Nach drei Jahren:

Prozess-Beginn zur "Luther-Blockade" beim Reformationsjubiläum in Wittenberg

Nach über drei Jahren Wartezeit fand vergangenen Freitag vor der dritten Kammer des Verwaltungsgerichts Halle der Prozessauftakt gegen die Übergriffe der Behörden auf die Kunstaktion "Der Nackte Luther" am 31. Oktober 2017 in Wittenberg statt. Aktionskünstler, Versammlungsleiter und Kläger David Farago berichtet über den aktuellen Stand der Sachlage, den ersten Prozesstag und das Ziel der Klage.

Rückblick

Trotz sachgerechter Versammlungsanmeldung, umfangreichen telefonischen Koordinierungsgesprächen mit der Ordnungsbehörde Wittenberg und einem schriftlichen Versammlungsbescheid ohne Beschränkungsverfügung wurde unserer Kunstaktion am Tag des Reformationsjubiläums 2017 das Betreten der angemeldeten und ohne Beschränkungen bestätigten Versammlungsflächen von der zuständigen Polizeibehörde verweigert (der hpd berichtete).

Gegen dieses übergriffige Verhalten stellte ich als Versammlungsleiter stellvertretend im Namen des Veranstalters, der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs), Strafanzeige und Strafantrag gemäß Paragraf 21 Versammlungsgesetz Sachsen-Anhalt sowie der Paragrafen 240 und 258 StGB. Zudem reichte ich im Namen der gbs Klage ein, in der festzustellen ist, ob die Polizeiverfügung vom 31. Oktober 2017 11:45 Uhr, mit der uns der Einlass und somit die Fortführung der Versammlung verwehrt wurde, rechtswidrig war und unser Grundrecht gemäß Artikel 8 GG verletzt wurde.

Seit dem eingereichten Strafantrag und der Feststellungsklage Anfang 2018 hatte sich sehr wenig zur Ermittlung des Sachstandes ergeben, verschiedene Zuständigkeiten haben sich seitdem geändert und unzählige Nebelkerzen wurden von der Beklagten abgefeuert. Das Ermittlungsverfahren gegen die vier Polizeibeamten, welche unserer angemeldeten "Kunstaktion mit politischer Willensbildung" den Einlass in den für jeden Passanten begehbaren Bereich auf dem Schlossplatz trotz Versammlungsbescheid verweigert hatten, wurde eingestellt, unsere Beschwerde dagegen wurde von der Generalstaatsanwaltschaft Sachsen-Anhalt zurückgewiesen.

In Absprache mit der Stiftung und den involvierten und beauftragten Juristen haben wir uns dagegen entschieden, gegen das rechtswidrige Verhalten dieser vier Beamten weiter mit einer Klage vor dem Oberlandesgericht in Naumburg vorzugehen, nicht da dieses auf dem Domplatz adressiert ist und damit eine befremdliche geografische Nähe zur Kirche aufweist, sondern da die Klage wenig Aussicht auf Erfolg gehabt hätte.

Allerdings haben wir die Feststellungsklage, ob das Einlassverbot grundsätzlich rechtswidrig war, egal wer es "veranlasst" oder "ausgeführt" hat, bis heute aufrechterhalten. Im Vorfeld der Verhandlung am 6. November versuchte uns das Verwaltungsgericht Halle unter anderem mit dem Hinweis vom Festhalten an der Klage abzuraten, dass dies "Gerichtsgebühren sparend" sei. Dies war nicht der erste Versuch darauf hinzuwirken, die Klage nicht weiter zu verfolgen; dieser befremdlichen Absicht sind wir selbstverständlich nicht nachgekommen.

Zum Prozessauftakt

Zu Beginn der Verhandlung stellte das Gericht unumstößlich fest, dass die Versammlung korrekt angemeldet worden war, der Versammlungsbescheid keinerlei konkrete Einschränkungen beinhaltete und sich die Klage gegen das Nichtpassieren-Dürfen der Kontrollstelle nördlich der Schlossstraße richtet. Nach Begutachtung der von uns neu eingereichten Bilder zur Situation vor Ort wurde mündlich festgehalten, dass auch die Versammlungsbehörde vor Ort gewesen sei, jedoch erst mehr als zwei Stunden nach dem ausgesprochenen Einlassverbot. Eine Begründung dafür war sehr lange verweigert worden und als sie schließlich geäußert wurde, hätte sie rechtswidriger nicht ausfallen können: "Die da oben wollen das nicht!"

Die beklagte Polizeiinspektion Dessau-Roßlau gab an, dass ein Passieren ohne Skulptur jederzeit ohne Weiteres möglich gewesen sei und somit die Versammlung nicht gestört worden wäre. Diese Aussage löste nicht nur bei uns Verständnislosigkeit aus, auch das Gericht bemerkte umgehend, dass die Figur doch wie vom Kläger angegeben zentraler Bestandteil der politischen Willensbildung und damit der Zweck der Versammlung gewesen sei, ein Passieren der Kontrollstelle ohne Skulptur somit selbstredend auszuschließen war.

Die Beklagtenseite versuchte anschließend mit einer Volte den Prozess zu behindern: Es ging um die Tatsache, dass der Kläger im Vorfeld wegen eines von der Beklagten vorgelegten, nicht genauen Planes nicht konkretisieren konnte, ob sich die Einlasskontrolle in Sicherheitsbereich 1 oder 2 befand, somit die Klage wegen einer geografisch nicht einzuordnenden Stelle falsch begründet sei. Der Richter gab zu erkennen, dass er das Verfahren wegen diesem marginalen Detail nicht abschneiden werde, da es sich nur um eine Änderung eines Sachverhaltes und deren Rücknahme, nicht jedoch um den Kern der Klage handele.

Und dieser wurde aus Sicht des Gerichts erneut eindeutig benannt: Die rechtskräftig angemeldete Versammlung wurde durch die zuständige Behörde mit einem Bescheid ohne weitere Beschränkungen bestätigt und dennoch von der Polizei aufgehalten und somit in ihrem Verlauf eklatant behindert. Der Richter verwies hier erneut auf Paragraf 13 des Versammlungsgesetzes und seine Vorgaben, wonach die Behinderung oder Auflösung einer Versammlung oder deren Einschränkung durch Behörden einer Verhältnismäßigkeit unterliegen. Sie darf nicht willkürlich ohne konkrete Gefahrenlage im vorauseilenden Gehorsam behindert oder beendet werden. Der Richter stellte zudem fest, dass "maßgeblich die Regelung gilt: Was ist rechtlich relevant?"

In der darauffolgenden Beweiserhebung stellte er daher die Fragen, ob es zum Zeitpunkt des Einlassverbotes denn bereits zu voll und eine Gefahr erkennbar gewesen sei. Beides stellte er klar in Frage. Und das Gericht stellte fest, dass zwei vom Kläger eingereichte Bilder definitiv belegten, dass selbst noch deutlich nach 14:00 Uhr mehr als ausreichend Platz für eine Figur mit der quadratischen Grundfläche von 1,26 Meter Seitenlänge und den sich über den Köpfen befindenden und über diese Grundfläche hinausragenden Skulptur-Aufbauten gewesen wäre. Ein Zeuge der Klägerseite bestätigte die vom Kläger aufgeführten und bebilderten Tatsachen zu den Verhältnissen vor Ort, der engsten Stelle des Zugangsweges und der noch freien Fläche.

Genügend Platz für den "Nackten Luther"
Eines der beiden Bilder, welches belegt, dass für den "Nackten Luther" auf dem fraglichen Gelände genügend Platz gewesen wäre. (Foto: © Gisa Bodenstein)

Die Beklagtenseite stellte daraufhin Beweisantrag und möchte beim nächsten Prozesstermin mit den Aussagen weiterer Zeugen – des zum Zeitpunkt zuständigen Polizeiführers und seinem Stellvertreter – belegen, dass schon zum Zeitpunkt des Einlassverbotes nicht ausreichend Platz gewesen sei und eine konkrete Gefahr für die Sicherheit bestanden habe. Der Richter erwiderte, dass dies schwer werden würde, da zwei Bilder belegen, dass auch noch nach 14:00 Uhr mehr als ausreichend Platz vorhanden war und zu keiner Zeit eine Gefahr von der Skulptur ausging.

Er erinnerte daran, dass der Maßstab erfüllt werden müsse, die "öffentliche Sicherheit unmittelbar gefährdet" sein müsse und ein milderes Mittel zu wählen sei, da der Eingriff verhältnismäßig sein müsse. Ich schlug dem Gericht einen Ortstermin vor, bei dem wir gerne bereit wären, die Figur dort aufzubauen, um die Verhältnisse der Wirklichkeit entsprechend darzustellen. Ich fügte hinzu, dass am Reformationstag 2017 für die angemeldete Versammlung eigens Beamte vor Ort gewesen seien, um die Sicherheit für Versammlung und Passanten zu garantieren.

Die Verhandlung wurde nach drei Stunden bis voraussichtlich Anfang Januar unterbrochen. Innerhalb von vier Wochen erhält die Beklagtenseite nun Gelegenheit, laut ihrem Antrag Zeugen zu benennen und auch konkret anzugeben, wie diese den belegten Sachstand des Klägers entkräften wollen. Das Gericht beauftragte die Beklagte, einen maßstabsgetreuen Plan mit den zum 31. Oktober 2017 tatsächlich vorhandenen Sicherheitsaufbauten geografisch korrekt einzuzeichnen. Damit sei dann "voraussichtlich ein Ortstermin verzichtbar."

Zudem gab der Richter der Beklagtenseite die Frage mit auf den Weg, ob Gefahrenpotentiale aufgetreten wären, und wenn, wo und aus welchem Grund. Dies müsse die Beklagte belegen. Nach vier Wochen sollen die Anträge und der neu angefertigte Plan der Klägerseite zur Stellungnahme vorgelegt werden; dem Kläger wird dafür dann ebenfalls eine Zeit von vier Wochen eingeräumt.

Eindruck zum Prozessauftakt und Ziel der Klage

Sicher ist es bedauerlich, dass die erfolgte Sachstandsermittlung erst jetzt stattgefunden hat. Fest steht jedoch, dass es unweigerlich wichtig war, auf eine mündliche Verhandlung zu bestehen, da es dem Richter erst dadurch möglich war, sich einen Überblick über die Tatsachen zu verschaffen. Das Gericht machte der Beklagten gegenüber mehr als deutlich, dass es nicht erkennen könne, wie die Aussagen und Bilder der Klageseite widerlegt und entkräftet werden könnten, räumte jedoch die Möglichkeit weiterer Beweisanträge mit neuen Zeugen ein.

Meinem Eindruck nach dürfte es daher sehr schwer werden, dass die Beklagte mit ihren Zeugen und einem neu angefertigten Plan – den wir selbstverständlich auf Richtigkeit prüfen werden – konkrete Gefahren und die Verhältnismäßigkeit der Übergriffe auf unsere Versammlung belegen und damit die dritte Kammer des Verwaltungsgerichts Halle überzeugen können wird.

Die Beklagte gab während der Verhandlung immer wieder nicht der Realität entsprechende Aussagen von sich und entsetzte damit nicht selten sogar den Richter. In manchen Momenten sprachen die Aussagen des Richters erfreulicherweise eine deutliche Sprache, wo die Reise in diesem Prozess hinzugehen scheint. Daher werden wir in jedem Fall an der Klage festhalten, damit rechtskräftig durch ein Gericht festgestellt werden kann, dass die Übergriffe durch Behörden auf unsere Kunstaktionen nicht nur Methode haben, sondern klar rechtswidrig sind.

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