Kommentar

Vom "Quotenschwarzen" und dem mangelnden Bewusstsein für Rassismus

Eine WhatsApp-Nachricht, in der Ex-Fußball-Nationaltorhüter und Hertha-BSC-Aufsichtsrat Jens Lehmann den Ex-Nationalspieler und TV-Fußballexperten Dennis Aogo als "Quotenschwarzen" bezeichnete, sorgte in der vergangenen Woche für Diskussionen. Ein Kommentar von Mukeba Muamba.

Mein Vater hatte mir davon abgeraten Jura zu studieren, da die Benotung viel stärker als in anderen Fächern vom jeweiligen Prüfer, der jeweiligen Prüferin abhinge. Stattdessen sollte ich etwas Exaktes wie Ingenieurwesen studieren. Er hatte Angst, dass mir der Weg durch rassistische Ressentiments unnötig erschwert würde. Ich wuchs in dem Bewusstsein auf, mich als Schwarzer mehr anstrengen zu müssen, gar doppelt so gut sein zu müssen wie meine weißen Mitschüler:innen. Okay: das gelang mir zumeist nur in den Fächern Deutsch und Sport. Auf Ersteres war ich regelmäßig stolz.

Rückblickend würde ich sagen, dass mir während meiner Schulzeit Ressentiments entgegenschlugen. Ob diese ständig rassistisch konnontiert waren, will ich nicht vollumfänglich bejahen, aber Alltagsrassismus war auch darunter – insbesondere unter der Schülerschaft. Eine Empfehlung fürs Gymnasium bekam ich nicht, dennoch erkannte ich meine Chancen und sah und sehe Deutschland als ein Land an, in dem man – ungeachtet der dringenden (!) Notwendigkeit zur  Verbesserung der Bildungsgerechtigkeit – die Möglichkeit hat, seine Chancen zu ergreifen. Mein Weg von der Hauptschule bis zur Uni legt Zeugnis davon ab. Würde mich jemand als einen "Quotenschwarzen" bezeichnen, könnte ich ihm nur ins Gesicht lachen.

Ich weiß von Schwarzen, dass sie im gleichen Bewusstsein erzogen wurden und aufwuchsen, und dass sie ebenfalls teilweise Probleme mit rassistischen Anfeindungen hatten. Vor diesem Hintergrund ist es natürlich umso ernüchternder, als "Quotenschwarzer" bezeichnet zu werden, nachdem man sich abgerackert und sich bewiesen hat – wie dies bei Ex-Fußball-Nationalspieler Dennis Aogo der Fall ist.

Einige sehen Parallelen in Lehmanns "Quotenschwarzer"-WhatsApp und den Äußerungen des Schalke-04-Aufsichtsratsvorsitzenden Clemens Tönnies über "die Afrikaner und ihre Fortpflanzung" vor zwei Jahren. Doch im Gegensatz zum Fall Tönnies wird in Disskusionen um Lehmanns Äußerung meist anerkannt, dass eine rassistisch konnontierte Beleidigung vorlag. Bei Tönnies hingegen überwog die Entlastungsrhetorik, dass man nicht jeden als Rassisten bezeichnen solle, der sich unbedacht äußert, weil dadurch die wahren Rassisten verniedlicht würden.

Eine solche Akzentuierung ist bereits eine Schieflage. Es gilt nicht zu klären, wer Rassist ist oder nicht, sondern es gilt, Rassismus als Betroffener, als Betroffene auch in seiner alltäglichen Erscheinung nicht hinnehmen zu müssen. Rassismus ist vielleicht nicht auszumerzen, aber man kann ihm die Gesellschaftsfähigkeit entziehen. Auch das ist ein langer Weg, der es umso notweniger macht, beim Alltagsrassismus hinzuschauen und ihn zu ächten.

Gerade im Fußball erleben Schwarze Rassismus regelmäßig und auf krasse Weise. Insofern ist es begrüßenswert, dass viele verstehen, dass "Quotenschwarzer" nicht einfach bedeutet, jemanden als guten Quotenbringer bezeichnen zu wollen, wie Jens Lehmann es gegenüber der BILD sagte:

"Ich habe bereits mit Dennis telefoniert und ihn um Verzeihung gebeten, wenn meine Äußerung despektierlich rübergekommen ist. Sie war überhaupt nicht so gemeint, sondern positiv. Da er als Sky-Experte fachkundig ist und in seinem Auftreten sehr stark. Und deshalb auch die Quote erhöht. Das wollte ich damit sagen, aber war von mir unglücklich ausgedrückt."

Nein Jens – Du wurdest nicht missverstanden, sondern hast rassistischen Mist abgesondert.

Jens Lehmann bekam die Konsequenzen seines Handelns zu spüren: Er verlor seinen Posten als Aufsichtsrat bei Hertha BSC, die Sender Sky und Sport1 verkündeten, ihn nicht mehr als Experten ins Studio einzuladen. Auch seinen Job als Botschafter der Laureus-Stiftung verlor er und sein Heimatverein erteilte ihm ein Hausverbot.

Sanktionierung und Ächtung sollten nicht an erster Stelle stehen

Man kann diese Sanktionen als konsequent erachten, sie aber auch kritisch sehen: Es ist einfach, Lehmann zu entlassen und dann das Thema abzuhaken, wenn man dabei außer Acht lässt, an wen Lehmann seine WhatsApp ursprünglich schickte. Anzunehmen ist, dass sie an eine Person aus dem Umfeld des Senders Sky ging. Jens Lehmann musste wohl auch mit einer positiven Resonanz auf seine Naricht gerechnet haben: Er fügte einen breiten Lachsmiley an. Mutmaßlich dachte er wohl, dass es ein passabler Witz sei oder er gar inhaltliche Zustimmung erführe. Es ist also nur die Spitze des Eisbergs, die mit der Entlassung Lehmanns angekratzt wurde.

Aus Sicht des Autors steht an erster Stelle nicht die schwere soziale Sanktionierung – sie kann folgen, muss es aber nicht – noch eine gnadenlose Ächtung. Es geht in erster Linie darum, gesellschaftliche Sprechfähigkeit zu erzielen, ein Bewusstsein für Rassismus zu schaffen, ihn zu benennen und ihm die Hoffähigkeit zu entziehen. Weiterhin geht es darum, Betroffene in die Lage zu versetzen, den Mund aufzumachen und sich zu wehren. Im Falle Lehmanns ist es auch berechtigt, dies öffentlich zu tun, denn es ist ein gewisses öffentliches Interesse vorhanden.

Lehmann hatte bei seiner ersten Entschuldigung eindeutig gezeigt, dass er nichts verstanden hat. In seiner erneuten Entschuldigung entschuldigte er sich dann für die Äußerung selbst und nicht nur für den "entstandenen Eindruck". Auch sagte er, dass man solche Äußerungen nicht machen dürfe, damit sie nicht gesellschaftsfähig werden. Er hat an Einsicht gewonnen und sich entschuldigt. Dennis Aogo sagte dazu: "Jeder Mensch macht Fehler, jeder Mensch hat eine zweite Chance verdient. (...) Für mich ist das Thema erledigt."

Recht hat er damit, dass jeder eine zweite Chance verdient hat. Dass das Thema damit erledigt sei, damit hat er freilich Unrecht. Das hängt aber damit zusammen, dass es zu einfach ist, zu glauben, dass durch eine Entlassung von Jens Lehmann das Thema erledigt sei. Die Gesellschaft macht es sich eben – sowohl mit scharfen Sanktionen wie Entlassungen als auch mit Shitstorms – zu einfach.

Jens Lehmann hat im zweiten Anlauf die richtigen Worte gefunden. Seine zweite Chance sollte nicht allzulange auf sich warten lassen.

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