Kommentar

Ein Islamkolleg in Osnabrück?

Große Aufmerksamkeit in den Medien erfuhr die Nachricht, dass eine Ausbildungsstätte für Imame, Islamkolleg genannt, mit finanzieller Unterstützung des Staates in Osnabrück errichtet werden soll. Es kann keineswegs überraschen, dass die auf insgesamt über 5 Millionen Gläubigen angewachsene muslimische Religionsgemeinschaft in Deutschland mehr Einfluss und Beteiligung in unserer Gesellschaft fordert, auch wenn sie im Vergleich zu christlichen Kirchen nur über eine deutlich geringere Organisationsdichte verfügt.

Einige islamische Religionsverbände haben sich neben weiteren Initiatoren zur Gründung eines Trägervereins des neuen Islamkollegs zusammengeschlossen. Neben bekannten islamischen Theologen sowie muslimischen Verbänden gehören auch Muslime des öffentlichen Lebens dazu. Sie beabsichtigen eine verbandsübergreifende einheitliche bundesweite Ausbildung von Imamen, islamischen Gemeindepädagogen und Seelsorgern. Beteiligt haben sich daran eher unbedeutendere Vereinigungen, die im Verhältnis aller organisierten Islamgläubigen nur einen kleinen und zu allen in Deutschland lebenden Muslimen einen eher verschwindend geringen Teil repräsentieren.

Das Grundgesetz, Staatskirchenverträge und sogar eine teils "ungeschriebene" Praxis gewähren Religionsgemeinschaften in Bereichen staatlicher Aufgabenerfüllung Beteiligungsrechte, die mit erheblichen finanziellen Vorteilen verknüpft sind. Als Beispiele sind der Religionsunterricht an staatlichen Schulen, die Militär- und Anstaltsseelsorge und die Einrichtung und Unterhaltung theologischer Fakultäten, Institute und Lehrstühle an staatlichen Hochschulen und Universitäten zu nennen. Davon profitieren bislang vor allem die beiden großen christlichen Kirchen, die sich aufgrund ihrer traditionell dominanten gesellschaftspolitischen Rolle in der Vergangenheit und auch heute noch Einflussmöglichkeiten sichern konnten. Angesichts der teils dramatischen Mitgliedererosion und der von der Verfassung geforderten religiösen Neutralität des säkularen Staates mehren sich Zweifel an der Rechtfertigung dieses Systems gemeinsamer Angelegenheiten und Aufgaben. Es passt weder in eine säkulare Gesellschaft noch korrespondiert es mit einem religiös neutralen Staat. Weshalb aber fördert er dann noch das in privatrechtlicher Form gegründete Osnabrücker Islamkolleg?

Die großen Organisationen wie die türkisch-islamische DITIB oder auch die Gemeinschaft Milli Görüs gehören ebenso wie die meisten islamischen Vereine beziehungsweise Gemeinden nicht zu den Gründern. Sie kritisieren, dass die mit dem Aufbau des Islamkollegs verknüpfte staatliche Förderung durch das Bundesinnenministerium (BMI) und das Niedersächsische Wissenschaftsministerium das verfassungsrechtlich gewährleistete Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften gefährde. Der Staat könne bei der Mittelvergabe indirekt Einfluss auf die Lehrinhalte nehmen. Grundsätzlich hat diese Argumentation eine gewisse Plausibilität, zumal gerade die Subventionierung durch das BMI mit seiner Integrationszuständigkeit einen deutlichen Fingerzeig auf den wahren Grund regelmäßiger staatlicher Zuwendungen gibt: Ein Beitrag zur Förderung der Integration mit dem Maßstab der Vermittlung unserer verfassungsrechtlichen Grundwerte, die nicht unbedingt mit dem Anspruch auf Befolgung islamischer Glaubenssätze kompatibel sind.

Man könnte den Bedenken der beiden Islamverbände entgegenhalten, dass die großen christlichen Kirchen seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland trotz erheblicher staatlicher Förderung durchgängig ihre Unabhängigkeit und ihr Selbstbestimmungsrecht wahren konnten. Grund dafür ist allerdings nicht nur die verfassungsrechtliche Gewährleistung des Selbstbestimmungsrechts aller Religionsgemeinschaften, sondern auch deren Bekenntnis zum Primat des säkularen Staates und zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung.

Die Ausbildung im Islamkolleg soll neben den klassischen Bereichen der Predigtlehre, der Koranrezitation und der Seelsorge auch die politische Bildung abdecken. Letztere dürfte vor allem im besonderen Focus der Förderung durch das Bundesinnenministerium liegen. Sie gilt zu Recht als unverzichtbarer Teil einer gelungenen Integration. Angesichts der beabsichtigten ausschließlichen Verwendung der deutschen Sprache im Lehrbetrieb kann die Ausbildung des muslimischen Religionspersonals und darüber hinaus auch der Lehrinhalt transparenter werden. Die religiösen Themen dürfen den Staat dabei nicht interessieren. Das Selbstbestimmungsrecht fordert die unabhängige Regelung und Verwaltung der eigenen Angelegenheiten. Zudem verbietet sich aus der religiösen Neutralitätsforderung jede Einmischung des Staates.

Die traditionelle Einbindung der Ausbildung des Kirchennachwuchses in die vom Staat finanzierten Hochschulen und Universitäten findet im Grundgesetz keine Rechtsgrundlage. Sie widerspricht ebenfalls dem Gebot der Trennung von Staat und Kirche. Die Verknüpfung der ersten Universitäten mit der Kirche in der Zeit des Mittelalters erklärt sich aus dem Vorbild der Klosterschulen und der einstmals selbstverständlichen Einheit von Thron und Altar. Diese hat aber mit der Weimarer Verfassung ihr Ende gefunden.

Die Pressestelle des BMI hat ausdrücklich bestätigt, dass die Ausbildung der Imame eine eigene Angelegenheit der Religionsverbände bleibe. Man erwarte aber von dem neuen Islamkolleg einen Beitrag zur Integration und eine Reduzierung des ausländischen Einflusses auf die Ausbildung und auf das Wirken des religiösen Personals in den muslimischen Gemeinden. Was damit gemeint ist, liegt auf der Hand: Das BMI hat die Ausrichtung der politischen Lehrinhalte an den Ideen unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung im Blick. Ohne die staatlichen Leistungen würde das privatrechtlich organisierte Islamkolleg kaum überleben oder müsste sich die erforderlichen Mittel anderweitig beschaffen. Wer sich dann dafür anbieten könnte, ist offensichtlich.

Zweifelhaft ist aber nicht nur die rechtliche Grundlage und die politische Absicht dieses finanziellen Engagements des Staates in die Ausbildung des religiösen Personals der Muslime, es lässt sich auch nicht erkennen, dass der offensichtlich dahinterstehende Gedanke eines Beitrags zur besseren gesellschaftlichen Integration gerade der islamischen Jugend realistisch sein könnte. Anders als die weitgehend homogenen und friedfertig miteinander umgehenden christlichen Religionen mit ihren gut vernetzten Strukturen gibt es nicht den friedlich untereinander praktizierenden Islam. Die Massenmigration nach Europa aus vielen unterschiedlichen Regionen der Welt hat in den Zielländern zu einer islamischen Glaubensvielfalt geführt, wie sie in keinem islamisch dominierten Staat zu finden sein dürfte.

Eine Beteiligung am Islamkolleg haben neben dem Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) mit geschätzt weniger als einem Prozent aller in Deutschland lebenden Muslime, das Bündnis Malikitischer Gemeinden (BMG), die Muslime in Niedersachsen (MiN), die Islamische Gemeinschaft der Bosniaken (IGBD) und der Zentralrat der Marokkaner (ZMRD) erklärt. Wie soll es gelingen, die von Herkunft und nationaler Orientierung geprägten und ganz unterschiedlichen und die nicht beteiligten und teils untereinander feindlich gesinnten Glaubensrichtungen in einer Bildungsinstitution zusammenzuführen? Schon der Versuch, eine breite panislamische Jugendbewegung in Deutschland aufzubauen und zu etablieren, die sich mit der freiheitlich-demokratischen Rechtsordnung identifiziert, ohne den eigenen Glauben aufzugeben, ist in der Vergangenheit gescheitert. Daher dürfte das geplante Islamkolleg keine erfolgversprechende Antwort auf die bislang so wenig gelungene breite Integration der muslimischen Jugend sein. Es kommt hinzu, dass sich besonders die Jugend ihre politische und religiöse Meinung und Haltung weniger in den regionalen Moscheen als vielmehr über das Internet bildet. Um die dort leicht zugänglichen Verkündigungen zu verstehen, bedarf es auch nicht der Beherrschung der deutschen Sprache. Man kann alles in der eigenen Muttersprache erfahren. Damit bleibt die religiöse Indoktrination für den Verfassungsstaat weiterhin außer Reichweite.

Wo eine konsequent verfolgte staatliche Sprach- und Schulausbildung im Kindesalter und die engagierte Vermittlung unserer Werte schon nicht zum Erfolg führen, kann auch ein Islamkolleg keinen Schlüssel zur breiten Integration liefern. Mit seiner staatlichen Förderung wird die verfassungsrechtliche Fehlentwicklung der Institutionalisierung "gemeinsamer Angelegenheiten und Aufgabenerfüllung" zwischen Staat und Religion gegen das Trennungs- und Neutralitätsgebot weiter zementiert. Mittelressourcen werden nutzlos versickern, die besser im säkularen Bereich der Bildungs- und Sozialprojekte investiert werden sollten. Angesichts der Pluralisierung ist dem Land Niedersachsen im Besondern und den Bundesländern im Allgemeinen unter integrationspolitischen Gesichtspunkten zudem zur Einführung eines Pflichtfachs Religions- beziehungsweise Weltanschauungskunde / Ethik ohne Abmeldemöglichkeit mit speziell ausgebildeten Lehrern zu raten. Aus pädagogischer Sicht erscheint es – aufgrund des Anstiegs (religiöser) Konflikte bereits an Grundschulen – sinnvoll, dieses Schulfach nicht nur in weiterführenden Schulen, sondern bereits in Grundschulen einzuführen. Wegen der Teilnahmefreiheit (Art. 7 Abs. 2 GG) wäre der Religionsunterricht dann ein zusätzlicher Unterricht. Die Einführung eines verpflichtenden Schulfaches Religions- bzw. Weltanschauungskunde / Ethik wäre ohne eine Grundgesetzänderung möglich. Je nach Situation im jeweiligen Bundesland, wären die Landesverfassungen und / oder das Schulgesetz anzupassen. Im Rahmen der praktischen Umsetzung könnte überlegt werden, nicht ein zusätzliches Pflichtfach Religions- bzw. Weltanschauungskunde / Ethik neu einzurichten, sondern das gegenwärtig bereits bestehende Ersatzfach "Philosophie" beziehungsweise "Ethik" zu einem entsprechenden Pflichtfach weiterzuentwickeln.

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