Gestern hat sich die Schweiz per Volksabstimmung mit knapper Mehrheit für ein Verhüllungsverbot in der Öffentlichkeit ausgesprochen. Im Vorfeld war intensiv darüber gestritten worden und auch jetzt ist der Streit noch nicht beendet. Ein Kommentar von Daniela Wakonigg.
Es ist kompliziert. Selbst für Säkulare ist die Entscheidung für oder gegen ein Burkaverbot keine leichte. Bei der Frage nach dem Verbot einer religiösen Verschleierung in der Justiz oder von Lehrpersonal in Schulen sind die Dinge einfacher: Wer Repräsentant eines Staates ist, muss sich während der Arbeitszeit mit religiösen, weltanschaulichen und politischen Bekundungen eben zurückhalten, weil sonst seine – oder in Sachen Verschleierung besser: ihre – Neutralität infrage zu stellen ist.
Doch bei der Frage nach dem Verbot der Vollverschleierung in der Öffentlichkeit ist alles komplizierter. In der Schweiz umso mehr. Denn während der Großteil der vollverschleierten Frauen weltweit den Schleier ohne jede Frage nicht freiwillig trägt, soll es sich bei den angeblich derzeit 30-40 Burkaträgerinnen in der Schweiz vorwiegend um Konvertitinnen handeln, die sich freiwillig zu dieser Tortur entschlossen haben. Nun liegt es in der Natur eines liberalen Rechtsstaats, dass er volljährigen Menschen nichts verbietet, sofern deren Handeln anderen Menschen nicht schadet. Das heißt, jedem Menschen steht es grundsätzlich erst einmal frei, Dinge zu tun, die objektiv betrachtet seinen eigenen Interessen zuwider laufen. Wie eben als Frau die Übernahme einer religiösen Ideologie, die Frauen zu Menschen zweiter Klasse herabstuft und sie als Personen in der Öffentlichkeit unsichtbar macht, indem sie sie ihre Körper und vor allem ihr Gesichter vollständig verhüllen lässt.
Dass die aktuelle Volksabstimmung über das Burkaverbot von Rechten aus vermutlich islam- und fremdenfeindlichen Motiven initiiert wurde, hat die Entscheidung für viele ebenfalls nicht leichter gemacht. Gerade bei einigen Linken scheint dies sogar zu einer reflexhaften Ablehnung des Burkaverbots geführt zu haben.
Darüberhinaus wird das Burkaverbot von Linken als Integrationshemmnis betrachtet. Einerseits, weil Frauen, die zum Burkatragen gezwungen werden oder die sich selbst für die Burka entschieden haben, nun angeblich nicht mehr in die Öffentlichkeit gehen könnten. Und andererseits, weil das Verbot Muslimen signalisiere, dass sie in der Gesellschaft nicht erwünscht seien. Eine Argumentation, die auf fatale Weise alle Muslime in einen Topf wirft mit Anhängern des politischen Islam. Eine grundfalsche Annahme, wie unter anderem der Einsatz vieler liberaler Musliminnen und Muslime für das Burkaverbot gezeigt hat. Tatsächlich soll sich sogar die Mehrheit der muslimischen Minderheit in der Schweiz für ein Burkaverbot ausgesprochen haben. Das Integrations-Argument übersieht darüberhinaus auch, dass Menschen, die die Burka im Kopf haben, schon längst nicht mehr integrationsfähig sind in einen säkularen, liberalen Rechtsstaat.
Denn die Burka ist weniger Ausdruck einer tiefen inneren religiösen Überzeugung als der einer politischen Ideologie: des politischen Islam. Wer ihn vertritt, wünscht sich eine Welt, in der die Gesetze der Sharia gelten und nicht jene liberaler Staaten. Und er arbeitet daran, seine Wunschvorstellung umzusetzen. Wer sich mit dem politischen Islam identifiziert, für den sind auch die Rollen der Geschlechter eindeutig geregelt: Frauen stehen im Rang unter Männern und stellen für Männer eine permanente sexuelle Verlockung dar, weswegen sie sich keusch zu verhalten und vor den Blicken der Welt zu verhüllen haben. Wer als Frau in dieses ideologische System hineingeboren wird, für den stellt die Unterdrückung und Herabqualifizierung die unfreiwillige Realität dar. Von seinen Torturen berichten jene Frauen, denen es gelungen ist, aus der Unterdrückung nach Europa zu fliehen und die nicht selten dafür auch hier um ihr Leben fürchten müssen. Wer sich hingegen bewusst für das Tragen der Burka entscheidet, entscheidet sich damit auch bewusst dafür, den politischen Islam zu forcieren.
Nun darf in einem liberalen Rechtsstaat natürlich auch jeder Bürger und jede Bürgerin seine und ihre eigenen politischen Utopien pflegen, selbst wenn diese dem herrschenden Staatssystem widersprechen. Nur dürfen sie eben nicht in die Tat umgesetzt werden. Deshalb ist es ebenfalls die Aufgabe des liberalen Rechtsstaats, sich selbst und seine Grundsätze zu schützen und entsprechende Grenzen aufzuzeigen. Mit dem Burkaverbot hat die Schweiz dies getan. Sie hat gezeigt, dass die öffentliche Zurschaustellung der Herrschaftsansprüche eines politischen Islam ebenso wenig tolerabel ist, wie die Entmenschlichung von Frauen, die durch die Burka stattfindet.
Um dem nun aufkommenden Vorwurf der Islam- und Fremdenfeindlichkeit zu entgehen, gäbe es für die Schweiz übrigens einen einfachen Weg. Sie müsste die Grenzziehung gegenüber der Zurschaustellung extremistischer Ideologien nur konsequent ausweiten und endlich auch Symbole anderer Extremismen aus der Öffentlichkeit verbannen. Im Gegensatz zu Deutschland und Österreich sind nämlich in der Schweiz Symbole wie beispielsweise das Hakenkreuz in der Öffentlichkeit bislang noch erlaubt, obwohl es in den vergangenen Jahren mehrere politische Vorstöße gab, sie zu verbieten.
17 Kommentare
Kommentare
E. Staub am Permanenter Link
Welcher Gott denn soll etwas zulassen oder nicht zulassen wie die Burka? Der Gott der Katholiken, der Protestanten, der Zeugen Jehovas, der Mormonen oder der Gott weiterer 1'000 christlich motivierter Sekten?
Werner Kübler am Permanenter Link
Das ist wirklich schwierig! Als Repräsentantin des Staates sind wir uns, glaube ich, wohl einig. Aber wenn die Freiheit der Ausübung einer Religion gefordert wird, gibt es schon Widersprüche.
sitha Berg am Permanenter Link
Die Kommentierung von Frau Wakonigg finde ich sehr differenziert.
Viele Forderungen bzgl. polit. Islam lassen sich genauso auf die christl. Religion in der KRD übertragen. z.B.:
"Frauen stehen im Rang unter Männern und stellen für Männer eine permanente sexuelle Verlockung dar, weswegen sie sich keusch zu verhalten haben."
"religiöse Ideologie, die Frauen zu Menschen zweiter Klasse herabstuft"
" Menschen, die die Burka (Kreuz) im Kopf haben, schon längst nicht mehr integrationsfähig sind in einen säkularen, liberalen Rechtsstaat"
"die öffentliche Zurschaustellung der Herrschaftsansprüche eines politischen Islam (christl. Kirche) ebenso wenig tolerabel ist, wie die Entmenschlichung von Frauen durch die Burka (Diskriminierung bei kirchl. Ämtern)"
Sie(die Schweiz bzw. KRD) müsste die Grenzziehung gegenüber der Zurschaustellung extremistischer Ideologien (Kann man den Katholizismus auch als eine extremistische Ideologie betrachten?) nur konsequent ausweiten und endlich auch Symbole anderer Extremismen aus der Öffentlichkeit verbannen."
Konrad Schiemert am Permanenter Link
Die Entscheidung war mit Sicherheit richtig.
A.S. am Permanenter Link
Dann bitte das "Recht auf Verschleierung" auch auf die Kommunikation ausweiten, als Recht auf Verschlüsselung, als Recht auf nicht abgehört werden, ...
Der Einwand von Hr. Schiemert ist richtig: Entweder für alle oder für keine/n.
Nicht-Verhüllung des Gesichts als Regel für alle geht OK.
Martin am Permanenter Link
Meines Wissens ist das Gesetz so gefaßt, daß jegliche Verhüllung des Gesichts verboten wird.
Konrad Schiemert am Permanenter Link
Ich würde mich auf der Straße, im Einkaufszentrum, in der U-Bahn zwischen verhüllten Gesichter sehr schlecht fühlen.
Martin am Permanenter Link
Ja, ich fände das auch nicht schön.
Ich fühlte mich aber auch in einer Gesellschaft nicht gut, in denen Menschen vorgeschrieben wird, ob sie diese oder jene Kleidung zu tragen haben oder nicht.
Und ich habe großes Verständnis dafür, wenn Menschen ihre Gesichter dort verhüllen wollen, wo es Überwachungskameras gibt.
Uwe Lehnert am Permanenter Link
Volle Zustimmung zu obigen Ausführungen. In obigem Absatz
„Denn die Burka ist weniger Ausdruck einer tiefen inneren religiösen Überzeugung als der einer politischen Ideologie: des politischen Islam. Wer ihn vertritt, wünscht sich eine Welt, in der die Gesetze der Sharia gelten und nicht jene liberaler Staaten. Und er arbeitet daran, seine Wunschvorstellung umzusetzen.“
ist das Entscheiden gesagt.
Roland Fakler am Permanenter Link
Sehr schön abgewogen! Religion darf keine unbegrenzte Narrenfreiheit haben.
Mit der Beschneidung von unmündigen Kindern wurde schon eine Grenze überschritten. Das Selbstbestimmungsrecht eines lebenden Kindes wird den Machtansprüchen eines nichtexistierenden Gottes oder besser den Herrschaftsansprüchen einer Priesterschaft geopfert.
Angelika Wedekind am Permanenter Link
Ob Wichtigtuerei, männliche Versklavung oder echte Geisteskrankheit: natürlich gehört es verboten, Frauen als Stoffsäcke herumlaufen zu lassen.
Martin am Permanenter Link
Natürlich sollen in einer freiheitlichen Gesellschaft alle erwachsenen, mündigen Menschen das Recht haben, sich so zu kleiden, wie sie wollen. Auch ein Kartoffelsack ist legitim.
Ingrid Schmall am Permanenter Link
Sure 33,59." o Prophet sag deinen Gattinnen und deinen Töchtern und den Frauen der Gläubigen, sie sollen etwas von ihrem Überwurf über sich herabziehen.
Was bedeutet dieser Vers anderes, als dass das Kopftuch das Herrschaftssymbol des Koran ist, das die muslimischen Frauen aufwertet und die Nichtkopftuchträgerinnen abwertet und der Belästigung durch muslimische Männer freigibt.
Ginge es um Keuschheit, hätte Mohammed die Kopftuchempfehlung für alle Frauen ausgesprochen.
A.S. am Permanenter Link
Generell zur Religionsfreiheit:
Aber genau darum geht es doch den Religiösen: Sie wollen ihr Weltbild, ihren Glauben (bzw. das Weltbild und den Glauben, den ihre religiösen Führer vorgeben) anderen aufzwingen.
Das machen sie mit psychologischer List, mit "Mission" und, sobald es ihnen möglich ist, mit Gewalt.
Religionsfreiheit im Sinne von "Recht auf Ausübung von Religion" stellt den Religiösen nur einen Freibrief aus, anderen mit ihrer Religion auf den Wecker zu gehen.
Gondel am Permanenter Link
"Politischer Islam"
Da hier so viel davon die Rede ist, vielleicht kann mal jemand erläutern, wo es denn genau, außer im Wunschdenken, einen unpolitischen Islam zu erkennen gibt?
Oder etwa auch ein unpolitisches Christentum?
Sebastian Schmidt am Permanenter Link
Ich habe dagegen gestimmt, weil ich finde man sollte erstmal die grausamen Kruzifixe in der Öffentlichkeit abhängen bevor man über 40 Burkaträgerinnen bestimmt.
Martin am Permanenter Link
Daniela Wakonigg: "Nun liegt es in der Natur eines liberalen Rechtsstaats, dass er volljährigen Menschen nichts verbietet, sofern deren Handeln anderen Menschen nicht schadet."
Genau so ist es. Auch wenn sich ein Mensch so kleidet, wie es der Mehrheitsgesellschaft nicht gefällt, so ist das sein Individualrecht. Das Verbot ist einem liberalen Rechtsstaat unwürdig und stellt einen weiteren Sieg des Rechtspopulismus in Europa dar.
Letztlich werden nicht vor allem die ca. 30 burkatragenden Personen in der Schweiz von diesem Gesetz betroffen sein, sondern politische Demonstrant/inn/en, die aus guten Gründen nicht erkannt werden wollen, sowie auch Fußballhooligans, um die ich mich schon weniger sorge.
Das Argument, bestimmte Männer oder Familien schrieben ihren Frauen die Kleidung vor und man müsse daher diese Frauen schützen, ist nicht stichhaltig. Müßte man nicht alle Frauen vor einer solchen patriarchalen Anmaßung schützen? Auch die, die bedrängt werden, sich "sexy" zu kleiden oder die, denen genau das versagt werden soll? Egal, ob da Religionen oder andere Ideologien im Spiel sind?
Wenn es Frauen gibt, die von ihren Familien bzw. Männern so stark unterdrückt werden, daß ihnen sogar die Kleidung vorgeschrieben wird, dann braucht es Sozialarbeiter/inn/en, jede Menge Hilfe für die betroffenen Frauen, im Falle von ausländischen Frauen ggf. auch die unbürokratische Einbürgerung. Doch das wäre wohl das letzte, was SVP und Co. wollen.