Homöopathische Forschung – eine neue "Vorzeigestudie"?

Dass Homöopathie nach dem Stand der Erkenntnisse mit der in den Naturwissenschaften maximal möglichen Sicherheit eine spezifisch wirkungslose Scheintherapie ist, das ist inzwischen – natürlich mit Ausnahme der homöopathischen Interessensphäre – Konsens. Dass und warum nach wie vor klinische Forschung zur Homöopathie betrieben wird, wirft insofern Fragen auf. Eine aktuelle Studie will nun bewiesen haben, dass ergänzende homöopathische Therapien Überlebenszeit und Lebensqualität von LungenkrebspatientInnen verbessern können. Udo Endruscheit vom Informationsnetzwerk Homöopathie (INH) hat sie sich genauer angesehen.

Gut, man will den Anhängern der Methode natürlich nicht das Recht bestreiten, weiterhin das zu tun, was in einem homöopathiekritischen Fachaufsatz einmal so schön als "futile research for nothing" ("die vergebliche Suche nach dem Nichts") bezeichnet wurde. Mögen sie bemüht sein, weiterhin nach Selbstbestätigung für ihre Position und nach wissenschaftlicher Reputation zu fahnden. Denn einen anderen Zweck vermag der Autor in homöopathischer Forschung nicht zu erkennen. Zumal an vielen Beispielen belegbar ist, dass Ergebnisse, so sie denn einmal feststehen, keinerlei Einfluss auf die homöopathische Behandlungspraxis haben. Man macht weiter, so wie man es für richtig hält.

Nun gibt es schon gelegentlich eine "Sensation" in der homöopathischen Forschung – jedenfalls nach Ansicht der homöopathischen Fraktion. So schlug eine Arbeit, die im Oktober 2020 im Journal Oncologist veröffentlicht wurde1, ein wie eine Bombe, jedenfalls in der homöopathischen Szene. Dass sich in der übrigen wissenschaftlichen Welt die Beschäftigung mit dieser Sensation nahe der Nulllinie bewegte (und bewegt), mag schon einmal zu denken geben. Denn was würde geschehen, wenn wirklich plötzlich, nach über 200 Jahren Scheitern am Wirkungsnachweis, valide und nachvollziehbar eine deutliche und praxisrelevante Wirkung von Homöopathie auch nur bei einer einzigen Indikation auf dem Tisch läge? Richtig – die Wissenschaftler weltweit würden sich darauf stürzen und die Sache genauester Prüfung unterziehen, denn hier würden gleich mehrere Nobelpreise winken. Denn es würde unter anderem darum gehen, dass bisher als feststehend angesehene Gegebenheiten in Physik und Chemie (auch als Naturgesetze bezeichnet) bislang zumindest falsch verstanden worden sind. Und – anschließend an die Bemerkungen im vorigen Absatz – gestattet sich der Autor auch die Frage, was eigentlich, vor allem in Anbetracht der Art und Weise, wie die Studie in der homöopathischen Szene rezipiert wurde, der Sinn des Ganzen sein soll? Therapeutische Erkenntnisse für die Behandlung von PatientInnen mit nicht-kleinzelligem Lungenkrebs oder ein "Beweis der Homöopathie", der den "Skeptikern" triumphierend entgegengehalten wird? Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Letzteres der Fall ist.

Es ist auch hinreichend bekannt, dass einzelne homöopathische Studien (die ohnehin angesichts der negativen Gesamtevidenz nicht ins Gewicht fallen) in aller Regel zu klein, methodisch in Planung und Durchführung mangelhaft, statistisch zweifelhaft oder sonst was sind und deshalb meist schnell nach ihrem Erscheinen ausfallen. Aber es gibt auch schon mal ein Gegenbeispiel (allerdings bislang keines, das letztlich der Kritik standgehalten hätte). Und nach so einem Gegenbeispiel, gar gehüllt in Glanz und Gloria, sieht es auf den ersten Blick bei der eingangs erwähnten Studie Frass et al. vom Oktober 2020 aus.

Denn diese zeigt wahrlich erstaunliche Effekte bei der Überlegenheit ergänzender homöopathischer Therapien bei der Überlebenszeit und der Lebensqualität von LungenkrebspatientInnen. Kommt hier der "außergewöhnliche Beleg" (Carl Sagan), der eine "außergewöhnliche Behauptung", nämlich eine starke und durchgreifende Wirkung der Homöopathie selbst bei einem schwersten Krankheitsbild begründen kann? Die homöopathische Szene, zumal die Mitglieder der Forschungsgruppe, zeigen sich tief überzeugt und verbinden dies gleich mit Seitenhieben auf die ewigen Skeptiker, denen es ohnehin schon am Grundverständnis für die Prinzipien der Homöopathie fehle.

Gleichwohl stellt sich aber selbst der gutwilligste und selbstkritischste Homöopathiekritiker nach wie vor die Frage, wie es möglich sein soll, dass Verdunstungsrückstände verschiedener Lösungen auf Zucker Überlebenszeiten und Lebensqualität von Krebspatienten in einem nahezu finalen Stadium nachhaltig verbessern sollen? Wo ist der Beweis? Wobei man am Rande zur Kenntnis nehmen darf, dass zu einem der in den Patientengruppen erfassten Faktoren zur Lebensqualität auch die Entwicklung von "Financial Difficulties" (finanziellen Schwierigkeiten) gehört, die selbstredend in der Homöopathiegruppe auch besser abschneidet als in der Placebo-Kontrollgruppe… Das ruft nicht nur nach einer genauen, sondern nach einer intensiven Nachschau.

Studienanalysten regen Zurückziehen der Studie an

Eine Studie ist unter Umständen eine höchst komplexe Angelegenheit. Das kann am Bemühen der AutorInnen um Vollständigkeit und Lückenlosigkeit liegen, ähnlich wie ein Richter bemüht ist, sein Urteil "revisionsfest" zu begründen. Völlig okay, dann müssen sich die kritischen Geister, die sich der Studie nach ihrer Veröffentlichung annehmen, eben mit dieser Komplexität zurechtfinden. Komplexität kann aber auch Faktoren überdecken, die dem "Confirmation Bias", dem Bestätigungsfehler der Forschenden, geschuldet sind. Gerade Forschung zu Homöopathie und Co. geschieht kaum wirklich ergebnisoffen, zumal wenn sie von Homöopathen durchgeführt wird. Die schiefe Ebene der Selbsttäuschung, die in den Abgrund des mächtigen Bestätigungsfehlers führen kann, ist da nicht weit. Dabei ist zunächst einmal jede Spekulation darüber müßig, ob diese schiefe Ebene eher unachtsam betreten oder eher – bewusst oder unbewusst – gesucht wird. Dies gegebenenfalls aufzudecken, ist die ureigenste Aufgabe wissenschaftlichen Diskurses.

Eine Arbeitsgruppe des Informationsnetzwerks Homöopathie und der österreichischen Initiative für wissenschaftliche Medizin haben sich der neuen Homöopathie-Studie von Frass et al. angenommen und eine Studienanalyse im Überblick veröffentlicht, eine noch detailliertere Analyse soll folgen. Und was wird dort anhand vieler akribisch herausgearbeiteter Umstände und präsentierter Belege gefolgert? Dass von einer validen Studie mit belastbarem Ergebnis wohl nicht die Rede sein könne. Es wird gar angeregt, ein Zurückziehen der Arbeit in Betracht zu ziehen. Ein größerer Kontrast zur Präsentation der neuen "Vorzeigestudie" seitens der homöopathischen Szene ist kaum zu denken.

Die Analyse möchten die Verfasser in den nächsten Wochen und gegebenenfalls Monaten breit diskutieren. Wir werden sehen, ob die Autoren der Studie dieses nach wissenschaftlichen Maßstäben völlig normale Angebot annehmen – aber genau das ist wissenschaftlicher Diskurs. Begründete Rede und Gegenrede. Nicht unbelegte Behauptung, nicht Zurückweisung auf Autoritätsebene und nicht eine Forschung, die allein der Bestätigung der eigenen Community dient und oft auch dazu, das nichtsahnende – zahlende – Publikum bei der Stange zu halten, indem der Eindruck erweckt wird, die eigene Sache stehe auf soliden Füßen und man sei kurz vor dem entscheidenden wissenschaftlichen Durchbruch (oder man habe ihn gerade geschafft). Das ist so wie die Sache mit all den Weltuntergängen in der Vergangenheit, bei denen weder valide Erklärungen für ihr Ausbleiben gegeben werden noch auf neue Vorhersagen verzichtet wird.

Die homöopathischen Forscher haben nun ihre Chance. Ob und vor allem wie sie diese wahrnehmen, wird interessieren. Nun, das Angebot zum sachlich-fachlichen Diskurs steht! Der Ball ist in der Hälfte der Homöopathen, spätestens, wenn die ausführliche Studienkritik veröffentlicht ist.

Blick in die Welt der modernen mikrobiologischen Forschung

Die Geschichte ist aber noch nicht zu Ende. Der Autor dieses Textes vergleicht gern schon einmal das, was er "homöopathische Sandkastenspiele" nennt, mit Parallelen in der wissenschaftlichen Medizin. Und gerade in diesem Sinne ergibt sich in zufälliger zeitlicher Koinzidenz etwas Bemerkenswertes.

Medizinfachlicher Gegenstand der Homöopathie-Studie waren PatientInnen, die an nicht-kleinzelligem Lungenkrebs litten. Just in diesen Tagen horchte die medizinische Fachwelt auf, weil genau zu diesem Krankheitsbild neuere Forschungsergebnisse bekannt geworden sind. Riskieren wir also einen Blick in die Welt der modernen mikrobiologischen Forschung. Dabei soll die Validität der Homöopathie-Studie gar nicht primärer Gegenstand sein. Es geht um Grundsätzliches.

Bei vielen Erkrankten mit kleinzelligen Lungentumoren wird das Tumorwachstum dadurch gefördert, dass durch eine Mutation ein sogenanntes "Onkogen", eine Gen-Umformung namens "KRAS" aktiviert wird, die leider die Tumorzellbildung enorm fördert. Das ist schon eine Weile bekannt, bislang galt aber auch mit modernen Mitteln die KRAS-Aktivität als nicht medikamentös angreifbar.

Das ändert sich gerade. In einer Phase-II-Studie ist es Forschern an der Washington University School of Medicine in St. Louis gelungen, einen Inhibitor, also eine Substanz, die biochemische Aktivitäten hemmt, sehr erfolgreich gegen die Aktivität dieses Onkogens einzusetzen. 81 Prozent der Patienten in der Phase-II-Studie hatten vorher vollständige Chemotherapien und teils auch andere Inhibitoren erhalten, die nicht mehr anschlugen. 46 von 124 Patienten (37,1 %) mit vorherigem Tumorwachstum zeigten einen Rückgang der Tumormasse um wenigstens 30 Prozent. Darunter waren 4 Patienten (3,2 %), bei denen sich Tumore und Metastasen vollständig zurückbildeten. Natürliche Folge dessen sind erhöhte Überlebenszeiten. Die Daten sind belastbar und überprüft, der kausale Zusammenhang der Effekte mit dem neuen Inhibitor zweifelsfrei. Die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA hat allein aufgrund dieser Ergebnisse in der Phase-II-Studie eine sofortige bedingte Zulassung für den neuen Inhibitor ausgesprochen.

Angesichts solcher Spitzenforschung und ihrer greifbaren Ergebnisse darf man mit Recht die Frage stellen, wie sich homöopathische Forschung, die Beweise für eine Methode sucht, die seit 150 Jahren wissenschaftlich widerlegt ist, überhaupt noch rechtfertigen will. Den Zweck, ihre Methode damit weiterhin in den Augen der Öffentlichkeit zu rechtfertigen, sollten wir ihr nicht zugestehen. Der beste Weg dahin ist, die vorgeblichen Flaggschiffe homöopathischer Forschung exakt zu analysieren – deshalb gebührt der Arbeitsgruppe vom Informationsnetzwerk Homöopathie und der Initiative für wissenschaftliche Medizin Dank dafür, dass sie sich dieser Mühe unterzieht.

Der elementare Unterschied

Das zeitliche Zusammentreffen der Homöopathiestudie Frass et al. vom Oktober 2020 und der Ergebnisse der Studie aus St. Louis, die erst vor wenigen Tagen veröffentlicht wurden, wirft wegen des zufälligen gemeinsamen Forschungsgegenstandes ein Schlaglicht auf den elementaren Unterschied zwischen modernem Forschungsteamwork mit ständigem Wissenszuwachs und dem Bemühen, einer über 200 Jahre alten unplausiblen Heilslehre praktische Bedeutung für die heutige Medizin abzuzwingen.

Während die moderne medizinische Mikrobiologie hier unglaubliche Triumphe feiert und harte Fakten präsentiert, die konkrete Zukunftsaussichten für Schwerstkranke eröffnen, werden in der Homöopathie statistische Werte ohne Kausalitätsnachweis zur Überlebenszeit und subjektiv erhobene Veränderungen in einer Reihe von Aspekten der "Lebensqualität" – unter anderem der Entwicklung "finanzieller Schwierigkeiten" von PatientInnen – als Ergebnisse von komplementären homöopathischen Behandlungen ins Feld geführt. Eine sinnvolle Deutung dieser Ergebnisse, die erst einen verlässlichen Umgang mit ihnen in der therapeutischen Praxis ermöglichen würde, fehlt ebenso wie unabhängige Reproduktion. Ob nun methodisch valide oder nicht – wozu überhaupt solche Forschung, angesichts des heutigen tiefen Verständnisses der Zusammenhänge der menschlichen Biologie, die kaum noch Deutungs- und Verständnislücken offenlassen und ja gerade deshalb die Grundannahmen der Homöopathie Tag für Tag widerlegen? Wo zudem soll hier eine Basis für "Miteinander" von wissenschaftlicher Medizin und Homöopathie sein?

Weiterhin durch homöopathische Forschung die Annahme zu schüren, es sei etwas dran an Hahnemanns Heilslehre aus dem 18. Jahrhundert, ist allein angesichts solcher Diskrepanzen unverständlich, wenn nicht unethisch. Forschungsressourcen jedenfalls aus öffentlichen Mitteln müssen anders allokiert werden als auf dem pseudomedizinischen Feld. Von der Duldung pseudomedizinischer Privilegien gar nicht zu reden. Wir reden über Menschenleben. Aufklärung hierzu auch auf der politischen Ebene ist demnach humanistische Pflicht.

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1 Frass, M; Lechleitner, P.; Gründling, C. et al.: Homeopathic Treatment as an Add-On Therapy May Improve Quality of Life and Prolong Survival in Patients with Non-Small Cell Lung Cancer: A Prospective, Randomized, Placebo-Controlled, Double-Blind, Three-Arm, Multicenter Study. The Oncologist 2020; 25: e1930–e1955 ↩︎