Kommentar

Die Gegner der Neutralität und ihre Polemik

Das neue "Gesetz zur Regelung des Erscheinungsbildes von Beamtinnen und Beamten" wurde am 22. April 2021 zunächst vom Bundestag und dann am 7. Mai vom Bundesrat verabschiedet. Seither wird es von Aktivistinnen als "Kopftuchverbot" dargestellt. Die Online-Kampagne "#handsoffmyhijab" (Deutsch: "Hände weg von meinem Kopftuch") – entstanden in Frankreich unter dem Hashtag "touchepasamonhijab" – bedient sich der Rhetorik eines vermeintlichen Kopftuchverbotes und soll im Folgenden als Fallbeispiel dienen, um die islamistische Polemik gegen die Neutralitätsgesetze aufzuzeigen.

Ursprünglich war die Kampagne als Reaktion auf Emmanuel Macrons Maßnahmen (u. a. ein Fünf-Punkte-Plan) gegen islamistischen Separatismus – gemeint sind Parallelstrukturen in islamischen Milieus – ins Leben gerufen worden. Die Maßnahmen wiederum waren aufgrund einer langen Serie islamistischer Anschläge in Frankreich eingeleitet worden. Eine dieser Maßnahmen, gegen die sich die Online-Kampagne richtet, ist das "Gesetz zur Stärkung der republikanischen Prinzipien" (Französisch: Projet de loi confortant le respect des principes de la République), das die französische Regierung verabschiedet hat.

Der Titel des Gesetzes verwendet den Terminus "Islamismus" zwar nicht, jedoch betonen Macron und seine Minister, dass es vor allem der islamische Separatismus ist, den es zu bekämpfen gilt. Insbesondere muslimische Frauen, die das Kopftuch tragen, haben es sich zur Aufgabe gemacht, gegen das Gesetz zu demonstrieren – was in Anbetracht der Vorgeschichte des Gesetzes doch recht tragisch ist. Der Hashtag "handsoffmyhijab" verbreitete sich schnell auch außerhalb Frankreichs und wird seit der Veröffentlichung des Entwurfes zum neuen Beamtengesetz (19. Februar 2021) – auch bekannt als Neutralitätsgesetz – ebenso von in Deutschland lebenden Musliminnen verwendet.

Anlass des deutschen Neutralitätsgesetzes war unter anderem ein Polizeibeamter mit rechtsextremistischen Tätowierungen, aber auch das in Deutschland geltende Religionsverfassungsrecht und das darin enthaltene Neutralitätsgebot. Der Gesetzestext zielt also entgegen der Behauptung der #handsoffmyhijab-Aktivistinnen keineswegs darauf ab, muslimischen Frauen die Beschäftigung im Staatsdienst zu untersagen. Wer als Beamtin oder Beamter für den Staat arbeitet, darf individuelle Bekenntnisse politischer oder religiöser Natur während der Amtsausübung nicht zur Schau stellen. Beamtinnen und Beamte vertreten den Staat, weswegen Staatsprinzipien wie das Neutralitätsgebot für sie bindend sind, besonders dann, wenn der Staat den Bürgerinnen und Bürgern gegenübertritt.

Die #handsoffmyhijab-Aktivistinnen behaupten zudem, das Gesetz sei islamophob und rassistisch. Die Einschränkungen für die Zurschaustellung religiöser Symbole gilt jedoch für alle Religionen und Weltanschauungen gleichermaßen, weswegen eine Darstellung des Gesetzes als Maßnahme gegen den Islam den Gesetzestext verzerrt. Im öffentlichen Raum gilt es, ein Bewusstsein für ein umfangreiches Verständnis der Religionsfreiheit zu entwickeln. Ein solches umfasst ebenso wie die positive auch die negative Freiheit und richtet sich gegen Forderungen nach Sonderrechten für religiöse Gruppierungen. Derartige Forderungen sind nicht höher zu gewichten als das Recht auf Freiheit von Religion. Wer Beamtin beziehungsweise Beamter ist, hat seine beziehungsweise ihre Individualität nicht über den Auftrag im Staatsdienst zu stellen, sondern das Neutralitätsprinzip des Staates zu vertreten. Die Vertreterinnen der Kampagne fordern Sonderrechte für die islamische Gemeinde, wenn sie religiöse Kleidungsstücke wie den Hidschab während der Ausübung des Staatsdienstes tragen möchten. Doch Sonderrechte für einzelne Gemeinden können in einem modernen, säkularen Staat nicht zugelassen werden.

Durch die Polemik eines Kopftuchverbotes wird der Anschein erweckt, das Gesetz benachteilige gezielt muslimische Frauen. Es handelt sich dabei aber keineswegs um einen Versuch, eine bestimmte Religionsgemeinschaft zu diskriminieren. Solch eine Darstellung zielt bewusst darauf ab, anti-säkulare Kräfte zu mobilisieren und stärkt eine islamistische Argumentationsweise. Weiterhin emotionalisiert die Online-Kampagne den politischen Diskurs etwa durch Behauptungen, dass muslimischen Frauen verboten werde, Richterin zu werden oder Frauen mit Kopftuch in Deutschland nur für niedere Tätigkeiten geeignet seien. Vielfach drücken sich in solchen Behauptungen religiöse Moralvorstellungen aus, die mit rationalen Diskursen unvereinbar sind. Im Übrigen ist die Implikation, dass Musliminnen untrennbar mit ihrem Kopftuch verbunden seien, pauschalisierend, zumal es sowohl in der islamischen als auch in der westlichen Welt Hinweise auf eine Tendenz gibt, das Kopftuch abzulegen.

Diese Denkweise weist das Muster einer Verstrickung von Religion und Ethnie auf. Es wird vorausgesetzt, dass das Tragen von religiösen Symbolen im Staatsdienst besonders für Menschen mit Migrationshintergrund wichtig sei, ohne zu erkennen, dass viele Personen mit Migrations- und Fluchthintergrund areligiös sind. Ferner ist die Behauptung falsch, staatliche Neutralität fördere Islamophobie und sei daher rassistisch. Zahlreiche Migranten-Selbstorganisationen wenden sich gegen den pauschalisierenden und rassistischen Fehlschluss, alle Geflüchteten und Einwanderinnen beziehungsweise Einwanderer aus Vorderasien und Nordafrika seien muslimisch. Viele dieser Organisationen treten für säkulare Positionen, eine humanistische Bildung, die Universalität der Menschenrechte und die Werte der Aufklärung ein und werden dafür massiv von islamistischen Kräften angefeindet und bedroht. Die Initiatorinnen und Initiatoren dieser Verbände setzen sich gegen religiöse Sonderrechte und für die Trennung von Staat und Religion ein. Im deutschsprachigen Raum gibt es etwa folgende Organisationen, die sich in diesem Zusammenhang engagieren:

Die Diffamierung säkularer Positionen als rassistisch oder frauenfeindlich trägt zu einer Emotionalisierung der Diskussion bei. Solch eine Argumentationsweise ist zurückzuweisen und hat in einem sachorientierten Diskurs keinen Platz. Der falsche Vorwurf des Rassismus trifft auch Migranten-Selbstorganisationen, die säkulare Positionen vertreten. Dadurch wird versucht, die migrantische Community zu spalten, wobei bewusst ausgeblendet wird, dass die Gruppe der in Deutschland lebenden Migrantinnen und Migranten sehr heterogen ist. Individuen und Organisationen wie die oben genannten setzen sich für die staatliche Neutralität ein. Diese Neutralität bedeutet, dass der Staat einzelne Religionsgemeinschaften weder bevorzugen noch diskriminieren darf. Die Forderung nach Sonderrechten von Teilen der islamischen Community steht somit dem staatlichen Neutralitätsprinzip entgegen.

Die Gegner der Neutralität beweisen durch ihre Polemik, dass sie gegenwärtig nicht an einem sachorientierten Diskurs teilnehmen können. Die Fabrikation des Narrativs eines "Kopftuchverbotes" ist sowohl in seiner Rhetorik als auch in seinem Inhalt zurückzuweisen und bringt das Weltbild der Aktivistinnen zum Ausdruck.

Unterstützen Sie uns bei Steady!