Kolumne: Sitte & Anstand

Dusch mein Gehirn, weiser Mann

Spirituelle Lehrer wollen, dass wir uns die Welt wegdenken. Ratsuchende fühlen sich bei ihnen wie ein Baby und wie Gott zur gleichen Zeit. Wie machen die das bloß? Drei Kniffe in der Gesprächsführung kriegen fast jeden. Wir haben bei Rupert Spira hingeschaut, erleuchteter Nondualist sowie auch Töpfer von Rang.

Neulich bin ich mal wieder auf das Video eines weisen Mannes gestoßen worden, der irgendwo oben auf einer Klippe über dem Meer stand, malerisch gegen den Wind ansprach und, von dessen Störgeräuschen unterbrochen, allen Zuschauern Mut und Stärke zusprach für diese unglaublich unsicheren Zeiten (die vermutlich nur auf einer Klippe, fernab von Armut, Krieg und Krise, irgendwie aushaltbar sind). Der Mann hatte eine wirklich unfassbar nervige Art, anfallartig halb zu lächeln, stockend zu sprechen und dabei im Großen und Ganzen nichts Greifbares zu sagen, und ich sah, dass Hunderttausende dieses Video angesehen hatten und nun wohl im Herzen tragen. Ich sah es daher als meine Pflicht an, mehr über diesen Mann herauszubekommen, der auf nie zuvor gesehene Weise gleichzeitig spiritueller Wegweiser (oder wie man sagen soll) – und Töpfer ist.

Als Töpfer ist Rupert Spira zu großen Ehren gekommen, seine Spezialität sind Töpfe und Schalen, in die er Gedichte mit eintöpfert oder -ritzt, und die Sachen haben eine fragile Eleganz, die jeden Manufactum-Katalog zieren und in jedem Wohnzimmer für eine gewisse stilvolle Unbehaglichkeit sorgen, so fragil sind die Gefäße meist, die der Mann da hergestellt hat: Töpfern, in Schlamm und Erde wühlen, da hat er sich wohl einen guten Ausgleich geschaffen für sein sonstiges Treiben. Sonst nämlich reist er umher und erzählt den Leuten, wenn ich alles richtig verstehe, dass es die materielle Welt nicht wirklich gibt. Die Leute scheint das zu beruhigen: Sie tragen ihre Körper voller Wehwechen und Zweifel zu dem weisen Mann, dann sagt er ihnen, dass diese Körper gar nicht existent sind, und dann fühlen sich viele besser für den Moment. Um ihn besser zu verstehen, habe ich sein neuestes Video auf Youtube angesehen, und da sitzt Rupert Spira neben einem Blumentopf vor einer Gardine, so wie er oft neben Blumentöpfen vor Gardinen sitzt, und der Blumentopf, wenn wir das mal ausdeuten wollen, deutet an, dass Rupert Spira viel mehr ist als nur Rupert Spira, denn das, was sich als Rupert Spira manifestiert, manifestiert sich eben auch als Blumentopf.

Oder ist das zu viel zu schnell gesagt? Man darf ja nie zu rasch behaupten, alles verstanden und durchdrungen zu haben, eher scheint Verlangsamung, scheint das Herunterbremsen ein zentraler Bestandteil des spirituellen Weges zu sein, den Rupert Spira anbietet, und der als "Nondualität" vermarktet wird. Was da nun dahinter steckt? Ich gebe mir ein Video lang Zeit, es herauszubekommen: Eine Frau im Publikum fragt den Gardinen-Blumentopf-Mann etwas. Der Körper, sagt sie, sei ja wohl nur ein Bild aus Sinneseindrücken des Geistes – wo aber kämen Krankheiten her, oder Genmutationen? Und hier nun zeigt sich die überlegene Philosophie des weisen Mannes, dessen größere Schüsseln gerne mal 2.000 Pfund kosten können, auch haben wir Poem-Vasen zu ca 5.000 Pfund das Paar gesehen. Rupert Spira jedenfalls zeigt, was den wahrhaft großen Geist ausmacht, es ist das Dominanzgebaren im Gespräch.

Drei rhetorische Kampftechniken nutzt er weidlich. Zunächst einmal sind da die Pausen, die er lässt und die sich gerne mal bis zu einer halben Minute hinziehen können, eine klassische Machtdemonstration: Wenn hier jemand was zu sagen hat, dann bin ich das, und wenn hier jemand nichts zu sagen hat, dann bin das auch ich. Zweitens spricht der weise Mann durchgängig mit einer Stimme, für die andere Menschen zwei Stunden Kerzenlicht, vier Gläser Rotwein und einen intensiven Begattungswillen bräuchten. Drittens begibt er sich bei erster Gelegenheit in eine Befehlsposition und nutzt diese dazu, die Menschen in einen Zustand der Regression zu drücken. Die Fragerin im Video etwa soll die Augen schließen und wird rattenfix gerüffelt, wenn sie sie versehentlich doch nochmal aufmacht. Und egal, was sie sagt, immer soll sie sich vorstellen, sie sei ein neugeborenes Baby. Das neugeborene Baby nämlich, so die Philosophie, wisse noch nichts von Schmerz und ähnlichen Zuordnungen, es lasse alle Erfahrung noch rein und pur auf sich wirken.

Wie viele neugeborene Babys interviewt worden sind, um zu dieser Erkenntnis zu gelangen, wissen wir nicht, können aber auch nicht verhehlen, dass eine solche Gesprächsführung natürlich ihre Wirkung tut. Egal mit welchen Fragen, Sorgen, Nöten man auf den weisen Mann zugeeilt kommt, er versteht sich auf die Kunst des scheinbar sanften, nichtssagenden, irgendwie betörenden Einfangens. Indem die Fragerin sich an ihn wendet, hat er, auf seiner Bühne sitzend, mit seinem Blumentopf, im Prinzip schon gewonnen. Redet ihr von oben herunter ihre Schmerzen aus. Rubbelt seinen linken Daumen mit dem Rechten, obwohl der Körper nur eine Einbildung ist. Rubbelt dann ein bisschen am Knie. Er hat alle Zeit der Welt. Er kann Pausen lassen, so lang wie er will, bis auch der wildeste Mustang unter den Fragestellern sich ausgebockt hat. Das spürt er. Lässt noch auf die dringlichsten Fragen eine mystifizierende Pause, spielt das Nachdenkenspiel – um dann sein Standardprogramm herunterzuspulen. Der Schmerz, den du spürst, ist er nicht nur in deinem Bewusstsein, und überlagert nicht das Bewusstsein deine Empfindung mit einer Interpretation?

Diese Gehirndusche zielt auf Entfremdung vom Selbst: Deine Gefühle sind nichtig. In Wahrheit gibt es nur ein einziges, allumfassendes Bewusstsein, der vermeintliche Schmerz aber ist nur Ausdruck deines lokalen, beschränkten Bewusstseins. So wird dem Hilfesuchenden ein doppelter Köder vorgehalten, der Seelenfrieden verspricht: Infantilisierung durch Regression bei gleichzeitiger Selbstüberhöhung. Denn so man möchte, wird man eins mit dem allumfassenden Bewusstsein, wird also quasi göttlich und dabei doch so waberig und weltfern, wie man sich das Innere des Kopfs beim viel bemühten Neugeborenen denkt. Jeder Mensch, so heißt es hier, sei nur eine von unzähligen, finiten Manifestationen, mit denen das große Bewusstsein sich in der Materie lokalisiere, um die Materie zu verstehen – warum? Egal. Wer sich das ausgedacht hat? Steht vielleicht irgendwo in den Büchern. Ob das Leben nicht erst lebenswert ist, wenn man sich nicht ständig über es und seine Härten zu erheben versucht? Einmal, wirklich einmal nur würde man ja schon gerne sehen, wie der weise Mann voll mit dem Knie an die Tischkante kracht und das dann weglächelt.

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