Folgen des Sicherheitsgesetzes

Hongkong: Der Sturm am Horizont

Was in Hongkong als Disput um ein kontroverses Sicherheitsgesetz begann, entfaltet nun eine globale Dynamik, welche die USA, die EU und die weltgrößten Tech-Firmen in ihren Sog reißt. Der einst so wirtschaftsstarke Finanzplatz droht zum Zentrum eines geopolitischen Erdbebens zu werden. Die über sieben Millionen Einwohner*innen stehen indessen unter Generalverdacht.

Ende Mai versicherte Matthew Cheung, Hongkongs zweithöchste politische Autorität, gegenüber Geschäftsleuten, dass das neue Sicherheitsgesetz nur eine Handvoll Menschen betreffe: "99,99 Prozent" der Menschen sollen ihren Geschäften nachgehen können wie gewohnt, auch der internationale Reiseverkehr, aus- und inländische Investments sowie die Neutralität gegenüber internationaler Presse seien nicht gefährdet. Im krassen Widerspruch hierzu steht die Aussage des Verbindungsbüros Chinas, alle 600.000 Personen, die an den pro-demokratischen Vorwahlen teilgenommen haben, hätten das neue Sicherheitsgesetz möglicherweise verletzt.

Die Beteuerungen der von Peking abhängigen Regierung Hongkongs, das Gesetz werde die Unabhängigkeit der Bürger*innen und Unternehmen nicht untergraben, werde den Status Hongkongs als Hotspot der Finanzwelt und Technologisierung nicht gefährden, hallen noch vage nach, während die Menschen ihre Onlineprofile "säubern", ganze Accounts löschen und die New York Times rund ein Drittel der dortigen Belegschaft nach Seoul versetzt.

Hongkong, bis dato sowohl im Human Development Index wie auch beim internationalen Vergleich von Bruttoinlandsprodukt pro Kopf stets ganz vorne mit dabei, ist neben London und New York einer der drei wichtigsten Finanzplätze der Welt und steht nun vor einem Scherbenhaufen: Ende 2019 rutschte die Region zum ersten Mal seit zehn Jahren in eine Rezession, ausländische Direktinvestitionen (FDI) fielen im Vergleich zum Jahr 2018 um sage und schreibe 47 Prozent. Inmitten der Unruhen um die Anwendung des neuen Sicherheitsgesetzes droht nun auch noch der Brain Drain: Nach Boris Johnson hat jetzt auch Mike Pompeo, Außenminister der USA, laut darüber nachgedacht, die Menschen Hongkongs in den Vereinigten Staaten aufzunehmen.

Zerreißprobe fürs Silicon Valley

Google, Facebook, Twitter, Zoom, LinkedIn, Telegram – all diese Dienste haben kurze Zeit nach Inkrafttreten des neuen Sicherheitsgesetzes die Bearbeitung von Anfragen zu Daten von Nutzer*innen aus Hongkong fürs Erste eingestellt. Das bedeutet in der Praxis: Wenn die Polizeibehörden oder die Regierung Hongkongs eine Anfrage an Facebook stellt, um den Klarnamen hinter einem Account herauszufinden, der pro-demokratische Inhalte postet, erhalten diese keine Antwort mehr.

Gemäß neuem Sicherheitsgesetz könnte das fatale Konsequenzen haben: Mitarbeiter*innen von Facebook, die Hongkong betreten, könnten verhaftet werden, wenn das Unternehmen die Daten zu Personen, die die chinesischen Behörden als Gefahr für die nationale Sicherheit betrachten, nicht herausgibt. Facebook könnte außerdem den Zugang zum Markt Hongkongs vollständig verlieren, wie die Vertreterin einer Nichtregierungsorganisation für Digitalrechte in der New York Times ausführt: "Es ist nicht unmöglich, dass das passiert", so die Aktivistin Glacier Kwong. "China nutzt seine Marktmacht und Boykottmöglichkeiten häufig, um bei ausländischen Unternehmen die eigenen Forderungen durchzusetzen."

Die Welt reagiert entsprechend auf die politischen Avancen Pekings: Das Weiße Haus erkannte Hongkong den Sonderstatus bei den Handelsbeziehungen ab. Der chinesische Mobilfunkanbieter Huawei wurde unterdessen sowohl im Vereinigten Königreich wie auch in Italien und Brasilien von den Ausschreibungen zur Vergabe von 5G-Lizenzen ausgeschlossen. "Die enge Verbindung zur chinesischen Regierung ist der Grund für den Ausschluss Huaweis von so vielen Märkten", so Dipayan Ghosh, Co-Direktor des Digital Platforms and Democracy Project der Harvard Kennedy School.

China versucht unterdessen, sich von US-amerikanischer Technologie unabhängig zu machen, wie die Eurasia Group in einem Report Anfang 2020 feststellte. Nationen wie Taiwan oder Südkorea, traditionell und aus wirtschaftlichen Gründen eng mit den USA verflochten, könnten politisch in Richtung China abdriften, wenn Peking den Ausbau heimischer Technologie und Robotik weiterhin forciert und mit den Halbleitern und Chipsets aus besagten Ländern füttert. "Sowohl die Vereinigten Staaten wie auch China haben gezeigt, dass sie bereit sind, globale Handelsströme und Warenketten als Waffe einzusetzen", so der Report.

Kampf um die technologiepolitische Deutungshoheit

Hongkong katalysiert einen Prozess, der bereits seit Jahrzehnten im Gange ist: Der Kampf um die technologiepolitische Deutungshoheit. Global operierenden Unternehmen, deren Clouds und Algorithmen keine Landesgrenzen kennen, steht das nationalstaatliche Denken der politischen Akteure entgegen, die diese Unternehmen immer mehr als verlängerten Arm der eigenen Ideologie begreifen wollen. Ein Donald Trump unterscheidet sich hierin nicht im Geringsten von einem Xi Jinping oder einem Vladimir Putin. Der wesentliche Unterschied liegt in der Tatsache, dass Facebook und Twitter an Recht und Gesetz, aber nicht an parteipolitische Weisungen gebunden sind. In China sind parteipolitische Weisungen Recht und Gesetz, wie die mächtige Firewall und das landesweite Überwachungssystem beweisen.

Big Tech steht vor einer großen Herausforderung: Die Aufspaltung in mehrere Unternehmen, die je nach geografischer Lage Anpassungen der Nutzungsbedingungen vornehmen und die Regeln von beispielsweise China befolgen – oder aber klare Kante für die Informations- und Kommunikationsfreiheit zeigen und den Verlust gewisser Märkte riskieren? Egal, wie die Unternehmen sich entscheiden: Die Zeit der politischen Neutralität von Big Tech ist vorbei.

Unterstützen Sie uns bei Steady!