Dass Planeten wie zum Beispiel Mars, Jupiter oder Saturn ihre Position gegen den Fixsternenhintergrund verändern, das heißt "wandern" (von griechisch πλανήτης planētēs = Wanderer), ist seit der Antike bekannt und führte zu ihrem eingedeutschten Begriff "Wandelsterne". Auch dass sie im jährlichen Rhythmus für bestimmte Zeiten ihre Bewegungsrichtung vor dem Sternenhintergrund umkehren und für eine gewisse Zeit rückläufig werden (das heißt eine sogenannte Planetenschleife vollführen), ist ebenso lange bekannt. Aber wie ist eine solche Schleife zu erklären? Hans Trutnau gibt einen historischen und wissenschaftlichen Überblick mit eigenen Bildern. Eine (partielle) Planetenschleife wurde so vermutlich noch nicht publiziert. Das ist Naturwissenschaft pur mit mehr als nur einem Hauch Ästhetik.
Einführung
Einst stand für viele Jahrhunderte die Erde still und, von der römisch-katholischen Kirche zementiert, fest im Mittelpunkt des Universums. Alles drehte sich um sie. Das muss man sich nur einmal vorstellen – auch wenn zuvor Aristarch unserer neuzeitlichen Ansicht schon einmal näher war. Aber immer war die Rückläufigkeit von Planeten ein gewisses Mysterium, das seit der Antike einer Erklärung bedurfte.
In der geozentrischen Vorstellung nach Aristoteles, Apollonios und besonders Ptolemäus wurde mit viel Aufwand versucht, dies mit der Epizykeltheorie zu erklären – man arbeite sich da einmal durch die Epizykel (den Kreisen auf den Kreisen) und Deferenten durch, was um ein Vielfaches komplizierter war (und ist) als mit der heliozentrischen Vorstellung seit der Neuzeit (eingeführt von Kopernikus, Galilei, Kepler & Co), was immer noch recht anspruchsvoll ist!
Eine sehr schöne Animation einer Planetenschleife aus Sicht der Heliozentrik findet sich in Wikipedia gleich in der ersten Abbildung; zwar mit Mars als äußerem Planeten, aber das ist nebensächlich. Zu sehen ist deutlich, dass – wenn die Erde auf ihrer inneren Bahn um die Sonne den äußeren, langsameren Planeten überholt – der äußere Planet, gegen den Sternenhintergrund gesehen, nach der vorherigen rechtläufigen ("prograden") Bewegung nach links eine rückläufige ("retrograde") Bewegung nach rechts beginnt, bevor er sich wieder prograd nach links bewegt und damit insgesamt eine Planetenschleife vollführt.
Seit meinem ersten Bild von Jupiter und seinen vier großen Monden Anfang 2015 versuche ich mit mehr oder weniger Erfolg (meist durch Wolken vereitelt), diese Situation mit meiner Lumix-DMC-FZ1000-Kamera einzufangen – auch, weil seitdem die mehrmonatigen Schleifen jeweils überwiegend im Sommer stattfanden. Dieses Jahr gelang es; zumindest zum Ende der Schleife und darum herum.
Aktuelle Schleife von 2020
Jupiter beendete Mitte September seine diesjährige Planetenschleife. Ich hatte das große Glück, diese Phase zwischen August und Oktober 2020 in Faliraki auf Rhodos, Griechenland, vor fast durchweg wolkenlosem Nachthimmel aufzunehmen. Zu beachten ist, dass die in den folgenden Bildern gezeigten vier großen Monde links und/oder rechts von Jupiter ihre Positionen stündlich ändern, sie nicht immer alle sichtbar sind (weil sie zum Beispiel durch Jupiter verdeckt oder vor ihm im Transit unsichtbar und selbst dicht neben ihm überstrahlt sind), aber ihre Positionen, wie in den Bildern angegeben, stimmen – was mit der webbasierten Applikation "Sky View Café" bei Bedarf überprüft werden kann.
Zu der annähernd senkrecht eingezeichneten weißen Linie in den Bildern vergleiche die nachfolgenden Erläuterungen zu den drei Aufnahmen im Anschluss der Bilder.
Anfang September (Abb. 1) lief Jupiter vor dem Sternenhintergrund noch retrograd (rückläufig) nach rechts, weil er von der Erde auf ihrer (schnelleren) Innenbahn seit Mitte Mai (beim Stillstand 1) überholt wurde; die schnellste Veränderung geschah Mitte Juli in Opposition (das heißt Sonne-Erde-Jupiter in einer Linie stehend).
Am 13. September (Abb. 2) war der Überholvorgang beendet und Jupiter vor dem Sternenhintergrund stationär (im Stillstand 2); die Erde bewegt sich seitdem in Richtung Konjunktion (das heißt zur Linie Erde-Sonne-Jupiter) vom Jupiter weg (vgl. die Wikipedia-Animation).
Nur eine Woche später, am 20. September (Abb. 3), war deutlich sichtbar, dass Jupiter vor dem Sternenhintergrund prograd (rechtläufig) nach links gelaufen ist und dies auch noch bis zum Beginn seiner nächsten Rückläufigkeit am 20. Juni 2021 in seiner kommenden Schleife machen wird. Dann beginnt das "Spiel" von Neuem.
In allen drei Bildern sind dieselben beiden (schwachen) Hintergrundsterne als Referenzpunkte mit einer annähernd senkrechten weißen Linie verbunden; der Abstand Jupiters zu dieser Linie ist entscheidend, wenn es darum geht beziehungsweise ginge, die Veränderung von Tag zu Tag zu bestimmen.
Die Bilder sind in etwa ekliptikparallel aufgenommen; das heißt die Ekliptik, auf der sich Jupiter mit seinen Monden bewegt (und die am Nachthimmel einen großen konvexen Bogen beschreibt), schneidet die weißen Linien annähernd horizontal im rechten Winkel. Derzeit sehen wir das Jupiter-Mond-System in etwa "von der Seite", weswegen dessen beteiligte Himmelskörper annähernd in einer Linie erscheinen.
Die idealisierten Darstellungen von Jupiter und seinen vier großen Monden in Sky View Café sind getreu ekliptikparallel gezeigt (vgl. zum Beispiel den Screenshot-Ausschnitt in Abb. 5). Es versteht sich fast von selbst, dass die Ekliptikparallelität freihand mit einer Kamera (anders als die Horizontparallelität mittels einer integrierten Wasserwaage) nicht hundertprozentig genau getroffen werden kann; daher die weißen Hilfslinien zwischen den Hintergrundsternen.
Die Krönung: Mehrfache Passage Jupiters vor einem Hintergrundstern
Ein besonderes Highlight ergab sich dadurch, dass Jupiter im August kurz vor der Beendigung seiner diesjährigen Schleife einen Hintergrundstern retrograd (nach rechts) passierte (in Sky View Café als "BSC 7327 Sgr" bezeichnet; Sgr = Sagittarius, das heißt Bestandteil im Sternbild Schütze; siehe auch Anhang). Noch vor Ort auf Rhodos reifte daher die Überlegung, dass Jupiter dann nach der Beendigung seiner Schleife (das heißt nach dem Stillstand 2 im Artikelbild) denselben Stern wiederum passieren sollte – und zwar prograd (nach links).
Und genauso war es, wie in Abbildung 4 als Collage von vier Bildern vor und nach dem Stillstand 2 dargestellt. Die Bilder (a+b) wurden im Abstand von nur einem Tag aufgenommen, die Bilder (c+d) im Abstand von drei Tagen; der Bezugsstern BSC 7327 Sgr ist in (a) eingekreist gekennzeichnet und mit dem jeweils hellen Punkt oberhalb von Jupiter in (b-d) identisch. Auf jeden Fall sind die Ortsveränderungen Jupiters retrograd (nach rechts) vor und prograd (nach links) nach dem Stillstand 2 klar erkenntlich:
Es mag Fragen aufwerfen, warum Jupiter nach dem Stillstand 2, also in Abbildung 4 (c+d), deutlicher unterhalb des BSC-Hintergrundsterns erscheint als vorher in (a+b). Das hängt unter anderem damit zusammen, dass sich die Jupiter-Rotationsebene um die Sonne nicht exakt mit der Ekliptikebene (der Bildebene im Titelbild) deckt.
Und außerdem müsste dann doch Jupiter weit vor dem Stillstand 1 bereits denselben Stern ebenfalls prograd (nach links) passiert haben – oder nicht? Ja, das war sogar der Fall; aber bereits Ende Februar dieses Jahres (ohne gutes "seeing" in Eltville) und zudem wegen des Unterschieds zwischen Jupiter-Rotationsebene und Ekliptik etwas oberhalb des BSC-Hintergrundsterns. Da heißt es, genau hinzuschauen und zu recherchieren – was Sky View Café ebenfalls erlaubt.
Fazit
Ganz kurz: Wissenschaft kann nicht nur schön sein, sie ist schön!
Ergänzende Abbildungen
Die eigene Anschauung des Jupiter-Mond-Systems durch den Kamera- oder Teleskop-Sucher ist häufig unklar, sei aber idealisiert in Abbildung 5 wiedergegeben:
Abbildung 6 zeigt die Position Jupiters im Sternbild Schütze in 400 mm Brennweite (zum Bezugsstern BSC 7327 Sgr vgl. den Anhang). Im gesamten Zeitraum zwischen August und Oktober 2020 ist Jupiter in diesem Bildausschnitt sichtbar gewesen; zuerst retrograd nach rechts, hier am 12. Oktober nach dem Stillstand 2 (am 13. September) nach links:
Anhang: Technische Details und weitere Informationen
Alle Fotos und Collagen (soweit nicht anders spezifiziert) von Hans Trutnau:
Freihandaufnahmen (!) mit Panasonic Lumix, Modell DMC-FZ1000 (2015); KB-Brennweite (falls nicht anders vermerkt): 1600 mm; F/4, 1/8 s, ISO-3200. Kein Bild der Serienaufnahmen ist wirklich so scharf, wie es in einem guten Teleskop zu sehen ist (die Monde müssten im Verhältnis zum Jupiter deutlich kleinere Punkte sein); aber das ist das Optimum mit dieser Kamera, das ich bisher mit keinem anderen Modell erreichte. Ein Stativ verbietet sich, weil die Fokussierung etwas trickreich ist und in der dafür benötigten Zeit das Objekt aus dem Fokus gelaufen sein würde. Auch trotz eingeschalteter OIS ist so nur eine von circa 100 Aufnahmen "brauchbar"; denn die kleinen Mond-Pünktchen werden über 1/8 s zu den größeren dots aufsummiert, was häufig eine verschwommene Unschärfe ergibt.
Schon 2019 hatte ich die letzte Schleife von verschiedenen Orten in Europa fast vollständig aufnehmen können, aber das bedeutete die Sichtung von Zehntausenden Fotos – eine rechte Kärrnerarbeit!
Positionen von Jupiter und seinen Monden (nicht nur am Nachthimmel) werden zum Beispiel visualisiert in Sky View Café und dort in "Moons".
Insbesondere danke ich Kerry Shetline auf Facebook für seine Applikation Sky View Café und für sein Einverständnis vom letzten Jahr, hier Bilder aus der App zu benutzen. Die App ist eine absolute Fundgrube für Fans unseres Sonnensystems!
Andere Astronomie-Software-Applikationen sind beziehungsweise waren zum Beispiel "CalSky" (seit Oktober dieses Jahres aber leider eingestellt) und "Stellarium".
Jupiterschleifen-Positionen mit Stillständen, Opposition und Konjunktion; inklusive Vor- und Folgejahre.
Die Bezeichnung BSC bezieht sich auf den Bright Star Catalogue, der fast 10.000 Sterne mit einer Helligkeit Mag. 6,5 oder heller auflistet. Der Stern BCS 7327 Sgr (im Sternbild Schütze) ist mit Mag. 5,6 etwas heller, war aber mit bloßem Auge, besonders in der Nähe Jupiters, kaum mehr zu erkennen.
Inspiriert zu diesem Beitrag hatte mich auch die Wiener Arbeitsgemeinschaft für Astronomie mit ihren vielfältigen Informationen – und vieles sonst; das Netz quillt davon ja förmlich über…
8 Kommentare
Kommentare
Gustav Hohlbein am Permanenter Link
viele Christen glauben bei der großen Konjunktion zwischen 10v und 10n Christus wäre der heiland geboren, das passt zwar historisch und physikalisch nicht aber was solls.
Adam Sedgwick am Permanenter Link
Ja, den Lauf der Gestirne zu verfolgen ist schön. Gerade die Abende der letzten Wochen waren von großer Ästhetik.
Für Naturinteressierte eine Empfehlung: Die Stellung der vier Monde ist im Kosmos Himmelsjahr, das jährlich erscheint, für jeden Tag angegeben. Auch eine ganze Menge andere Angaben astronomischer Ereignisse sind aufgeführt, zum Beispiel die ganz enge Begegnung der beiden größten Planeten Jupiter und Saturn am 21. Dezember um 17:20MEZ.
Hier noch eine Bemerkung zum Thema Bildung. In meiner Vorlesung kannten die meisten Studenten nicht Schleifenbewegung der Planeten, müssten sie doch in der Schule gelernt haben. Es konnte auch keiner sagen, welcher Planet am Abend nach Vorlesung so hell am Westhimmel scheint. (Jetzt ist es der Jupiter und im Osten der auffällig helle rötliche Mars.) Ebenso kannte keiner die drei Keplerschen Gesetze, die zu Beginn des 17. Jahrhunderts etlichen Menschen bekannt waren.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Schön, dass du die Jupiter/Saturn-Begegnung im Dezember erwähnst, Adam; ein weiteres Highlight! Die Überholung Saturns durch Jupiter kann da sogar über mehrere Tage verfolgt werden; die engste Begegnung am 21.12.
Gut auch, dass du auf Giordano Bruno hinweist - war es seinerzeit doch lebensgefährlich, solche ketzerischen Gedanken zu äußern. Aktuell regen wir uns (berechtigt) über durchgeknallte Muslime auf, die andere Leute auf offener Straße enthaupten, aber das ist m.E. nichts gegen das elend lange Leiden auf dem Scheiterhaufen oder gar am Folterkreuz (jeweils *lebendigen* Leibes)! So viel zu 'unserer' zu oft beschworenen christlichen Grundlage unserer Gesellschaft. Ich hatte daran beim Schreiben gedacht, aber das hatte bereits beim Denken die Ästhetik von Grund auf zerstört...
Ruf mich doch mal an!
Andreas Leber am Permanenter Link
Mein Interesse für die Astronomie war bislang zwar groß, aber doch zumeist theoretischer Natur; dieses Jahr allerdings im Sommerurlaub im Schwäbischen Wald, etwas höher gelegen, saßen wir, die ganze Familie, mehrere A
Am beeindruckendsten finde ich, sich klarzumachen, wie klein der sichtbare Ausschnitt des Himmels im Vergleich zur Gesamtgröße des Universums ist. Die Größe eines Sandkorns im Vergleich zum kilometerlangen Sandstrand, mehr ist nicht zu sehen.
Und wir seien die "Krone der Schöpfung"? Das ganze Universum nur für uns da? Das Ausmaß der Lächerlichkeit solcher biblischer Vorstellungen ist so groß ... wie das Universum. Dass es immer noch erwachsene Menschen gibt, die so ein kindisches Zeug glauben, und das im 21. Jhd.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Danke für den Tipp: Star Walk 2, Andreas; das ist eine sehr schöne App, kannte ich noch nicht!
Hans Trutnau am Permanenter Link
Andreas, STAR Walk erlaubt die Verfolgung der Jupiterschleife (wie erwähnt), nur kippt dann die Ekliptik mitsamt der Jupiterbahn sehr schnell diagonal rauf und runter, was die Verfolgung des Bezugssterns schwierig mac
Frank Rossner am Permanenter Link
Lieber Hans,
herzlichen Dank.
MfG aus Thüringen und bleib gesund.
Frank Roßner
Hans Trutnau am Permanenter Link
Danke, lieber Frank, für deine Wünsche!
Ich hoffe, du bist mindestens so gesund wie ich.
Die Jupiter-Schleife war mir ja ein persönliches wissenschaftliches Highlight.
Aus mittel- bis langfristiger Sicht ist meine Rezension des Schellnhuber-Buches aber noch viel wichtiger: https://hpd.de/artikel/selbstverbrennung-schroff-18589
Siehe dort auch das Zitat Schellnhubers über die 'globale soziale Bewegung', fast eine Prophetie - auch und gerade vor dem Hintergrund des gerade ausgestrahlten Films "Ökozid" (in der Mediathek verfügbar: https://www.ardmediathek.de/daserste/video/filmmittwoch-im-ersten/oekozid/das-erste/Y3JpZDovL2Rhc2Vyc3RlLmRlL2ZpbG1taXR0d29jaCBpbSBlcnN0ZW4vZmU2ZmM3YWUtZjkyYS00NzIyLWJjN2MtZmYyZWNjY2Y3NDlh/).
Was P. Altmaier dazu hinterher bei Maischberger abgab, war einfach nur niederschmetternd.
MfG aus Eltville am Rhein
Hans