Virus das Nervensystem befällt, wodurch epileptische Anfälle und Schlaganfälle ausgelöst werden.
Doch auch bei milden Verläufen scheinen Langzeitschäden nicht ausgeschlossen: Der Spiegel berichtete in dieser Woche von "mysteriösen Rückfällen" von genesenen Corona-Patienten. Unter anderem von einem 30-jährigen sportlichen Mann, der jetzt bei der kleinsten körperlichen Betätigung Herzrasen bekommt. Der wieder zu seinen Eltern gezogen ist, weil ihm nach wie vor alles zu anstrengend ist, der deshalb noch nicht wieder arbeiten kann und mehrmals in die Notaufnahme musste. "Genesen bedeutet bei Covid-19 offenbar nicht gleich gesund", heißt es in dem Artikel. Man wisse noch gar nicht, wie schwer Organe bei einer Infektion mit SARS-CoV-2 geschädigt würden und ob sie sich wieder regenerieren könnten, zitiert der Spiegel den Direktor der Inneren Medizin I vom Kieler Universitätsklinikum Schleswig-Holstein.
All dies zeigt: Wir wissen noch zu wenig. Und in einer solchen Situation ist nicht weniger, sondern mehr Vorsicht geboten. Jeder sollte sich noch einmal genau überlegen, was es wert ist, eine Ansteckung mit einer völlig unerforschten und entsprechend unberechenbaren Krankheit zu riskieren – und was nicht. Nicht zur Risikogruppe zu gehören, scheint keine ausreichende Garantie zu sein. Was man ebenfalls nicht vergessen sollte: Was man anderen Menschen möglicherweise damit antut.
15 Kommentare
Kommentare
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste. Das habe ich in meiner Kindheit gelernt. D. h. Vorsicht ist besser als Nachsicht. Warum beherzigen das nicht alle Menschen? Von Anfang an?
Was tun, wenn die eigene Wohnung brennt und man keinen Feuerlöscher zur Hand hat? Jeder würde instinktiv und fluchtartig die Wohnung verlassen. Warum? Feuer sieht man und Feuer macht unmittelbar Aua. Viren sieht man nicht und brauchen ein paar Tage, bis sie sich bemerkbar machen.
Aber wir haben Experten, die das wissen und die warnen. Früher - da bin ich mir sicher - hätte man auf die gehört. Heute warten offenbar manche ab, bis die Politik Bußgelder verhängt, wodurch man wieder gegen die "Scheißpolitik" wettern und den "Merkellappen" (Berliner Ausdruck für den Mund-Nase-Schutz) verweigern kann.
Und warum? Weil das Internet voll ist von übelsten Falschmeldungen, Lügen und Verschwörungsbehauptungen. Was vergibt man sich in seiner Lebensqualität, wenn man Mund-Nase-Schutz trägt? Wenn man Abstand hält, die Hände öfters wäscht und Menschenansammlungen meidet, bzw. erst gar nicht zu deren Entstehen mit beiträgt? Was ist so geil daran, sich ins Strandgetümmel zu schmeißen, mit der Gefahr, eine schwere Erkrankung zu erleiden? Sind wir so spaßverwöhnt, so urlaubsgeil, dass wir uns nicht mal ein paar Monate zusammenreißen können?
Das ist irrationales Verhalten, die Hamsterkäufe, Gottesdienst- und Shisha-Ladenbesuche, Demos ohne Maske. Ach so, die Allgemeinheit zahlt ja dafür. Dabei wäre der Virus, da bin ich mir sicher, längst zurückgedrängt in eine Nische, wenn sich von Anfang an alle in Disziplin geübt hätten. So muss das die gesamte Volkswirtschaft ausbaden. Na ja, dadurch entstehen wieder neue Gründe für Impfgegner und Maßnahmenverweigerer zu meckern.
Wenn Meckern ein wirksames Mittel gegen Corona wäre, gäbe es den Virus vermutlich schon längst nicht mehr...
H. Müller am Permanenter Link
Hallo Herr Kammermeier,
Ihre Kommentare lese ich normalerweise sehr gerne. Aber der Umgang mit dem Coronavirus auch hier im hpd passt häufig nicht in die "Aufgeklärtheit" vieler Beiträge hier.
Ich vermute, dass auch dieser Kommentar nicht freigeschaltet wird, was ausserordentlich traurig wäre.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Mein Vergleich mit einer brennenden Wohnung bezog sich auf den Punkt, dass man bei dieser Gefahr - weil sie unmittelbar sicht- und spürbar ist - sofort reagiert, während bei Corona die Gefahr unsichtbar und nicht unmi
Pedantisch könnte ich sagen, dass der Schaden beim Wohnungsbrand auch von Sachschäden über Rauchvergiftung bis zu schwersten Verbrennungen und Todesfällen reicht. Aber das würde den Vergleich überstrapazieren.
Ich kann auch keine "Angstmache von oben herab" erkennen. Eher im Gegenteil. Es wurde in den meisten Ländern (allen?) am Anfang eher beschwichtigt. Einige Länder (z. B. USA und Brasilien) beschwichtigen noch immer und haben die größte Rate an Infizierten und Todesopfern.
Dass viele Maßnahmen hart sind, kann ich nachvollziehen. Doch hätten sich alle Menschen von Anfang an freiwillig und konsequent an die Schutzregeln gehalten, dann wäre die erste Welle viel früher abgeebbt. Doch trotz Bußgeldern, die leider verhängt werden mussten, um Menschen vor Menschen zu schützen, habe ich letzte Woche eine völlig uneinsichtige Kundin ohne Mund-Nase-Schutz in einem Supermarkt erleben müssen, die auch noch frech wurde, als ich sie freundlich auf ihr Versäumnis ansprach.
Es wurde übrigens ganz am Anfang klar gesagt, dass sich die Politik anschaut, inwiefern die Bürger die Schutzmaßnahmen freiwillig umsetzen. Doch nach "Corona-Partys" und bei vielen ohne große Lust, sich konsequent zu schützen, mussten härtere Maßnahmen ergriffen werden.
Die Folge: Wir haben bis auf NRW kaum noch Neuinfektionen. In der Pfalz, wo ich lebe, sind die Hälfte der Landkreise seit sieben Tagen ohne Neuinfektion. Das spart der Wirtschaft viel Geld und lässt uns schneller in den Alltag zurückkehren. Glauben Sie mir: Mein Kommentar und viele Artikel des HPD zum Thema passen sehr präzise in die Aufgeklärtheit hier...
René am Permanenter Link
@H. Müller:
>> Ich vermute, dass auch dieser Kommentar nicht freigeschaltet wird, was ausserordentlich traurig wäre.
Diese Annahme halte ich für "schräg". Wie kommst Du darauf? Mir fallen spontan drei weitaus plausiblere Gründe ein, warum hier ein fraglicher Kommentar nicht freigegeben werden könnte oder worden ist.
1. So kann es sein, dass ein Kommentar gegen die Teilnahmeregeln verstößt. Mit diesen wird, wie ich das beobachte aber relativ freizügig umgegangen. Selbst ein Kommentar wie der von Petra Imbery am 26. Juni 2020 - 18:30 Uhr, der ganz offensichtlich lediglich die Zustimmung zu einem anderen Kommentar darstellt, geht problemlos durch.
2. Es könnte sein, dass ein Kommentar die Redaktion (und/oder den Kommentator selber) in rechtliche Not bringt. Es ist einzusehen, dass die Moderation solche Kommentare möglichst nicht veröffentlicht möchte.
3. Der Kommentar könnte von der Moderation übersehen worden sein und verzögert oder vielleicht mal gar nicht ohne Hinweis versehentlich gar nicht freigeschaltet werden. Wie vielleicht auffällt (und ebenso nachlesbar ist), wird der Kommentarbereich auf hpd.de manuell moderiert. Das mag vielen (auch mir) nicht optimal erscheinen und verhindert eine lebhafte Diskussion per se. Aber die Redation/Moderation wählte offenbar diesen Modus, um sich selber in größerer Rechtssicherheit zu wähnen. Gegen diese Begründung kann ich leider nicht viel einwenden.
Petra Imbery am Permanenter Link
Vollkommene, 100%ige Zustimmung !!
Srila Devi am Permanenter Link
Das haben Sie sehr gut und genau auf den Punkt gebracht, Herr Kammermeier. Ich wünschte, alle Menschen wären so vernünftig wie Sie.
A.S. am Permanenter Link
Ohne Mut zum Restrisiko kann man sich gleich die Kugel geben.
Was wir lernen müssen ist, Risiken vernünftig zu bewerten. Für Corona, speziell die Langzeitfolgen, ist die Datenlage noch zu dünn.
Bekanntlich gibt es Menschen, die setzen sich in Schlauchboote und versuchen die Überfahrt von Afrika nach Europa. Sterberisiko: Nach meinem Wissen im einstelligen Prozent-Bereich, jedenfalls höher als bei Corona.
Heide am Permanenter Link
Die dünne Datenlage hat meine Frau zur Zeit auf dem Schreibtisch liegen (Krankenkassenangestellte) und die meinte nur "krasse Fälle".
Manfred Schleyer am Permanenter Link
Das Virus verbreitet sich nicht, das Virus wird verbreitet!
René am Permanenter Link
@Manfred Schleyer:
Kurz und knapp und scharfsinnig. Sehr treffend festgestellt! :o)
V.S. am Permanenter Link
Ich möchte mich Herrn Müller anschließen und darüber hinaus Folgendes loswerden: Der Umgang des hpd mit dem Thema Corona hat mich doch sehr erschrocken.
Und um mal konkreter zu diesem Artikel zu werden: bereits im ersten Absatz werden hier verschiedene Aspekte zusammengewürfelt und unlogisch, offenbar rein assoziativ vermischt: Bußgeld wegen Nichtbeachten der Maskenpflicht (die verfassungsrechtlich "problematisch" ist, um es mal vorsichtig auszudrücken, und erst eingeführt wurde nachdem die epidemische Welle im März/April ihren Höhepunkt bereits deutlich hinter sich hatte...) + Touristen auf Mallorca + Gütersloh im Lockdown = Menschen werden zu leichtsinnig und die "Gefahr" wächst ? Solche unlogischen Vermischungen entstehen, wenn Angst und nicht kritische Schlussfolgerungen die journalistische Feder lenken. Es ist auch menschlich völlig nachvollziehbar, wenn jemand, der eine schwer verlaufende Infektionskrankheit hinter sich hat und mit medialer Panikmache mehr oder weniger dauerbeschallt wird, sich aufgrund von "Lockerungen" bzw "lockerem Verhalten" anderer ängstigt, das muss aber noch lange nicht heißen, dass diese Angst auch berechtigt ist oder sich Menschen nun ohne zu hinterfragen einfach an alle Regeln halten müssen um "humanitär" zu sein.
Ich möchte der Redaktion des hpd und überhaupt allen an wissenschaftlicher Aufklärung Interessierten das neue Buch von Prof. Bhakdi wärmstens empfehlen:https://www.thalia.de/shop/home/artikeldetails/ID148546540.html
Karl-Heinz Büchner am Permanenter Link
"... das neue Buch von Prof. Bhakdi wärmstens empfehlen"
Du meine Güte, nein! Bhakdi redet vor allem dann dummes Zeug, wenn der Tag lang ist.
V.S. am Permanenter Link
Sie vereinfachen sehr stark. Es macht nicht den Eindruck, dass Sie sich wirklich damit beschäftigt haben, was Prof. Bhakdi sagt und wie er seine Argumentation begründet.
Karl-Heinz Büchner am Permanenter Link
Doch habe ich.
V.S. am Permanenter Link
Hm, ich habe mehrere Interviews mit Bhakdi gesehen und auch sein Buch gelesen, nicht bekannt ist mir jedoch seine angebliche Aussage "dass nur 1% der Infizierten erkranken und höchstens 30 Leute am Tag sterben wü
Zur Luftverschmutzung sagt Bhkadi, dass in Regionen mit hoher Luftverschmutzung das Risiko viraler Lungenerkrankungen für sehr junge und ältere Menschen erhöht ist. Dies bedeutet nicht, dass er "die Zahlen aus Italien, Spanien und China mit Luftverschmutzung erklärt", sondern er weist darauf hin, dass die Luftverschmutzung in bestimmten Regionen als Risikofaktor hinzu kommt. Generell plädiert er dafür, genau hinzusehen, welche Faktoren in bestimmten Regionen vorliegen, um für Regionen, in denen (angeblich oder tatsächlich) eine besonders hohe "Corona-Sterblichkeitsrate" vorliegt, die multifaktoriellen Risikofaktoren und Ursachen konkret aufklären zu können. Was das mit "schwurbeln" oder "zur Verunsicherung der Leute beitragen" zu tun haben soll erschließt sich mir ganz und gar nicht. Ganz im Gegenteil - ich finde, dass dies dazu beiträgt, die Menschen differenziert aufzuklären und ihnen pauschale und oftmals überzogene "Corona-Ängste" zu nehmen.