Heute wurde bekannt, dass der Humanistische Verband Deutschlands (HVD) den Koordinierungsrat Säkularer Organisationen (KORSO) verlassen wird. Der hpd sprach deshalb mit HVD-Bundesvorstandsmitglied Katrin Raczynski sowie dem KORSO-Vorsitzenden Rainer Rosenzweig.
hpd: Der HVD hat in seinem Delegiertenrat beschlossen, seine Mitgliedschaft im KORSO zu beenden. Ist es das, wonach es aussieht: Eine erneute Spaltung im säkularen Spektrum?
Katrin Raczynski: Nein, das ist sicher keine "Spaltung". Der Begriff wird viel zu oft gebraucht und führt weg von einer sachlichen Betrachtung. Ich habe eine große Anerkennung für die unterschiedlichen im KORSO vertretenen Positionen, Akteure und Organisationen. Es gibt viele bereichernde Kontakte und der Austausch über Ideen und Strategien ist für uns nach wie vor unverzichtbar. Zugleich muss es möglich sein, Unterschiede anzuerkennen.
Rainer Rosenzweig: Schon vor der Gründung des KORSO begann ein konstruktiver Verständigungsprozess, der in den letzten Jahren vom KORSO vorangetrieben wurde und inzwischen ein solides Fundament und Fahrt aufgenommen hat. Es geht dabei darum, Gemeinsamkeiten zu erkennen und – wie Katrin richtig formuliert – Differenzen zu benennen, offen anzuerkennen und zu respektieren. Auf der Basis dieser Verständigung haben alle Organisationen im säkularen Spektrum die Verantwortung, konstruktiv miteinander zu kooperieren. Dem KORSO geht es um eine Verständigung und Zusammenarbeit im gesamten humanistisch-säkularen Spektrum. Daher will der KORSO dem HVD nach seinem Austritt nun eine strategische Partnerschaft anbieten, die allen nützt.
Sie sprechen von Unterschieden, Frau Raczynski. Welche Unterschiede meinen Sie?
Katrin Raczynski: Es gibt viele Beispiele: Während der HVD in Berlin und Brandenburg insgesamt rund 70.000 Schülerinnen und Schüler in Humanistischer Lebenskunde unterrichtet, verlangen manche säkularen Organisationen eine Abschaffung jeglichen Religions- und Weltanschauungsunterrichtes.
Ein weiteres Beispiel: Wir im HVD üben nur dann Kritik – an der Institution Kirche, an religiösen Überzeugungen etc. – wenn wir einen Wertekonflikt oder einen Missstand erkennen: Werden Menschenrechte verletzt? Wird Teilhabe verunmöglicht? Wird Gleichberechtigung unterminiert? Hier macht ganz entscheidend der Ton die Musik, und, um im Bild zu bleiben, die Tonarten sind hier je Organisation sehr unterschiedlich. Daraus folgt für uns, dass der KORSO entweder stets einen aus unserer Sicht untauglichen Kompromiss transportiert oder dass wir uns in den öffentlichen Verlautbarungen nicht wiederfinden. Beides ist für uns nicht zielführend.
Herr Rosenzweig, Sie haben die anspruchsvolle Aufgabe, mit dieser Vielfalt der im KORSO vertretenen Organisationen nicht nur konstruktiv umzugehen, sondern eine gemeinsame Strategie auf den Weg zu bringen. Ist das möglich? Und wenn ja wie?
Rainer Rosenzweig: Ich bin überzeugt davon, dass dies möglich ist. Kluge Kompromisse sind und waren stets die Grundlage für das Engagement des KORSO, sie sind nach meiner Überzeugung keineswegs "untauglich", sondern zielführend. Treten wir doch mal einen Schritt zurück und werfen einen Blick auf die zweifellos wichtigen, aber eben nicht allein ausschlaggebenden Partikularinteressen und Detailfragen. Was sehen wir dann? Wir sehen eine Gesellschaft, die immer säkularer wird. In diesem Jahrzehnt wird die Zahl derer, die Mitglied in einer der beiden Großkirchen sind, unter 50 Prozent fallen. Sind da die Strukturen noch zeitgemäß, die in einer Welt entstanden sind, in der über 95 Prozent der Menschen kirchlich gebunden waren? Offensichtlich nicht. Die Menschen merken das und sie wollen die einseitige Dominanz der Kirchen nicht mehr akzeptieren.
Die Differenzen, die wir im säkular-humanistischen Spektrum in abgeschlossenen Zirkeln diskutieren, sind nicht unbedeutend, verstellen meiner Meinung nach aber immer wieder den Blick auf das Wesentliche, das Verbindende. Ich sehe die Verantwortung des KORSO darin, säkulare Anliegen wie Gleichbehandlung, weltanschauliche Neutralität des Staates und den Respekt vor den Interessen nichtreligiöser Menschen einzufordern und gegenüber Medien, Politik und Gesellschaft stark zu machen. Dafür brauchen wir starke säkulare Organisationen und eine breite Akzeptanz im säkularen Bereich auch jenseits der Verbände.
Frau Raczynski, wie bewerten Sie die Perspektiven von Kooperation im säkularen Spektrum und wie kann hier der Beschluss des HVD eingeordnet werden, die Mitgliedschaft im KORSO zu beenden?
Katrin Raczynski: Es gibt langjährige und tragfähige Beziehungen unter engagierten Menschen im säkular-humanistischen Spektrum. Das ist eine gute Grundlage für die Fortsetzung des Austauschs über Projekte und Strategien. Ich bin der Auffassung, dass wir viel mehr davon brauchen: mehr Austausch, mehr Gespräch und effiziente strategische Absprachen. Gerade deswegen ist uns eine Fortführung der Kooperation mit dem KORSO auch weiterhin wichtig. Das gerade erst gegründete Bertha von Suttner-Studienwerk ist übrigens ein großartiges Beispiel für sinnvolle und gelingende Kooperation.
Perspektivisch halte ich es für überaus wichtig, dass wir die Vielfalt der Standpunkte und Überzeugungen anerkennen und aushalten, im Gespräch bleiben und ein Bild für eine übergreifende Strategie erarbeiten, die je Organisation ganz unterschiedliche Ausgangspunkte hat.
Voraussetzung für so eine strategische Partnerschaft ist sicherlich eine solide Vertrauensbasis. Wir sind auch zukünftig gerne bereit, unseren Beitrag zu leisten, dieses Fundament zu stärken.
Herr Rosenzweig, sind Sie froh, dass der HVD sich so entschieden hat und der KORSO nun "freie Bahn" hat?
Rainer Rosenzweig: Nein. Darum geht es nicht. Ich bedauere, dass der HVD diesen Schritt gegangen ist. Ihm liegt eine Vorstellung von Intentionen des KORSO zugrunde, die ich nicht teilen kann. Wenn der KORSO die Aufgabe ernst nimmt, sich für die Belange säkular denkender Menschen stark machen zu wollen, dann ist er meiner Auffassung nach dazu verpflichtet, die Interessen der Organisationen zu unterstützen, die (Dienstleistungs-)Angebote für Konfessionsfreie anbieten. Darauf aufbauend kann und wird der KORSO nun damit beginnen, öffentlich wirksam zu werden. Auf diesem Weg befinden wir uns gerade und den werden wir weitergehen. Strategische Partnerschaften wie die mit dem HVD und anderen Verbänden im säkular-humanistischen Spektrum halte ich dabei für wichtig und hilfreich.
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5 Kommentare
Kommentare
Hans Trutnau am Permanenter Link
Mein unmaßgeblicher Eindruck ist, dass sich da die Altvorderen des HVD mit mangelnder Ambiguitätstoleranz durchgesetzt haben. Schön, wenn jetzt eine "strategische Partnerschaft" erhalten bleiben bzw.
Angelika Wedekind am Permanenter Link
Die Sprecherin des HVD behauptet, dass "manche säkularen Organisationen jeglichen Weltanschauungsunterricht " ablehnen. Das ist mir neu-.
Volker Mueller am Permanenter Link
Der Austritt des HVD aus dem (auch von ihm gegründeten) KORSO ist sehr bedauerlich und leicht irritierend. Er schwächt m.E. das säkulare Spektrum und ist historisch und politisch schmerzlich.
Werner Runde am Permanenter Link
Den Interviews konnte ich keine einleuchtenden Gründe für eine Trennung entnehmen. Jede Spaltung oder Abspaltung bedeutet eine Schwächung des gemeinsamen Ziels, die Macht der verschiedenen Kirchen einzuschränken.
Rainer Rosenzweig am Permanenter Link
"Wenn zwei säkulare Gruppen sich auf diese Art streiten, freuen sich die Kirchen."
Genau deswegen streitet der KORSO ja auch nicht mit dem HVD - dafür gibt es auch gar keinen Anlass. Vielmehr bietet der KORSO dem HVD eine strategische Partnerschaft an und stößt dort auf die Bereitschaft, "unseren Beitrag zu leisten, dieses Fundament [einer soliden Vertrauensbasis] zu stärken."