Eine subjektive Antwort auf Matthias Freyberg

Was denkt und wie lebt ein Humanist?

Der Humanistische Pressedienst hat Ende Juli einen Artikel von Matthias Freyberg veröffentlicht: "Lebenssinn und der Mut zu sich selbst". Dem Buchautor Uwe Lehnert genügten die darin geäußerten Gedanken darüber, dass wir einer mitleidlosen Natur ausgeliefert sind, nicht. Er versucht aufzuzeigen, wie ein Humanist denkt und lebt.

Martin Freyberg liefert eine aspektreiche Beschreibung unserer Situation als "ins Dasein geworfene Wesen", wie eine bekannte philosophisch-theologische Wendung gern formuliert. Er stellt zu Recht fest, dass die Natur uns gegenüber mitleidlos ist und uns keinen Hinweis liefert, was der Sinn unserer Existenz hier sein könnte. Er fragt deshalb: Wo stehe ich mit meinen Bedürfnissen und Wünschen? Was treibt mich an, worauf hoffe ich, was ist mir wichtig?

Freyberg rührt damit an jene grundlegenden weltanschaulichen Fragen, die den nachdenkenden Menschen umtreiben, solange er schon über sich und die Welt reflektiert: "Was ist die Welt, was ist der Mensch? Was ist gut, was ist böse? Was darf ich erwarten, was soll ich tun?" Gefragt ist gewissermaßen nach einer "Storyline" für unser Leben, für die Gestaltung unseres zwischen Geburt und Tod eingefügten Daseins. Ich versuche mal aus ganz subjektiver Sicht, darauf eine Antwort zu geben.

Die Säulen einer naturalistisch-humanistischen Weltanschauung

Ich kennzeichne meine Weltanschauung schlagwortartig durch drei Säulen: Ein naturalistisches Weltbild, ein säkulares Wertesystem und eine strikte Diesseitsorientierung. Diese drei Säulen einer naturalistisch-humanistischen Weltanschauung bilden in groben Zügen das, was wir heute den "Neuen Humanismus" nennen. Für mich persönlich würde ich mein humanistisches Bekenntnis so beschreiben:

Erstens: Ich betrachte das, was die heutigen Naturwissenschaften, die Wissenschaften von der Wirklichkeit, als derzeit gesicherte Erkenntnis ansehen, für mich zunächst einmal als maßgebend für alle weiteren Überlegungen. Vor allem ist es die rationale, logische und systematische Denkweise der heutigen Naturwissenschaften und ihre empirische Verankerung, die ich mir zum Vorbild genommen habe. Nach meiner Überzeugung bilden rational-logisches Denken und naturwissenschaftlich erarbeitetes Wissen die sicherste und intellektuell befriedigendste Basis für unser Denken und Handeln.

Denn worüber man nichts Begründetes sagen kann, kann man allenfalls spekulieren. Sich seines Denkvermögens zu bedienen, heißt deshalb für mich, nichts zu "glauben", was dem Verstand und wissenschaftlicher Erkenntnis eindeutig widerspricht. Ich bin höchst skeptisch allem gegenüber, was für sich Gültigkeit, ja Wahrheit beansprucht, ohne dafür wenigstens plausible Gründe angeben zu können. Dennoch ist nicht zu bestreiten, dass Wissenschaft heute noch vieles nicht erklären kann, und dass unser Wissen vielleicht niemals vollständig sein wird. Insofern gilt es offenzubleiben für neue und überraschende Entwicklungen und Einsichten, die geeignet sind, bisher nicht Angezweifeltes in Frage zu stellen.

Zweitens: Ein säkulares Wertesystem kennt statt einer göttlich gestifteten Moral eine vernunftbasierte Ethik. Die Jahrtausende alte Regel "Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu" stellt eigentlich schon ein umfassendes Gebot friedlichen Zusammenlebens dar. Und es gilt vor allem deswegen Gutes zu tun, weil es gut ist, nicht weil eine Gottheit ganz hoch oben Belohnung verspricht.

Ein säkulares Wertesystem orientiert seine Normen und Regeln an den fundamentalen Bedürfnissen und Interessen der Menschen. Der Mensch setzt also die Norm, nicht eine unsichtbare Gottheit über uns. Dieses säkulare Wertesystem hat evolutionär entstandene Wurzeln und artikuliert sich heute in humanistischen Grundsätzen und allgemein anerkannten Menschenrechten wie Selbstbestimmung, Gleichberechtigung, Solidarität, soziale Gerechtigkeit, wohlüberlegte Toleranz, zum Beispiel gegenüber einem privat gelebten Glauben.

Im Zentrum meines humanistischen Konzepts steht jedenfalls die Aussage – die in den Ohren gottgläubiger Menschen wie eine Provokation klingen mag –, dass letztlich Menschen vereinbaren und festlegen, was gut oder schlecht, was erstrebenswert oder abzulehnen sei. Da Menschen naturgemäß unterschiedliche Bedürfnisse und Interessen haben, sollte in diesem Zusammenhang das Prinzip des fairen Interessenausgleichs gelten. Das bedeutet, dass man sich um der Gerechtigkeit und des sozialen Friedens willen immer zu fragen hat: Was ist gleichermaßen gut und akzeptabel für alle Betroffenen?

Und drittens: Meine strikte Diesseitsorientierung basiert auf der Einsicht, dass ich höchstwahrscheinlich nur dieses eine Leben habe. Folglich sollte ich versuchen, das Bestmögliche aus meinem Leben zu machen. Dieses Streben nach Erfüllung meines Lebens muss aber immer auch den Mitmenschen im Blick haben, der ebenso glücklich werden will. Deshalb gelingt ein erfülltes Leben vermutlich am besten dadurch, dass man sich gesellschaftlich engagiert, sei es im politischen, im humanitären, vielleicht im künstlerischen Bereich. Die ganz generelle Frage lautet daher: Was kann ich tun, um anderen Menschen zu mehr "Glück" – in welcher Form auch immer – zu verhelfen, was kann ich tun, um "Leid" zu mindern?

Der Philosoph Peter Singer hat das mal so formuliert: "Je mehr wir für andere leben, desto zufriedener leben wir. (…) Wir können die Welt ein klein wenig besser hinterlassen, als sie es gewesen wäre, wenn wir nie existiert hätten. Wir können dies erreichen, indem wir die Schmerzen und Leiden der Geschöpfe in der Welt verringern; oder umgekehrt, indem wir ihnen zu mehr Glück und Freude verhelfen." Und schließlich: Wer sich bemüht hat und wem es gelungen ist, auf ein erfülltes, glückliches Leben zurückblicken zu können, dem wird es leichter fallen, von dieser Lebensbühne wieder abzutreten.

Wenn man so will, kann man mich einen "bekennenden, undogmatischen Atheisten" nennen. Ich selbst verwende für mich den Begriff Atheist kaum, obwohl von meiner Auffassung her eine solche Bezeichnung zutreffend wäre. Den Begriff Humanist halte ich für angemessener und aussagekräftiger. Ich definiere meine Weltanschauung weniger durch Negation einer Auffassung als vielmehr positiv durch Charakterisierung der Komponenten, die meine Weltanschauung beschreiben: ein naturalistisches Weltbild, ein säkular begründetes Wertesystem und eine strikte Diesseitsorientierung. Sie sind das Ergebnis meines "vernunftgeleiteten" Nachdenkens und das vieler anderer Menschen über die Welt und unsere Rolle darin. Ein persönlicher Gott und barmherziger Weltenlenker kommt in meinem Weltbild nicht vor, denn ich kann beim besten Willen die Grundlagen zu einem solchen Glauben nicht erkennen.

Metaphysische Fragen, die jenseits der rationalen Bewältigung des Alltags liegen

Einer naturalistischen Weltanschauung wird gern "emotionale Armut" vorgeworfen, eine "reduzierte Wirklichkeitswahrnehmung" oder "Blindheit gegenüber den seelischen Bedürfnissen eines Menschen, der sich in existenzieller Not befindet". Diese Vorwürfe sind nicht ganz unberechtigt. Wer Religionen ablehnend gegenübersteht, auch die Idee eines Jenseits verwirft, meidet eher das Nachdenken über Themen, die den Alltag "transzendieren", Fragen, die sozusagen die "letzten Dinge" betreffen. Denn Nichtgläubige haben die Sorge, wie gehabt, wieder in irrationales oder esoterisches Fahrwasser zu geraten.

Dennoch befassen sich auch Nichtreligiöse mit Fragen, die jenseits der rationalen Bewältigung des Alltags liegen. Auch Nichtgläubige denken über den Urgrund allen Seins nach, über die Unbegreiflichkeit der Realität, kennen Gefühle des Einssein mit der Natur, bedenken das eigene Ende. Solche Themen sprechen – wie man sagen könnte – eine Art "spirituelle" Dimension an – oder wie man es auch bezeichnen mag – und werden von vielen Nichtreligiösen inzwischen, wenn auch mit großer Zurückhaltung, als eine den Blick auf das Dasein erweiternde, wenn nicht bereichernde Dimension wahrgenommen. Dies umso mehr, je weniger solche Vorstellungen und Gedanken heutiger Philosophie und Wissenschaft widersprechen.

Bei dem Gedanken an die Endlichkeit der eigenen Existenz allerdings bietet die Verheißung auf ein Weiterleben im Jenseits einem Nichtgläubigen keinen Trost. Zu offenkundig ist dieses religiöse Versprechen für ihn bloßes Wunschdenken. Ein Humanist im oben beschriebenen Sinne wird ohne das Versprechen eines ewigen Lebens daher mehr Mut und Kraft aufbringen müssen. Dies wird ihm leichter gelingen, wenn er mit Einsicht und Gelassenheit akzeptiert hat, dass die Natur uns Menschen nur einen einmaligen und im kosmischen Maßstab gesehen flüchtigen Auftritt auf diesem Planeten gewährt.

Der Christ wird auf das ihm versprochene ewige Leben verweisen und darin am Lebensende seinen Trost finden, jedenfalls ist dieses Versprechen essenzieller Teil seines Glaubensbekenntnisses. Ich kann jedoch diese Verheißung nur als Illusion ansehen, geboren aus dem brennenden Wunsch nach Weiterleben.

Ist es wirklich so, dass ein Christ am Ende seines Lebens tatsächlich Trost im Glauben findet, besonders wenn er noch vergleichsweise jung sterben muss? Die Angehörigen sind zutiefst erschüttert, viele hadern mit Gott und zweifeln an dessen Güte. Warum diese unendliche Trauer, wenn doch bei christlicher Lebensführung das Paradies winkt? Zumindest ein alter, aber gottesfürchtiger Mensch müsste bei seinem Ableben eigentlich von seinen Verwandten und Freunden beneidet werden. Geht er doch Gott entgegen. Warum diese tiefe, oft verzweifelte Trauer, wenn man ihn doch wiedersehen wird?

Trost nicht durch göttliche Verheißung

Mein Denken ist deshalb ein anderes als das eines gläubigen Christen, der auf Gott setzt und auf ein ewiges Leben hofft. Ein Mensch, der schon als Kind behutsam zu der Einsicht geführt wird, dass der Tod zum Leben gehört, dass der Tod das natürliche Ende eines Lebens ist, dass es wohl keinen gütigen Gott über ihm gibt, dass er aber auch nicht vor den Zufälligkeiten des Lebens geschützt ist, wie Krankheiten oder Unfällen etwa; ein Mensch, dem frühzeitig bewusst wird, dass er nur dieses eine Leben hat und dass er den Sinn seines Lebens nur hier auf Erden finden kann, wird ein anderes Leben führen als ein Christ.

Uwe Lehnert ist Autor des religionskritischen Buches "Warum ich kein Christ sein will"
Uwe Lehnert ist Autor des religionskritischen Buches "Warum ich kein Christ sein will"

Er wird sich bemühen, viel konsequenter sein Leben so zu gestalten, dass er positive Spuren hinterlässt: Kinder und Enkel, ein Haus für die Nachkommen, eine politische Leistung, die vielen Menschen Frieden und Wohlstand brachte, ein die Zeit überdauerndes künstlerisches Werk, ein berühmtes Bauwerk, eine das Leben erleichternde Erfindung – irgendeine persönliche Leistung, auf die er mit Genugtuung oder gar Stolz schauen kann. Besonders dann, wenn ihm so etwas gelungen ist und er vielleicht dank Medizin ein langes Leben hatte, kann er ruhig und gefasst von dieser Lebensbühne abtreten.

Viele glaubensfreie Menschen haben an ihrem Lebensende gezeigt, welche Stärke und Gelassenheit sie aus einer so gereiften Einstellung zum Leben und dessen Ende beziehen, welcher innere Friede sie erfasst hat, wenn sie – ja, so möchte ich es formulieren – keine falsche Hoffnung mehr hegen. Ich denke, "wer sein Feld bestellt hat", wird am Ende auch loslassen können, ohne Verzweiflung und ohne Angst vor dem Tod.

Was aber sage ich einem noch jungen Menschen, dem eine tückische Krankheit das Leben nimmt? Es fällt mir nicht leicht, hierauf eine tröstende Antwort zu finden. Aber was kann ein gläubiger Christ dazu sagen? Überzeugt und tröstet sein Hinweis auf Auferstehung und ewiges Leben einen Menschen von heute noch? Das gern verdrängte, unheilschwangere Wort vom Schicksal erinnert daran, dass wir eben nicht alles in der Hand haben. Philosophie, Soziologie, auch die Evolutionstheorie, bezeichnen diese prinzipielle Offenheit der Zukunft, dieses nicht plan- und vorhersehbare Geschehen und die damit verbundene Ungewissheit mit dem abstrakten Begriff Kontingenz. Diese hat mit Zufall und Unberechenbarkeit zu tun.

Die Theologen verweisen hier auf Gottes unerforschlichen Ratschluss, seinen souveränen Willen, trösten mit Verheißungen und verweisen auf das Paradies. Die Naturwissenschaften und die aus ihr hervorgegangenen Technologien bieten insofern realen Trost und begründete Hoffnung, als sie inzwischen wesentliche, Not wendende Beiträge zur Bekämpfung von Hunger, von Schmerzen, von Krankheiten und zur Bändigung von Naturkatastrophen vorweisen können und zukünftig wohl auch für derzeit noch nicht beherrschbares Leid. Von den Früchten der Wissenschaften und den daraus entstandenen Technologien haben inzwischen Abermillionen von Menschen profitieren und zumindest länger leben können. Dort, wo die Religionen noch die Lebensverhältnisse bestimmen, lebt die weit überwiegende Zahl der Menschen hinsichtlich ihrer Lebensqualität noch im Mittelalter.

Uwe Lehnert ist Autor des religionskritischen Buches "Warum ich kein Christ sein will – Mein Weg vom christlichen Glauben zu einer naturalistisch-humanistischen Weltanschauung", Tectum Wissenschaftsverlag (Nomos Verlagsgruppe), 2018, 7., vollständig überarbeitete und aktualisierte Auflage, Hardcover, 489 Seiten, 19,95 Euro.

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