In einem heute veröffentlichten Appell rufen die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin e.V. (DGIM), die internistischen Schwerpunktgesellschaften und die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF) Ärzte und Wissenschaftler zur verantwortungsbewussten Kommunikation in der Corona-Pandemie auf. Da einige Expertenäußerungen nicht auf Evidenz basierten, werde der falsche Eindruck erweckt, dass es keine einheitliche Auffassung zur Pandemie-Bekämpfung gebe. Das Vertrauen der Bürger in ärztlichen Rat und politische Maßnahmen werde so verringert.
Die Corona-Pandemie hat in Deutschland – wie in vielen anderen Ländern – die Meinung und den Rat von medizinischen Experten und Forschern in das Zentrum öffentlicher Debatten gestellt. Täglich werden Ärzte oder medizinische Wissenschaftler in den Medien zu ihrer Meinung befragt. Diese Situation erfordert von den befragten Experten ein hohes Maß an Fachkenntnissen, aber auch an Verantwortung und nicht zuletzt an ethischer und politischer Reflexion. Dieser Verantwortung werden Ärzte und Wissenschaftler leider nicht immer gerecht.
Einer der wesentlichen Gründe dafür ist, dass viele Expertenäußerungen nicht auf Evidenz basieren, nicht abgestimmt werden und daher in ihrer Gesamtheit den Eindruck erwecken, dass es unter den Experten keine einheitliche Auffassung zur Pandemie-Bekämpfung gibt. In besonderer Weise können Mitteilungen kontraproduktiv wirken, die gezielt zum Zeitpunkt der Bekanntgabe von Maßnahmen der politischen Entscheidungsträger lanciert werden und davon abweichende Maßnahmen empfehlen. Sie unterhöhlen das Vertrauen der Bürger in die politischen Empfehlungen in dieser extrem schwierigen Lage und werden von Verschwörungstheoretikern argumentativ genutzt. Durch den Nachdruck, mit dem sie vorgetragen werden, erzeugen sie bisweilen ein großes mediales Echo und überdecken damit die ausgewogenen, konsentierten Empfehlungen beispielsweise der Leopoldina oder der wissenschaftlichen Fachgesellschaften.
Wir bekennen uns klar zum Recht auf freie Meinungsäußerung und zum wissenschaftlichen Diskurs. Aber gerade Ärzte und Wissenschaftler haben in diesen Zeiten auch eine besonders hohe gesamtgesellschaftliche Verantwortung. Es ist unverantwortlich, durch häufige und in der Gesamtheit widersprüchliche Meinungsäußerungen den Eindruck zu erwecken, die politischen Empfehlungen seien insgesamt sinnlos. Letztlich schadet diese Vorgehensweise der Medizin selbst und verringert das Vertrauen der Bürger in den ärztlichen Rat. Dieses Vertrauen ist aber nötig, wenn es um das verantwortungsbewusste Verhalten oder die Impfbereitschaft der Bevölkerung in der Pandemie geht.
Die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin e. V. (DGIM), die unten aufgeführten internistischen Schwerpunktgesellschaften* und die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V. (AWMF) fordern daher eine Reflexion der medialen Kommunikationsweise von medizinischen und wissenschaftlichen Experten in Deutschland in dieser Krisensituation: In der extrem schwierigen medizinischen Situation der Corona-Pandemie erscheint es geboten, vor öffentlichen Empfehlungen die unterschiedlichen Ansichten, Erfahrungen und Erkenntnisse in ernsthaften und von Wissen geprägten Kontroversen auszutauschen und dann in konsentierten Empfehlungen von wissenschaftlichen Fachgesellschaften oder Akademien zu bündeln. Solche Empfehlungen sind den Bürgern und der Politik in Laien-verständlichen Worten mitzuteilen. Dies entspricht der bewährten Vorgehensweise unseres Berufsstandes, wie sie bei der Erstellung von Leitlinien, Konsensus-Stellungnahmen oder auch im Alltag für die Optimierung der Therapie einzelner Patienten sehr erfolgreich eingesetzt wird. Die Corona-Pandemie stellt hier keine Ausnahme dar.
Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V. (AWMF)
Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin e. V. (DGIM)
*Unterstützende Fachgesellschaften:
Deutsche Gesellschaft für Angiologie –Gesellschaft für Gefäßmedizin e. V.
Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie e. V.
Deutsche Gesellschaft für Geriatrie e. V.
Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie e. V.
Deutsche Gesellschaft für Infektiologie e. V.
Deutsche Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin e. V.
Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung e. V.
Deutsche Gesellschaft für Nephrologie e. V.
Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e. V.
Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie e. V.
2 Kommentare
Kommentare
A.S. am Permanenter Link
In der Theorie alles richtig, aber wenn ein neues Virus daher kommt und die Politik schnell handeln muss? Dann bleibt wenig Zeit für eine abgestimmte, konsistente Informationsstrategie.
Außerdem: Auf nzz.ch ist fundierte Kritik an der Leopoldina formuliert worden. Auch da ist nicht alles so wissenschaftlich fundiert, wie es sollte.
Letztendlich muss das Volk seinen Politikern und Ärzten eine Lernkurve zugestehen.
Hans Trutnau am Permanenter Link
"Da einige Expertenäußerungen nicht auf Evidenz basierten, werde der falsche Eindruck erweckt, dass es keine einheitliche Auffassung zur Pandemie-Bekämpfung gebe" - das soll offenbar suggerieren, dass es ein
Also alles ohne Evidenz?
Oder sollen Maulkörbe verteilt werden?
Oder anders - was haben die Autoren geraucht?