BERLIN. (hpd) Die Humanistische Akademie Berlin-Brandenburg lud gestern zur Präsentation des Handbuches "Humanismus: Grundbegriffe" ein. Die drei Herausgeber, Hubert Cancik, Horst Groschopp und Frieder Otto Wolf sowie einige der Autoren waren anwesend. Marie Schubenz ist eine der AutorInnen und redaktionelle Mitarbeiterin und gab einen Bericht über die Entstehung des Buches. Der hpd veröffentlicht diesen Beitrag leicht gekürzt.
Eine meiner Lieblingsschriftstellerinnen und übrigens auch eine große Humanistin – die DDR Autorin Irmtraud Morgner – hat im zweiten Band ihrer Roman-Triologie über das Leben der Trobadora Beatriz de Dia die elfte Feuerbachthese von Marx dahingehend aktualisiert, dass sie feststellt: "Die Philosophen haben die Welt bisher nur männlich interpretiert. Es kommt aber darauf an, sie auch weiblich zu interpretieren, um sie menschlich verändern zu können." (Amanda, S. 312)
Auch wenn das schon wieder ein paar Jahrzehnte her ist und das "weiblich" heute wiederum mit einem Sternchen versehen werden müsste, trifft es immer noch einen wichtigen Punkt.
Auch in diesem Handbuch sind die vier Autorinnen, von denen ich eine bin, in der Minderheit. Ähnlich ergeht es wohl den historischen Humanistinnen und ihrer Bedeutung – sicherlich eines der Forschungsdesiderata der erst am Anfang stehenden Humanismus-Forschung.
Über das Kolloquium an der Freien Universität (FU), das Frieder Otto Wolf und Hubert Cancik seit einigen Jahren dieser Humanismus-Forschung widmen, bin ich auch zu der Arbeit an dem Handbuch gestoßen. Die Herausforderung einen lexikalischen Artikel zu verfassen, hätte ich vermutlich ohne dieses produktive und herzliche Arbeitsumfeld, so nicht angenommen. Aber der gemeinsame Austausch in diesem kleinen Kreis, der ganz anders als sonst heute im neoliberalen Universitätsbetrieb üblich, einen Denk-Raum öffnet, um auf eine kooperative Weise "durch entsprechende Forschungen die Voraussetzungen und Grundlagen eines zeitgenössischen Humanismus zu klären", wie es in der schlichten Ankündigung heißt. Diese unaufgeregte, ernsthafte und beharrliche Form die sich wenig schert um Rankings und Selbst-Darstellungen, sondern Fragen auslotet, Stränge verfolgt, Bezüge herstellt und gemeinsam versucht diese zu vermitteln, hat mich sehr beeindruckt. Ein geistiges und soziales Umfeld das in der Akademie als Unternehmen so kaum mehr zu finden ist.
Auf diese Art konnte ich in die Arbeit an dem Handbuch sprichwörtlich hineinwachsen. Ich erinnere mich noch gut an die ersten Schreib-Werkstätten im Club-Haus der FU in Dahlem. Ein sehr schönes Format für die Arbeit an den Artikeln. Leider nicht einfach umzusetzen, da solche Entstehungsprozesse immer mit allerlei Ungleichzeitigkeiten zu kämpfen haben.
Von heute aus betrachtet würde ich sagen, die Werkstatt-Wochenenden hätten wir noch intensiver bestreiten können. Aber mit der Zeit im Nacken und den Abgabeterminen, die unzählige Male verschoben wurden taucht ein weiterer wichtiger Widerspruch auf.
Das Stichwort Zeit, das (bezeichnenderweise?) nicht unter diesen Grundbegriffen ist.
Der Soziologe Hartmut Rosa verweist unter dem Titel "Beschleunigung" auf ein gesellschaftliches Phänomen unseres jungen Jahrtausends: Die gefühlte Verknappung der Zeit, die dem tatsächlich eher konstanten Zugewinn an frei verfügbarer Zeit entgegen steht. Mit den gegenwärtigen ökonomischen, technologischen und sozialen Bewegungen scheint die Wahrnehmung verbunden zu sein, dass sich die "Poren des Alltags" schließen. Ich glaube dies kann auch als eines der Hindernisse bei der Arbeit an den Humanistischen Grundbegriffen gesehen werden. Eine solch enzyklopädische Arbeit braucht Zeit – und Ruhe, also eine bestimmte Art von Zeit. Andere Formen zusammen zu arbeiten, Kooperations- und Beratungsprozesse brauchen Zeit sich zu entfalten.
Ich selber habe eine ganze Zeit gebraucht um zu verstehen, worum es überhaupt geht.
Erst als ich im Zuge der Fertigstellung noch tiefer in die redaktionelle Mitarbeit eingestiegen bin – und eigentlich meine gesamte Zeit und Aufmerksamkeit dem gewidmet habe, hatte ich langsam das Gefühl so könnte es gehen.
8 Kommentare
Kommentare
Frank Roßner, H... am Permanenter Link
Liebe Marie Schubenz und liebe Redaktion,
danke für den Blick von Innen.
Bin gespannt, was der Rezensent vom Dienst des HPD dazu bemerken wird.
JM am Permanenter Link
Ich habe den Artikel mit großem Interesse angefangen zu lesen konnte mich aber nicht bis zum Ende durchkämpfen.
Frank Nicolai am Permanenter Link
Sehr geehrte/r JM,
der Artikel ist - wie oben erwähnt - der Abdruck einer gestern gehaltenen Rede. Und das "Thema meines Artikels" nimmt Bezug auf das Thema, dass Frau Schubenz im vorgestellten Buch bearbeitet hat; nicht auf das Thema der hier veröffentlichten Rede.
MfG
Frank Nicolai
Atheist Steinbrenner am Permanenter Link
Grundlegende Bücher über Humanismus müssen anscheinend extrem teuer sein, damit Sie kaum jemand kauft, liest oder rezipiert.
Wenn die Autoren die hier wie dort auch aktiv in Humanistischen Organisationen sind eine Verbreitung des Gedankenguts wünschten, wären wohl in beiden Fällen eher 20-30 EUR denn um die 150 EUR angemessen. So muss man sich schon Fragen ob dem legitimen Wunsch Einkommen mit diesen Büchern zu erzielen, nicht das Ziel der Verbreitung der eigenen Weltanschauung mit Hilfe derselben geopfert wird.
Horst Groschopp am Permanenter Link
Ach, armer Herr Steinbrenner, es lohnt sich, bevor Sie auf die Herausgeber und Autoren wegen des Preises losdonnern und weitere Schlüsse ziehen, sich sachkundig zu machen, wie der Buchmarkt funktioniert, was dazu bere
wbretier am Permanenter Link
Ach, armer Herr Groschopp
Wenn es nicht die Autoren und Herausgeber sind, wer ist es dann? Bleibt nur noch der Verlag vermutlich.
Hopf, Arnulf am Permanenter Link
auc h ich bin erschrocken ob des hohen Verkaufpreises.
Heutzutage sind Druck- und Verbreitungswege möglich,die offensichtlich nicht alle geprüft wurden.
Rüdiger Weida am Permanenter Link
Ich warte auf das Buch überhaupt nicht.
Humanismus aus Sicht des HVD und unter Mitwirkung eines Autoren, der hier durch seinen Kommtar gezeigt hat, was er unter praktischem Humanismus versteht, wären mir nicht mal 20,- Euro wert.
So habe ich auch kein Problem mit dem jetzigen Preis. :)