Aktuelle Studie

In der Pandemie bröckelt der Glaube

Sowohl der religiöse Glaube als auch das Vertrauen in eine transzendente höhere Macht haben bei den Deutschen im Verlauf der Corona-Krise abgenommen. Darauf weist nun eine umfangreiche Studie hin. Für ihre Untersuchung hatten die Forscher zwischen Juni 2020 und November 2021 über 4.500 Personen nach ihren religiösen Überzeugungen und Praktiken befragt, unter ihnen katholische und protestantische Gläubige sowie Menschen, die religiöse oder spirituelle Praktiken ohne Anbindung an eine Religionsgemeinschaft ausführten. Außerdem wurde weniger gebetet und meditiert.

Damit legt das Forscherteam interessante Befunde vor, die eine eingehende Interpretation außerhalb seines eigenen – religiös geprägten – Umfeldes verdienen, ja erfordern. Erstautor ist Arndt Büssing, der an der Universität Witten/Herdecke den Lehrstuhl für Medizintheorie, Integrative und Anthroposophische Medizin innehat, Co-Autoren sind der Freiburger Theologe Klaus Baumann und Janusz Surzykiewicz von der Katholischen Universität Eichstätt.

Sie befragten 4.693 Personen, die sie sowohl unter den Studierenden und Angestellten ihrer Hochschulen als auch in Kirchengemeinden und religiösen Orden rekrutierten. Weitere Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurden über die Sozialen Medien geworben.

Gaben im Juni 2020, also nach dem ersten Lockdown, noch über 60 Prozent der Katholiken an, einer unterstützenden höheren Macht zu vertrauen, waren es in der vierten Welle (August bis November 2021) nur noch etwa 36 Prozent. Bei den Protestanten sank die Zustimmung im gleichen Zeitraum von 52 auf 38 Prozent, bei den religiös Ungebundenen von 37 auf 25 Prozent.

Eine ähnliche Entwicklung zeigt sich bei der Zustimmung zur Aussage, dass der Glaube eine Kraftressource sei. Hier fiel die Zustimmungsrate im Beobachtungszeitraum bei den Katholiken von 49 auf 23 Prozent, bei den Protestanten von 33 auf 24 Prozent und bei den religiös Ungebundenen von 26 auf 19 Prozent.

Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache, zumal die Befragten tendenziell eher dem religiösen Spektrum zuzurechnen sind als die Durchschnittsbevölkerung. Dass sich selbst in dieser Gruppe viele im Verlauf der Pandemie vom Glauben abwandten, hat die Forscher offenbar überrascht. Wie sie selbst schreiben, waren Büssing und seine Co-Autoren davon ausgegangen, dass religiöser Glaube den Umgang mit schwierigen Lebenssituationen erleichtern und in der Pandemie zum individuellen Wohlbefinden beitragen könne. Konsequenterweise – zumindest aus ihrer ideologischen Nische betrachtet – fordern sie, dass diese Aufgabe durch die Glaubensgemeinschaften übernommen werden müsse. Eine Begründung geben sie ebenso wenig, wie sie Alternativen, etwa soziale Unterstützung durch weltanschaulich neutrale oder säkulare Gruppen, diskutieren.

Aber womit erklären die Autoren die festgestellte Glaubensabkehr? Ganz einfach: sie führen sie auf einen äußeren Faktor zurück, nämlich auf den zeitweisen Stopp von Gottesdiensten und anderen religiösen Veranstaltungen während der Lockdown-Phasen. Dabei übersehen sie jedoch, dass für Gottesdienste vielfach Sonderregelungen galten, so wurden sie beispielsweise ab August 2021 von der 3G-Regel ausgenommen. Kirchgänger mussten also nicht auf ihr gewohntes Ritual verzichten, ebenso wenig wie alle, die ohne Anbindung an eine Gemeinde spirituelle Praktiken ausüben.

Unberücksichtigt lässt die Studie auch den anhaltenden Großtrend weg vom Glauben, der bereits deutlich vor der Pandemie zutage trat und derzeit erneut Aufwind erfährt. Es liegt nahe, die Studie als einen weiteren Hinweis zu lesen, dass Religion und spirituelle Praktiken nur unzureichende Ressourcen bieten, um die anhaltende Krise zu bewältigen. Die Debatte, wie wir gemeinsam am besten durch die Pandemie kommen, ist unabdingbar und zum Glück in vollem Gange. Zukunftsweisende Modelle dürften hier Rückschritten zu überholten, irrationalen Denkmodellen überlegen sein.

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