Beschneidung, Beschneider und Beschnittene

Das Entfernen der Penis-Vorhaut ist ein folgenschwerer Eingriff. Es ist ein großer Unterschied, ob dies bei einem einwilligungsunfähigen Kind fremdbestimmt durchgeführt wird oder ob sich ein Erwachsener aufgrund medizinischer Erwägungen bewusst dazu entscheidet. Würden Humanisten beschließen, zum Beispiel das Abschneiden eines Teils des Ohrläppchens bei ihren Kindern zum Ritual zu erheben, wäre die Empörung sicher groß – auch von religiöser Seite.

Ich war längst aus jeder Kirche ausgetreten und schon älter als 30 Jahre, als ich beschnitten wurde. Meine leichte Phimose war nicht der Grund, bisher hatte sie nie wirklich beim Liebemachen gestört. Eine beginnende Lichensklerose, die auf die Innenseite der Vorhaut übergriff, war der tiefere Grund für die Zirkumzision. Sollte sich die Sklerose weiter ausbreiten, hätte das zu einer wirklich üblen Vorhautverengung führen können und Lichensklerosen werden auch als Vorstufen möglichen Hautkrebses angesehen.

Freiwillige Entscheidung im Erwachsenenalter

Bei mir war aber alles noch harmlos. Ich wurde beschnitten, die Lichensklerose gestoppt und alles war gut. Wie ich beschnitten wurde? Ambulant, in der Praxis eines Urologen. Der Doc und seine Assistentin schnitten mir bei örtlicher Betäubung die ganze Vorhaut weg. Liegend war mir die Sicht aufs Operationsfeld durch einen Tuchvorhang versperrt, ab und zu sah ich blutige Hände übers Tuch aufsteigen, dann hielt der Doc eine Art Tintenfischring in einer Klemme, meinte "Das wär's!" und grinste.

Nichts hat wehgetan. Der Heilungsprozess dauerte knapp sechs Wochen, auch nicht schlimm. Ich könnte also Zeugnis ablegen für die Harmlosigkeit von Beschneidungen. Allerdings: Ich war eben schon über 30 Jahre alt, als ich das Praeputium verlor. Ich hatte mich freiwillig, wenn auch aus präventivmedizinischen Gründen, beschneiden lassen und mit dem Eingriff ging ich keinen Bund mit Gott oder sonst irgendwem ein – die gesetzliche Krankenversicherung einmal außen vor gelassen. Die Beschneidung von Säuglingen oder Jungen allerdings lehne ich strikt ab, weil sie vor allem mit Macht und Unterwerfung zu tun hat und rein gar nichts mit wirklichem Mitgefühl für ein Kind.

Endlich abschaffen: Körperverletzung durch Privilegierte

Wo, außer in religiösen Kartellen, Großkirchen und Sekten wäre es noch möglich, öffentlich (!) an den Genitalien eines Jungen herumzufuhrwerken und ihm einen Teil seines Körpers abzutrennen, sich dabei auf (abergläubische) Traditionen, Rituale und einen damit verbundenen (von Menschen erdachten) Gott zu berufen?

Kann sich irgendjemand den Aufschrei der Öffentlichkeit vorstellen, wenn zum Beispiel organisierte Atheisten- beziehungsweise Humanisten-Eltern unter zertifiziert-fachmedizinischer Betreuung ihren örtlich betäubten Kindern als Säuglinge einen kleinen Teil ihrer Ohrläppchen abschnitten und behaupteten, dies sei notwendig zur Stiftung einer humanistischen Communio? Und symbolisch bedeute es, dass das Kind sein Ohr nicht jedem Scharlatan leihen solle. Es erfahre so körperlich, dass sein Ohr (im übertragenen Sinne) nicht zu ver-"leihen" sei, dass nur intakter Verstand und ein weitgehend intaktes Ohr das Hörverstehen humanistischer Botschaften ermögliche und vor den Einflüsterungen der Abergläubischen schütze.

Vor dem Gesetz sind längst nicht alle gleich

Die Hölle wäre los, Kirchenvertreter aller Couleur würden sich öffentlich empören, Politik, Medien, Justiz und Polizei würden gegen die Entferner eines kleinen Stücks unterer Ohrläppchen drastisch vorgehen. Ich sage nur: Körperverletzung, Misshandlung von Schutzbefohlenen, Paragraf 225 StGB!

Würde man Einwände der atheistischen "Eiferer/Fanatiker/Fundamentalisten" gelten lassen? Etwa den, dass den Kindern kein wirklich spürbarer Schmerz zugefügt würde? Schreibt Wikipedia nicht: "Das Ohrläppchen (lat. Lobulus auriculae) ist der weiche Anhang am unteren Teil der Ohrmuschel. Es dient keiner bekannten biologischen Funktion. (…) Das Ohrläppchen ist nicht sonderlich schmerzempfindlich (Selbstversuche durch Zwicken werden das bestätigen, Anm. d. Autors) und wird deshalb zur Bluttropfenabnahme zu Laborzwecken genutzt."

Natürlich würde der Einwand weggefegt. Das Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit und (zukünftige) Selbstbestimmung seien schließlich höher zu bewerten als die nur scheinbar unantastbaren Rituale und jungen Traditionen organisierter Weltanschauler.

Warum nicht das Ritual reformieren?

Auch der Versuch der Atheisten zu erklären, dass ein Ohrläppchen ohne Schaden für den Menschen entbehrlich und überhaupt in vielen Kulturen das Ohrläppchen der Ort mancher Beschneidung, Tätowierung, Verstümmelung sei, würde nicht fruchten – ebenso wenig wie der Hinweis, dass in vielen Kulturen über vielerlei Schmuck Ohren verformt, gelöchert oder vergrößert würden, die organisierten Humanisten sich da nur auf uralte Traditionen besännen, die sie nun auch in ihre Rituale einbinden wollten.

All dies würde weltweit ausgelacht, zu Recht natürlich. Warum dann aber die Beschneidung von Säuglingen am achten Tag nach der Geburt (Judentum) oder später im Säuglings- oder Kindesalter (Islam) als Wohltat gilt, das weiß wohl nur jener fiktive Gott allein, von dem seine Anhänger wähnen, die Beschneidung besiegelte den Bund mit dieser Fantasie-Figur.

Und wenn denn nun religiöse Gemeinschaften partout nicht von der Beschneidung absehen wollen, warum dann nicht das Ritual reformieren und sie in einem Alter durchführen, in dem ein junger Mann mündig genug wäre, den Akt und dessen Folgen souverän und eigenverantwortlich abzuschätzen? Solche neue Freiheit wäre dann wirklich ein Zeugnis von Menschenliebe.

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