Der US-Amerikaner Kurt Vonnegut (1922–2007) grub im Februar 1945 die sterblichen Überreste derer aus, die bei der Zerstörung Dresdens durch alliierte Bomber ums Leben gekommen waren. Traumatisiert vom Krieg schuf der spätere Ehrenpräsident der American Humanist Association einen der bedeutendsten Romane seiner Generation: "Slaughterhouse-Five".
Als am 16. Dezember 1944 die Ardennenoffensive begann, gehörte Kurt Vonnegut zu einem Aufklärungstrupp: "Unser einziger Zweck bestand darin, auf Minen zu treten oder das Feuer auf uns zu ziehen", erinnert er sich Jahrzehnte später im Gespräch mit Charles J. Shields, der 2011 die Vonnegut-Biografie "And So It Goes" veröffentlichte.
Am 19. Dezember 1944 unterlagen die Alliierten in der besagten Offensive. Tausende Kriegsgefangene wurden von den Nazis abtransportiert. Dabei wurde Vonnegut nach Dresden verbracht, wo er im Keller des Schlachthofs Nummer fünf (heute Messegelände) miterlebte, wie alliierte Bomber am 13. Februar 1945 die Stadt einäscherten: "Giganten suchten die Erde über uns heim. Zuerst kam das leise Grummeln ihres Tanzes am Stadtrand, dann das Herangrollen ihrer Schritte und schließlich das ohrenbetäubende Stampfen ihrer Fersen über uns."1 Am nächsten Tag wurden die Kellertüren geöffnet: "Dresden war wie der Mond. Die Steine waren heiß. Alles andere in der Nachbarschaft war tot", beschreibt Vonnegut die Szene in seinem postmodernen Antikriegsroman. Infolge des Luftangriffs wurde er in einem Arbeitskommando eingesetzt, das die Überreste von verbrannten und verschütteten Dresdener:innen barg. Dabei bezeichneten die britischen und amerikanischen Kriegsgefangenen ihre Arbeit als "Corpse Mining" (Leichen schürfen).
Ein Freidenker der vierten Generation
Kurt Vonnegut hat deutsche Wurzeln. Sein Urgroßvater Clemens stammt aus Münster. Nach der gescheiterten Märzrevolution von 1848 war er wie viele andere Freidenker in die USA geflohen, wo er sich in Indianapolis niederließ. "Die intellektuelle Tradition des deutschen Rationalismus und Liberalismus sorgte dafür, dass Familien wie die Vonneguts sich nicht von Nativisten und Frömmlern einschüchtern ließen", schreibt Charles J. Shields in seiner Vonnegut-Biografie. Kurt Vonnegut selbst bezeichnete sich als "Freidenker der vierten Generation", als er 1992 von der American Humanist Association zum "Humanisten des Jahres" gewählt wurde.
Geboren wurde er am 11. November 1922. Kurts Mutter Edith Sophia war die Tochter eines lokalen Bierbrauermillionärs, Albert Lieber. Sein Vater Kurt Sr. und sein Großvater Bernard waren Architekten, die unter anderem das Deutsche Haus in Indianapolis erweiterten. Dort pflegt die deutsch-amerikanische Gemeinschaft noch heute ihr kulturelles Erbe, das die Einwanderergeneration der sogenannten Forty-Eighters mitgebracht hatte.
Während Kurts Jugend herrschte im Hause Vonnegut ein eigenwilliger Humor, der als so typisch deutsch gilt, dass er auch im US-amerikanischen Sprachgebrauch mit einem deutschen Wort bezeichnet wird: Schadenfreude. Auf der Beerdigung des Science-Fiction-Autors, Biochemikers und Atheisten Isaac Asimov sagte Kurt Vonnegut im Jahr 1992: "Jetzt ist er im Himmel" und lachte sich kaputt, bevor er Asimov in der Funktion des Ehrenpräsidenten der American Humanist Association beerbte.
Nicht nur Vonnegut verfällt dem Mythos falscher Opferzahlen
In "Slaughterhouse-Five" geht Vonnegut von 135.000 Bombenopfern aus, die bei den Luftangriffen zwischen dem 13. und 15. Februar in Dresden ums Leben gekommen sein sollen. Vonnegut nennt diese Zahl auch in einem 1966 geschriebenen Vorwort zu einem anderen Roman: "Mother Night".
Die falschen Angaben entstammen dem Buch "Die Zerstörung Dresdens" (1963) von David Irving, der sich in späteren Jahren als Geschichtsrevisionist und Holocaustleugner entpuppte. Irving hatte sich bei Recherchen in der DDR unerlaubt Zugang zu einem gefälschten Dokument aus dem Jahr 1945 verschafft, das die falschen Opferzahlen enthielt. In Wahrheit kamen 18.000 bis 20.000 Menschen bei den Luftangriffen zwischen dem 13. und 15. Februar 1945 ums Leben. Zu diesem Ergebnis kam eine von der Stadt Dresden beauftragte Historikerkommission im März 2010.2
Kurt Vonneguts Vermächtnis
In einer Liste der Modern Library, welche die hundert wichtigsten Bücher benennt, die seit 1900 in englischer Sprache verfasst worden sind, rangiert Slaughterhouse-Five auf Platz 18. Insgesamt hat Vonnegut 14 Romane verfasst, zahlreiche Kurzgeschichten und Artikel. Auch war er als Redner geschätzt und beliebt. Trotz bissigen schwarzen Humors und geistreichem Sarkasmus vermochte er es, die Menschen dazu zu inspirieren, mehr aus sich zu machen. Das zeigt die abschließende Geschichte über seinen Onkel Alex.
- Kurt Vonnegut, "Wailing Shall Be In All Streets" in "Armageddon in Retrospect", G. P. Putnam's Sons, 2008 ↩︎
- Siehe Seite 49 im "Abschlussbericht der Historikerkommission zu den Luftangriffen auf Dresden zwischen dem 13. und 15. Februar 1945" vom 17. März 2010 i. A. der Landeshauptstadt Dresden. (Abgerufen am 8.4.2021) ↩︎
7 Kommentare
Kommentare
diamond mcnamara am Permanenter Link
Oh,die sterblichen Überreste....
pi am Permanenter Link
Ein sehr anregender Nachruf. Danke!
Andreas am Permanenter Link
"Kilgore Trout schrieb einmal eine Kurzgeschichte, die aus einem Dialog zwischen zwei Hefe-Kreaturen bestand.
aus: "Breakfast of Champions", Kurt Vonnegut
Christiane Matkey am Permanenter Link
Guter Nachruf. Habe Kurt Vonnegut dieses Jahr erst für mich entdeckt. Sehr lesenswert.
Mad Scientist am Permanenter Link
Ich kenne den Bericht der Historiker. Ich halte ihn für falsch.
Jan-Christian P... am Permanenter Link
Die These, dass Zehntausende oder gar Hunderttausende Geflüchtete ums Leben gekommen wären, wird im Untersuchungsbericht der Dresdener Historikerkommission auf Seite 60 ganz klar und schrittweise widerlegt.
Auf den Straßen herrschten Temperaturen von bis zu 600 Grad Celsius, in Gebäuden bis zu 800 Grad Celsius. Die höchsten Temperaturen herrschten im brennenden Kirchengestühl der Frauenkirche mit bis zu 1.000 Grad Celsius. Das konnte anhand von Verfärbungen, die das Feuer verursacht hatte, nachgewiesen werden. [Quelle: Ausstellungskatalog "Schlachthof 5 -- Dresdens Zerstörung in Literarischen Zeugnissen"; Militärhistorisches Museum Dresden, Sandstein Verlag, 2015]
Erwin K. am Permanenter Link
Ich finde es immer wieder überraschend, mit welcher Selbstverständlichkeit Kommentatoren kundgeben, dass Sie mehr wissen als Fachleute, die sich lang und ausführlich mit einem Thema befassen.