Neuapostolische Kirche:

"Nicht denken, nicht meinen, nur glauben!" (Teil 2)

In der vergangenen Woche berichteten wir anlässlich des 60. Todestags eines Geistlichen der Neuapostolischen Kirche (NAK), welcher als gescheiterter Prophet tragische Berühmtheit erlangte. Im zweiten Teil beschäftigen wir uns mit den möglichen Ursachen, die Entstehung Johann Gottfried Bischoffs "Botschaft" erklären könnten. Dabei überraschte die Recherche: Widersprüche in der Verkündigung dieses Super-Dogmas haben es schon vor Bischoffs Tod entlarvt.

Ob Gläubige die "Botschaft" – ungeachtet ihrer Folgen – nun für Schnee von vorgestern halten, sie in den Rang eines undiskutierbaren Mythos des Glaubens heben oder sich der Geschichte ihrer Religion stellen, eines ist nicht von der Hand zu weisen: Erweist sich die Offenbarung eines allwissenden Gottes als falsch, müssen die Gründe dafür auch wahrheitssuchende Christ/innen im Diesseits verorten. Und laut den profiliertesten Historikern auf dem Gebiet sind die wahrscheinlichsten Motive alles andere als heilig. Im Führungszirkel der NAK brach spätestens 1946 ein Richtungsstreit vom Zaun, in dem es um finanzielle Ungereimtheiten, Hoheit um das Verlagswesen und das Konfliktmanagement eines komplizierten Chefs ging.

Wandelbarer Stratege aber mit "Scheu vor dem Tod"

Fangen wir bei letzterem an. Der fachkundige Autor Dominik Schmolz erzählte den Lebensweg von J.G. Bischoff lebendig und empathisch nach. Unter ärmlichsten Bedingungen mit elf Geschwistern als Katholik im erzlutherischen Odenwald geboren, stand der spätere Zigarrenhändler den Schrecken einer für ihn verderbten Welt viele Male gegenüber — ob als Sergeant im Ersten Weltkrieg oder am (frühen) Totenbett von Geschwistern, Vater, Ehefrauen und Kindern. Bischoff war Teil einer deutschen Generation, die dem Tod und kränkenden Einsicht der eigenen Vergänglichkeit ständig ausgesetzt war. Selbst wenn dieses psychologische Merkmal fast zu offensichtlich scheinen mag, wurde es zum gesicherten Puzzle-Stück für die spätere "Botschaft", die er gerne mit dem Versprechen verband, nicht mehr sterben zu müssen: "Wir haben keine Lust, uns das Totenhemd zu nähen […]!", brachte er mal trotzig zum Ausdruck. Dem Thema Sterben wich Bischoff sowieso weiträumig aus. Trotz des hohen Stellenwerts der ausgefeilten Jenseitstheologie seiner Kirche hielt Bischoff laut Quellenlage nach 1948 keine einzigen Trauerdienst ab.

Bischoff war beileibe nicht Inbegriff eines religiösen Verführers. Er wusste seine Zuhörer als Mann des Glaubens zwar mitzureissen, zerrieb sich aber zeitlebens zwischen eiskaltem Opportunismus und traumatischer Angst vor Kontrollverlust. Trotz vermeintlicher Gottesnähe blieb Bischoff gerade dadurch Mensch, dass ihm Konflikte sichtbar nahe gingen. Selbst von engen Freunden sind bitterböse Briefe und tränenreiche Wutausbrüche des Stammapostels belegt.

In nur wenigen Jahren nach seiner Konvertierung stieg diese Ausnahmeerscheinung in der steilen Hierarchie der neuapostolischen Gemeinde auf. Laut Konfessionskundler Helmut Obst dank Charisma, inniger Verbundenheit zu den Gläubigen, aber auch einem fragwürdigen Talent für Intrigen. Sowohl theologisch wie kirchenpolitisch sind Bischoff schon früh abrupte Meinungsumschwünge und lockerer Umgang mit christlichen Prinzipien nachzuweisen – von seiner Haltung zum NS-Regime einmal ganz abgesehen. Dabei ging es immer wieder um Amtspositionen und die Monopolstellung der NAK-Hausdruckerei, die seinem Sohn im zarten Alter von 19 Jahren zufiel und vier Jahre später zum Privatunternehmen in Familienhand umfunktioniert wurde. Aus dessen Profit bestritt der "Repräsentant Christi auf Erden" seinen nicht grade billigen Lebensunterhalt. Er wäre nicht der letzte Machtvirtuose gewesen, dessen Unterbewusstsein den Kampf mit harten Bandagen verzieh, wenn man(n) sich in die Ecke getrieben sah.

Vom Machtkampf zum Glaubenskrieg

Und in so einer Ecke, das stellte die "Arbeitsgruppe Geschichte" der NAK 2007 in allen Einzelheiten fest, fand sich Bischoff nach dem Krieg wieder. Im benachbarten Ausland als Nazi-Kollaborateur beäugt, rückten ihm Apostel außerhalb seiner direkten Kontrolle immer mehr auf die Pelle. Früherer Gehorsam wurde nun offen missachtet, Kirchenschriften innerer Konkurrenten setzten sich unter Neuapostolen fest und über Finanzthemen stritten sich die Apostel sogar über Anwälte. Ganz im Fokus stand aber die Frage, wieviel Macht das Stammapostel-Amt innehaben und wie lange Bischoff es noch tragen darf. Dass die Autorität des Stammapostels so offen in Frage gestellt wurde, war ihm und seinen engsten Vertrauten neben Krieg und Elend Beweis genug, dass der grosse Knall vor der Tür stehen müsse. Für Bischoff eine wichtige Entschuldigung aller Ränkespiele, die dann folgten.

Foto: Sebastian Müller-Bahr, Wikimedia, (CC BY-SA 3.0)
"Unbedingt der Bibel beilegen!": Wenige Tage bevor es in der deutschen Kirche kracht, wird den Gläubigen in Nordamerika und Grossbritannien der Stellenwert der "Botschaft" klargemacht. (Foto: Sebastian Müller-Bahr, Wikimedia, (CC BY-SA 3.0))

In dieser konfliktreichen Zeit trat ein "Widersacher" ganz besonders hervor: der Rheinländer und Wirtschaftsprüfer Peter Kuhlen. Als Bischoff mit seinen konservativen Vorstellungen 1948 noch in der Minderheit war, überwältigten ihn die anderen Apostel mit vollendeten Absprachen und rangen eine Wahl Kuhlens zum Nachfolger auf Abruf durch. Das muss Bischoff so erniedrigt haben, dass er dessen Ordination bewusst nicht im Namen Gottes vollzog. Auch wenn es ein Rätsel geblieben ist, wer den Widerstand letztlich organisierte, doch geschlagen gab sich die Bischoff-Connection nicht. Der Stammapostel setzte in wenigen Jahren immer mehr treuergebene Neu-Apostel ein. Der Wind dreht sich als vormalige Befürworter der Nachfolgeregelung und die NAK-Presse in der Hand von Sohn Bischoff ab 1949 verkünden, dass "Gott sein Werk noch unter der Hand des heutigen Stammapostels vollenden werde". Im Folgejahr trat Kuhlen aufgrund des steigenden Drucks von der Nachfolge freiwillig zurück, doch die Wunden waren wohl nicht mehr zu heilen. Um das Schlamassel noch ein letztes Mal zu kitten und die neuen Erklärungen mit göttlichem Absolutismus zu rechtfertigen, so Helmut Obst, entstand die "Botschaft".

Auf Spurensuche: Historiker Dominik Schmolz referierte 2019 für das ´Netzwerk Apostolische Geschichte "über die Entstehung der 'Botschaft'":

Innere Zerrissenheit und äußere Widersprüche

Die Zerrissenheit Bischoffs zeigte sich schon in der bloßen Verkündigung seiner "Botschaft". Der neuapostolische Publizist Michael Koch hat mit einer umfassenden Analyse ausreichend Aussagen dokumentiert, die so gewertet werden müssen. Es fällt auf, dass Bischoff schon ab 1950 seine (damals noch unverbindliche) "Botschaft" offensiv vertrat, jede andere "Ursache" als fromme Bibelsprüche aber ausschloss. Bis 1951 relativierte er seine eigene Überzeugung als neuapostolischen Standard und persönliche Meinung. Erst danach führte er – bis zu seinem Tod zwei an der Zahl – angebliche Begegnungen mit Jesus an, der ihm jeglichen Raum für Meinungsverschiedenheiten innerhalb der NAK untersagt haben muss.

So überzeugt von seinen Begegnungen der dritten Art war Bischoff dann aber doch nicht. Bischoff hielt es in den Folgejahren immer wieder für nötig, Überlieferungen von oft abstrusen Träumen, Visionen und Totenbegegnungen als Belege anzuführen. Erneut ein Umstand, den er zuvor ausdrücklich verneinte. Sein Gewissen muss Bischoff derart geplagt haben, dass er selbst offen die Frage aufgriff, ob die Gemeinschaft im Falle seines unverhofften Ablebens dem Untergang geweiht sei. Auch hier verneint das Amtsblatt im August 1951 noch gelassen, während Bischoff im verhängnisvollen Jahr der Dogmatisierung, 1954, für einen solchen Fall von "Vernichtung" sprach.

Widersprüche ergaben sich jedoch nicht nur aus Worten, sondern auch aus Taten. Das Monopol über das Verlagswesen muss Vater und Sohn Bischoff existenziell gewesen sein. Wieso sonst haben die beiden 1950 an den anderen Aposteln vorbei den exklusiven Liefervertrag mit dem Friedrich-Bischoff-Verlag bis 1975 verlängert, obwohl die näher als nahe Parusie schon damals propagiert wurde? Genauso verdutzt es, dass Bischoff & Co. die "Botschafts"-Zweifel ansonsten gehorsamer Geistlicher stellenweise völlig anders angingen. Als die Kirche in Württemberg zu zerbrechen drohte, wurde mit einem ominösen Schweigegelübde der Ortsfunktionäre der Konflikt um die "Botschaft" wortwörtlich totgeschwiegen; nur kurz nachdem jene Zuchtmeister die Kritiker um Kuhlen für dieselben Zweifel in hohem Bogen aus der Kirche warfen. Unmittelbaren Anlass dazu gab Kuhlen im Januar 1955 übrigens mit einem offenen Brief an Bischoff, der den vernichtendsten Widerspruch um dessen "Botschaft" aufgriff. Der Stammapostel versprach die Überwindung des Todes nicht nur abstrakt, sondern auch ganz konkret namentlich bekannten Kirchenmännern, die dann aber lange vor Bischoff noch verstarben. Ein Schelm, wer denkt, dass der Chef am Rebellen für diesen Affront ein Exempel statuieren musste.

Im dritten und letzten Teil unserer Serie werden wir der Frage nachgehen, wie die Neuapostolische Kirche während der letzten 60 Jahre mit dem Religionsdrama "Botschaft" umging und welche neuen Dramen infolgedessen unfreiwillig dazukamen.


Quellenliste (Auszug):

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