Kommentar

Kotau vor den Kirchen – Quo vadis, SPD?

So erfreulich viele Punkte des Koalitionsvertrags für die Genossinnen und Genossen auch sein mögen, so bitter ist manche Pille, die es gleichzeitig zu schlucken gilt: Der Umgang der SPD insbesondere mit dem System des kirchlichen Arbeitsrechts – auch bekannt als "Dritter Weg" – offenbart, welche außerparteilichen Lobbyvertreter und innerparteilichen Kontaktleute sich bei der Formulierung des Koalitionsvertrages durchgesetzt haben.

Die beiden christlichen Kirchen in Deutschland beschäftigen über ihre Wohlfahrtsverbände wie Caritas, Diakonie und ihre Wirtschaftsunternehmen mindestens 1,3 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in circa 55.000 Einrichtungen. Damit sind sie nach dem Staat der zweitgrößte Arbeitgeber. 

Die Finanzierung der meisten Einrichtungen in kirchlicher Trägerschaft (Krankenhäuser, Altenheime) erfolgt dabei zu 100 Prozent aus öffentlichen Mitteln, selbst das "Aushängeschild" Kindergärten wird nur zu einem sehr geringen Teil kirchlich bezuschusst.

In diesen Einrichtungen gilt ein eigenes, kirchliches Arbeitsrecht, was die Angestellten zu Arbeitnehmern minderen Rechts macht.

Aus naheliegenden Gründen sollte die Beseitigung dieser Form der Diskriminierung an und für sich ein Herzensthema der SPD sein. So äußert sich auch die Juristin und ehemalige Spitzenpolitikerin der SPD, Ingrid Matthäus-Maier, Sprecherin der 2012 gegründeten Initiative GerDia ("Gegen religiöse Diskriminierung am Arbeitsplatz"): "Die offensive Ausgrenzungspolitik kirchlicher Betriebe ist ein Skandal, der nicht weiter hingenommen werden darf."

Auf dem Parteitag in Leipzig 2013 hatte sich die Partei nach heftigen Debatten dann durch mehrere Beschlüsse endlich wieder zu gleichen Arbeitnehmerrechten auch in den Kirchen bekannt und für die dort Beschäftigen das Tarif- und Streikrecht sowie die Mitbestimmung nach dem Betriebsverfassungsgesetz gefordert.

Selbstbestimmungsrecht der Kirchen gibt es rechtlich betrachtet nicht

Auf einen spürbaren Impuls der Partei zur entsprechenden Umsetzung wartete man leider seitdem vergeblich, obwohl es das sogenannte Selbstbestimmungsrecht der Kirchen rechtlich betrachtet gar nicht gibt, so oft es auch von einigen Gerichten in der Vergangenheit behauptet und von den Kirchen gerne aufgegriffen und reproduziert wurde.

Die Kirchen dürfen in ihrem Bereich "ordnen und verwalten", jedoch – gemäß Artikel 140 GG in Verbindung mit Artikel 137 Absatz 3 WRV – nur innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Von Selbstbestimmung keine Rede; eine eigene Nebenrechtsordnung oder ein rechtlicher "Staat im Staate" verbietet sich neben unserem Grundgesetz ohnehin von selbst.

Gänzlich unkritisch erfolgt gemeinhin auch die Verwendung des Terminus' "Dienstgemeinschaft" seitens der Kirchen zur Rechtfertigung ihres Diskriminierungsprivilegs. Dabei ist dieser Begriff historisch vorbelastet. Nach dem Führer-/Gefolgschaftsprinzip wurde der Begriff aus der Tarifordnung der Arbeit in öffentlichen Verwaltungen von Betrieben aus dem Jahre 1934 in die kirchliche Tarifordnung übernommen ("Betriebsführer und Gefolgschaft bilden eine Dienstgemeinschaft") und das Dienen auf den religiösen Auftrag der Kirchen übertragen.

Um so größer waren nun die in die SPD gesetzten Hoffnungen – verstärkt durch richtungsweisende Urteile des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesarbeitsgerichts –, die Umsetzung der Beschlüsse von Leipzig "anzupacken".

Doch bereits das "Zukunftsprogramm" der Sozialdemokraten verhieß in diesem Punkt wenig Gutes: "Gemeinsam mit den Kirchen wollen wir einen Weg erarbeiten, ihr Arbeitsrecht dem allgemeinen Arbeits- und Tarifrecht sowie der Betriebsverfassung anzugleichen" (S. 28, Hervorhebung durch die Autoren). Angleichen und nicht etwa abschaffen; "gemeinsam mit den Kirchen" anstelle der Durchsetzung allgemeingültigen Rechts.

Sowohl die FDP als auch die Grünen hatten zuvor in ihren Wahlprogrammen in klaren Worten eine Reform gefordert:

FDP: "Ebenso müssen kirchliche Privilegien im Arbeitsrecht abgeschafft werden, soweit sie nicht Stellen betreffen, die eine religiöse Funktion ausüben." (S. 41, Hervorhebung durch die Autoren)

Grüne: "So wollen wir, dass beispielsweise das kirchliche Arbeitsrecht reformiert und die gewerkschaftliche Mitbestimmung gefördert wird sowie die Ausnahmeklauseln für die Kirchen im Betriebsverfassungsgesetz und im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz aufgehoben werden." (S. 175, Hervorhebung durch die Autoren)

In den Koalitionsvertrag schaffte es dann folgender Passus:

"Gemeinsam mit den Kirchen prüfen wir, inwiefern das kirchliche Arbeitsrecht dem staatlichen Arbeitsrecht angeglichen werden kann. Verkündungsnahe Tätigkeiten bleiben ausgenommen". (S. 71, Hervorhebung durch die Autoren)

Da reibt man sich nicht nur als Sozialdemokrat die Augen!

Gerade die SPD stand auf der Bremse

Dass an diesem Punkt erneut gerade die sozialdemokratische Partei auf der Bremse stand und ohne Not den Kirchen einen Platz bei der "Prüfung" der Situation einräumt, hat all jene enttäuscht, die nach den Bundestagswahlen auf ein konsequentes gemeinsames Vorgehen der Regierungsparteien bei der Abschaffung der kirchlichen Diskriminierungsprivilegien gehofft hatten.

Auf einer SPD-Digitalveranstaltung am 1. Dezember zum Koalitionsvertrag äußerte sich der designierte konfessionsfreie Kanzlerkandidat und Arbeitsrechtler Olaf Scholz auf die Frage, ob sich die SPD nun aktiv für eine konsequente Abschaffung des kirchlichen Arbeitsrechts engagieren würde: "Wir wollen in Zusammenarbeit mit den Kirchen eine Weiterentwicklung voranbringen; das geht nur in einem kooperativen Prozess. Aber dass da etwas zu tun ist, das ist genau in diesem Koalitionsvertrag aufgeschrieben. Dieser Prozess soll dann angestoßen werden."

Warum die Durchsetzung des für alle Bürgerinnen und Bürger geltenden Rechts nur in einem Kooperationsprozess mit den Kirchen erfolgen kann, erschließt sich nicht, ist weder begründet, noch zwingend.

Dass diese Einschränkung von Beschäftigten-Grundrechten sowie die Diskriminierung von Konfessionsfreien nun schon gar nicht mehr abgeschafft werden soll, sondern  lediglich "gemeinsam mit den Kirchen geprüft" und dann (eventuell) "angeglichen", und sich damit gerade die SPD de facto als verlängerter Arm der Kirchen – und eben nicht der betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitsnehmer – geriert, ist ein mehr als bedrückender Zustand.

Doch bleiben wir optimistisch!

Allerdings lassen im Lichte dieser Verstrickung von Partei und Kirche die anstehenden Parlamentsdebatten – zum Beispiel auch zur Ablösung der Staatsleistungen – nicht nur Gutes erahnen.

Der Artikel erschien außerdem auf der Website der Säkularen Sozis.

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