Das Besondere an diesem Buch ist, dass der Autor alle großen Weltreligionen gleichzeitig ins Visier nimmt – das Judentum, das Christentum, den Islam und den Buddhismus. Schon der Titel verrät, wie er vorzugehen beabsichtigt: "In die wilde Welt der Weltreligionen – Ein Expeditionsbericht". Er bedient sich dazu einer Metapher, einer Verbildlichung, indem er diese Weltreligionen als ein mächtiges Bergmassiv betrachtet, das es zu besteigen und zu erkunden gilt. Er beschreibt die Reise durch die wilde Welt der Weltreligionen wie eine Expedition mit Entdeckungen, Überraschungen und Erkenntnissen. Er macht sich auf die Suche nach den verborgenen Schätzen in dieser schier unübersichtlichen Bergwelt, lässt aber den Leser schnell wissen, in welcher Weise er sein Thema bearbeiten will und was sein eigentliches Ziel ist. Lassen wir ihn selbst sprechen:
"Wie aber sollen wir nun diese Riesenberge tauben Gesteins jemals abtragen, um an die wahren Schätze heranzukommen? Die Antwort ist überraschend einfach: Mit Humor! Keine Kraft der Welt müssen die Anhänger felsenfester Überzeugungen, massiver Lehrgebäude, verkrusteter Strukturen und versteinerter Dogmen mehr fürchten als die gewaltige Sprengkraft des Humors. Diese gibt uns ja gleich eine ganze Kiste voller Werkzeuge an die Hand, die wir auf unserer Expedition mitführen werden: Anarchischen Humor für die unvermeidlichen Großsprengungen, sarkastischen Humor fürs Grobe, absurden Humor für schwer Erklärbares und grotesken bis schwarzen Humor für das wirklich Unmögliche, feinen Humor für das Abschleifen von Ecken und Kanten, zur Förderung tieferer Erkenntnis auch noch den jüdischen Humor sowie – last but not least – das befreiende homerische Gelächter, um nach getaner Arbeit den ganzen Staub wegzublasen. Kurz gesagt: vieles wird klarer, wenn man ein schräges Licht darauf fallen lässt … So viel Humor heißt aber keineswegs, dass wir die Religionen etwa nicht ernst nehmen würden. Im Gegenteil …" (S. 30)
Schon die Formulierungen der Kapitelüberschriften signalisieren, dass dem Autor der Schalk im Nacken sitzt, hier ein paar Beispiele: Auf dem Basar der Religionen: Engel, Heilige und sonstiges seltsames Allerlei / Auch da müssen wir durch: Riten und Zeremonien / Warum entspannt, wenn’s auch verkrampft geht: Die einseitige Schöpfung und das Elend mit dem Sex / Herr gib uns unsere Schuld: Sünde, Schuld und schlechtes Karma / Jetzt geht’s zur Sache: Himmel, Hölle, Tod und Teufel.
Es handelt sich also – das sei vorweg schon gesagt – um eine amüsante, dabei aber dennoch um eine sehr substanzielle und informative Religionskritik. Geeignet und empfehlenswert nicht nur als möglicher Augenöffner für Gläubige, sondern auch für gestandene Religionskritiker und Ungläubige, die gewissermaßen noch ein paar Sahnehäubchen auf die eigene Überzeugung setzen möchten. Ziel der als Expedition gestalteten Reise durch die Weltreligionen ist zunächst, diese genauer kennenzulernen und daraufhin abzuklopfen, ob in ihnen Schätze verborgen sein könnten, die – man ist zunächst überrascht! – Bestandteil einer idealen Religion sein könnten. Der Autor ist bemüht um eine sachliche und objektive Berichterstattung über seine Erlebnisse und Erkenntnisse auf seiner beschwerlichen Forschungsreise durch die wilde Welt der verschiedenen Glaubenslehren. Es werden die Regeln und Vorschriften, die Gebote und Verbote, Versprechungen und Drohungen vorurteilslos dargestellt, oft auch im Vergleich der Religionen, bis … ja, bis der gesunde Menschenverstand und die Lebenserfahrung sich melden und den Widersinn, die Einfalt, die Willkür, die Haltlosigkeit, die Unmenschlichkeit so mancher religiöser Aussage oder Vorschrift enthüllen. Wir verraten schon hier das Ergebnis der Suche nach der idealen Religion, dass es diese eben nicht gibt, nicht geben kann, sollen Logik und Erfahrung, wissenschaftliche Erkenntnis und auch erwähnter gesunder Menschenverstand – um im Ton des Autors zu sprechen – nicht an der so gern zitierten Garderobe abgegeben werden.
Die wesentlichen Elemente der wichtigsten Glaubenslehren werden nach Sinn und Funktion analysiert. Unter vielem anderen werden die sogenannten Sakramente der christlichen Glaubenslehre besprochen, beispielsweise die Taufe. Durch die Taufe wird der Täufling von der allen Menschen angeblich innewohnenden Erbsünde befreit und in die Gemeinschaft der Christen aufgenommen. Die Erbsünde entstand der Lehre nach durch den Fehltritt der ersten Menschen. Keine andere Religion kennt übrigens eine solche vererbbare Schuld. Tatsächlich – darauf verweist der Autor, wie auch schon andere Religionskritiker – ist sie aufgrund eines Übersetzungsfehlers entstanden. Andere sprechen von einer Erfindung, die sich hervorragend eigne, Menschen über eine behauptete Erbsünde zu gehorsamen Schafen zu erziehen. Aber lassen wir wieder den Autor zu Wort kommen: "Der vermeintlich unschuldige Säugling, der beim Wort Taufe vor unserem geistigen Auge erscheint, ist offenbar gar nicht so unschuldig, wie er tut. Wie er das geschafft hat, sich mit Schuld zu beladen, bevor er überhaupt denken und handeln konnte, ist eines der großen Mysterien der christlichen Kirche … Der Täufling erfährt durch diesen Ritus nämlich auch noch seine 'Eingliederung in den gestorbenen und auferstandenen Christus' und damit in die kirchliche Gemeinschaft. … Jetzt verstehen wir, warum die Taufe meistens in einem Alter vollzogen wird, in dem der Delinquent körperlich und geistig noch nicht in der Lage ist, schreiend davonzulaufen." (S. 87/88)
Mit der Taufe hat das Christentum ein Alleinstellungsmerkmal, andere Themen wie die Rolle der Frau, der Umgang mit der Sexualität oder etwa Himmel und Hölle werden auch in den anderen Religionen ausführlich thematisiert und es wird gezeigt, wie sie skrupellos zur Disziplinierung der Gläubigen benutzt werden. Ausführlich wird die Rolle der Frau in den Religionen besprochen. Dokumente der Frauenfeindlichkeit im Alten wie im Neuen Testament werden zitiert, am schlechtesten kommen die Frauen im Koran weg. Aber auch Buddha meinte, dass Frauen die höchste Stufe der Erleuchtung nicht erreichen können. Der Autor stellt humorvolle Spekulationen darüber an, wie die Entwicklung der Religionen verlaufen wäre, wenn Gott durch eine Frau verkörpert worden wäre. Er geht auch der Frage nach, warum alle Religionen die Sexualität so einschränken und mit Verboten und Sanktionen belegen. Lassen wir den Autor in seiner Süffisanz sprechen: "Ein Grund ist sicher die Konkurrenzsituation. Wer gerade ein dringendes sexuelles Bedürfnis verspürt, hat schlicht keinen Bock auf die langen Predigten seines Pfarrers, Bibelstunden oder Meditationsübungen. Und wer braucht ein Paradies im Himmel, wenn er es gerade neben sich im Bette liegen hat." (S. 118) Als Hauptgrund wird aber ein fast trivial anmutender, aber wohl treffender Grund genannt. Die damals bestehende Notwendigkeit nämlich, die Begehrlichkeiten wenigstens innerhalb der eigenen Gemeinschaft unter Kontrolle zu halten, wäre doch ansonsten die soziale Ordnung gefährdet gewesen. Schon das sechste Gebot verdammt bekanntlich die außerehelichen sexuellen Ambitionen. Heute seien diese religiösen Ge- und Verbote nicht mehr erforderlich, da unsere Zivilisation durch Konventionen, gesellschaftliche Normen und Strafrecht so weit stabilisiert sei, dass Sünde und Verdammnis als Drohkulissen und Disziplinierungsmittel nicht mehr gebraucht und auch kaum noch wirken würden.
Die Sünde ist insbesondere in der christlichen Lehre von zentraler Bedeutung. Deshalb gehört das Angebot Gottes, mit dem Kreuzestod von Jesus die Sünden des gläubigen Menschen übernommen zu haben, zu den Kernaussagen der christlichen Botschaft. Dieses blutige Menschenopfer ist tatsächlich unverzichtbare Basis der christlichen Lehre. Insofern legen moderne Theologen – so der Autor – die Axt an ihre eigene Glaubenslehre, wenn sie den Kreuzestod nicht mehr als Sühneopfer deuten und anerkennen wollen. Die ganze Erlösungstheologie würde hinfällig. Was dann vom Glauben bliebe, wäre nach Auffassung des Autors eine humane Verhaltensethik, die man aber auch ohne jede Religion begründen könnte.
Geradezu verwirrend wird es, wenn es um Hölle und Teufel geht. Auch hier zeichnet sich die christliche Lehre gegenüber zum Beispiel dem Islam durch eine bemerkenswerte Differenzierung der Zwischen- und Endstationen im Jenseits aus. Es gäbe die Vorhöllen Limbus patrum und Limbus infantium (Kinderlimbus, unter Papst Benedikt XVI. inzwischen durch göttliche Eingebung "abgeschafft"), das Fegefeuer als Zwischenstation und die eigentliche Hölle. Kabarettreif ist die Klage von Gevatter Tod, der die Expeditionsteilnehmer durchs Jenseits führt, über die Schwierigkeiten der Zuordnung der Verstorbenen zu den verschiedenen Höllentypen. Von Chaos und absoluter Konzeptionslosigkeit "da oben" ist die Rede. Liest man die Details der Foltertechniken in den Höllen der Christen und Muslime und macht sich bewusst, dass ungezählte Gläubige noch heute an solche sadistischen Prozeduren glauben – schließlich handelt es sich bei diesen Schilderungen um angebliches Gotteswort – und diese maßlos fürchten, dann kann man nur zu dem Schluss gelangen, dass ein erheblicher Teil der Menschheit seinen Verstand nicht gebraucht, wenn denn ein solcher überhaupt vorhanden ist. Nur noch Kopfschütteln und Augenrollen bleiben einem, wenn man erfährt, dass der Vatikan beziehungsweise die katholische Kirche noch in den letzten Jahren Abertausende von Priestern zu amtlich befugten Teufelsaustreibern ausgebildet haben. Aber selbst bestimmte Varianten des Buddhismus kennen höllenartige Zwischenstationen zwischen Tod und Wiedergeburt. Und buddhistische Mönche haben, namentlich in Tibet, sogar im Diesseits grausamste Foltertechniken praktiziert, wenn es um die Sicherung ihrer feudalen Herrschaft ging. Überhaupt räumt der Autor mit der im Westen so weitverbreiteten Vorstellung auf, dass der Buddhismus eine Religion der Vernunft und der absoluten Friedfertigkeit sei. Das Gegenteil sei häufig der Fall.
Das vorliegende Buch leistet eine vergleichende und zusammenfassende, dabei informativ kritische Sicht auf die großen Religionen. Der Leser erfährt eine Fülle von Details, die das eigene Bild von diesen kulturprägenden Ideologien weiter vervollständigt. Alle diese Utopien gehen von der Vorstellung aus, dass der Mensch sündig sei und damit die Welt schlecht, und dass der Mensch sich bessern müsse, um in eine bessere und höhere Welt zu gelangen. Dementsprechend folgen alle Religionen den gleichen Konstruktionsprinzipien: Was ist der Mensch? Was darf er erwarten und erhoffen? Was muss er dafür tun? Religionen behaupten, dass sie den Weg zum »richtigen Leben« weisen. Die Absicht, eine "ideale Religion" zu konstruieren, die der Autor zu Beginn seiner Schrift äußerte und deren Elemente er im Zuge der Analyse der verschiedenen Glaubenslehre versuchte zu identifizieren, ließ sich allerdings wenig überraschend nicht realisieren. Diese ideale Religion kann es eben nicht geben, denn Religion bedeutet letztlich immer zu glauben. Der Autor zitiert Nietzsche: "Glauben heißt, nicht wissen wollen, was wahr ist." Die daraus folgende Erkenntnis lautet bekanntlich: Bediene Dich Deines eigenen Verstandes!
Wer sich noch nie ausführlich der Religionskritik gewidmet hat, erfährt in sachlich präziser Weise und in leicht lesbarer Form eine hervorragende Sammlung einschlägiger Argumente gegen jedwede Form von Glaubenslehren. Das Kapitel 10 beispielsweise bietet eine kurz gefasste, aber erschreckende Kriminalgeschichte der Religionen. Der Noch-Gläubige wird sich eingestehen müssen, dass die Ungereimtheiten und Widersprüche der Religionen nicht wegzudiskutieren sind und sie mit ihrer in der Praxis geübten Moral wohl eher in die Kategorie Unmoral gehören. Der schon gut informierte Skeptiker, erst recht der Ungläubige, werden sich vielfach bestätigt fühlen, aber bestimmt noch viel ihnen Unbekanntes erfahren – dem Rezensenten jedenfalls ist es so ergangen. Für den schon länger religionskritisch bis religionsablehnend denkenden Leser stellt die Lektüre des Buches, insbesondere der letzten zusammenfassenden Kapitel, eine Art Resümee und Bestätigung seiner längst gebildeten Auffassung dar. Versehen allerdings mit einer Vielzahl von Blickrichtungen, die er wohl so noch nie eingenommen hat. Was aber die Lektüre über den intellektuellen Gewinn hinaus zu einem Lesevergnügen macht, ist die launige, humorvolle, mitunter ins Kabarettistische gesteigerte Art der Betrachtungen und Beschreibungen. Was dem Kabarettisten durch ironische oder sarkastische Überspitzung gelingt, erreicht unser Autor allein durch die schlichte Präsentation religiöser Aussagen. Sie reizen zum Schmunzeln und Lachen schon aufgrund ihrer Einfalt, Dummheit, Haltlosigkeit, Widersprüchlichkeit, Unsinnigkeit, Weltfremdheit, Absurdität, ….
Der Umfang der Schrift ist aufgrund vergleichsweiser großer Schrift deutlich geringer als anhand der Seitenzahl zu vermuten ist und in vier bis sechs Nachmittagen gut zu bewältigen. Das zusammenfassende Urteil über dieses religionskritische Buch der so ganz anderen Art lautet ohne Zögern: Uneingeschränkt lesenswert!
Ein paar Worte zum Autor: Geboren und aufgewachsen in Deutschland. Viele Jahre im höheren diplomatischen Dienst aktiv gewesen. Gelebt und tätig gewesen in den USA und Asien. Vorliegendes Buch wurde nachberuflich verfasst. Näheres zum Autor auf seiner Webseite https://cdgerion.de.
C. D. Gerion: In die wilde Welt der Weltreligionen – Ein Expeditionsbericht. NIBE Verlag Alsdorf, 2020, 287 S., ISBN 978-3-947002-87-0, Taschenbuch 17,95 Euro, E-Book 12,95 Euro
4 Kommentare
Kommentare
Hans Trutnau am Permanenter Link
Tok sei Dank kommt der Autor zum Schluss, dass es nach dem Motto >prüfet alles und das Gute behaltet< die ideale Religion "nicht gibt, nicht geben kann"; dass vielmehr jede der irdischen Religionen ihr
Und dank >Spott sei Dank< bin ich humorigen Argumenten immer sehr gewogen; also her damit!
Danke, Uwe, für die stimmig neugierig machende Rezension.
Klaus Bernd am Permanenter Link
"der Delinquent ... noch nicht in der Lage ist, schreiend davon zu laufen."
schreiend weglaufen können sie nicht, aber laufend schreien tun die meisten !
Henk de Lamper am Permanenter Link
Das Buch ist ein muß für Atheisten, und die, die es werden wollen.
Sehr amüsant und trotzdem fundiert geschrieben.
Mirlo V. am Permanenter Link
Warum, frage ich, sollte man Atheist werden wollen?
Die Überzeugung (ein Ersatz für Unwiderlegbares), dass es keine wie auch immer geartete "höhere" Instanz geben könne, mag durchaus eher dem Wunsch des "Überzeugten" entspringen als seiner Fähigkeit, auch das andere, schier "unglaubliche" dritte zu denken: Nämlich dass es durchaus einen Gott geben könnte, aber vielleicht keinen "guten"!
Allein: Der Überzeugte wagt es nicht. Denn vor dieser Ungeheuerlichkeit scheint dem zu Recht religionskritischen Weltbetrachter nur die Zuflucht hinein in den heimeligen Atheismus ausreichend Schutz zu gewähren. Getreu dem Motto, dass nicht sein kann, was nicht sein darf. Atheismus und Religion prägen somit die beiden Seiten derselben Münze, auf der steht: "Gott gibt es nur als guten - oder eben gar nicht." Wirklich? Woher wissen wir das?
Wer Lust hat, auf kurzweilige und schwarzhumorige Art noch mehr dieser scheinbaren "Wahrheiten" wanken zu sehen, sei "Frisuren im Sturm" empfohlen, eine tabuloses und rasantes e-book-Roadmovie über einen buchstäblich "abgefahrenen" Gott und die oft unbemerkt in uns "weiterarbeitenden" Weltbilder unserer abendländischen Common-Sense-Kultur.
Ach ja, ich selbst, als ehemaliger Katholik, Evolutionsverfechter, Atheist und sogar Zeuge Jehovas, empfehle nach meinen vielen weltanschaulichen "Leben" gerne den Agnostizismus - denn er lässt alle Türen offen und alle Fragen zu.