Rechtsausschuss-Anhörung zur Suizidhilfe ohne Sachverständige aus der Sterbehilfe-Praxis

Am heutigen Montag findet im Rechtsausschuss des Bundestages eine öffentliche Anhörung zum Thema Sterbehilfe statt. In zwei Abschnitten soll es um Sterbebegleitung und Suizidprävention gehen. 15 Sachverständige sind geladen – darunter ist jedoch niemand, der die Suizidhilfe kennt, wie sie aktuell in der Praxis stattfindet.

Fünf Stunden sind angesetzt für die Anhörung im Rechtsausschuss, zu der die Fraktionen Sachverständige aus verschiedenen Disziplinen eingeladen haben, darunter mehrere Juristen, Ärzte, Vertreter der Palliativ- und Hospizarbeit, eine Psychiaterin, eine Medizinethikerin, ein Theologe und ein Betroffener. Dabei ist eine deutliche Schlagseite unübersehbar: Die Selbstbestimmungsgegner unter den Geladenen sind deutlich in der Überzahl, während echte Befürworter und Praktiker nicht vertreten sein werden. Prof. Robert Roßbruch, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS), empfindet dies als befremdlich. Dieser Umstand spiegele die offensichtliche Ängstlichkeit wider, mit der auch der Thematik gegenüber offene und zugewandte Bundestagsabgeordnete sowie die Protagonistinnen der beiden liberalen Gesetzentwürfe meinten lavieren und taktieren zu müssen. "Ein unter zivilgesellschaftlichen Aspekten völlig falsches Signal", so der Rechtsanwalt gegenüber dem hpd.

Auch der geplante Ablauf der Rechtsausschussanhörung offenbart eine Fehleinschätzung, die bereits in einer Stellungnahme des Deutschen Ethikrats von Ende September enthalten war, nämlich eine Vermischung von Personen, die sich in einer suizidalen Krise befinden, mit solchen, die einen Freitodwunsch entwickelt haben. Die DGHS kritisierte diese fälschliche Pathologisierung in einer Stellungnahme, die auch beim hpd veröffentlicht wurde. Eben jene Verquickung findet sich nun auch in der Aufteilung des Programms der Anhörung in "Sterbebegleitung" und "Suizidprävention" wieder und verkennt, dass die derzeit in der Suizidhilfe tätigen Verbände sich auch für die Suizidprävention engagieren.

Diesem falschen Anschein hätte durch die Einbeziehung eines Vertreters oder einer Vertreterin beispielsweise einer der drei in Deutschland ansässigen Organisationen entgegengewirkt werden können. Dies ist jedoch nicht geschehen, und so fehlt die Perspektive derjenigen, die wissen, wie ein assistierter Suizid derzeit abläuft. Dazu erklärt Dieter Graefe, Pressesprecher und Justiziar des Vereins Dignitas Deutschland: "Eine sachgerechte Anhörung erfordert die Auswertung der praktischen Erfahrungen, die sich nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ergeben haben. Eine dazu gebotene Befragung der Sterbehilfe-Vereine ist nicht erfolgt."

Seitdem das Bundesverfassungsgericht 2020 den sogenannten "Sterbehilfeverhinderungsparagraphen" 217 gekippt hat, ist Suizidassistenz in Deutschland auch dann wieder legal, wenn sie "geschäftsmäßig" und "auf Wiederholung" angelegt ist, heißt: Nicht nur Privatpersonen dürfen Suizidhilfe leisten, sondern auch Vereine. Freitodbegleitungen der DGHS beispielsweise finden derzeit unter Anwesenheit eines Arztes und eines Juristen statt, die Polizei wird hinzugezogen und prüft jeden einzelnen Fall. Ein geregeltes Vorgehen, das eine gesetzliche Neuregelung eigentlich unnötig macht.

Dennoch liegen derzeit drei Gesetzentwürfe vor, über die voraussichtlich im ersten Quartal des neuen Jahres im Bundestag abgestimmt werden soll: Lars Castellucci (SPD) schlägt gemeinsam mit derzeit 122 unterstützenden Parlamentariern die Wiedereinführung von Paragraph 217 vor, ergänzt um Ausnahmen und ein Werbeverbot, das im Wortlaut dem erst in diesem Sommer abgeschafften Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche entspricht. Die FDP-Abgeordnete Katrin Helling-Plahr kann derzeit 82 Unterstützende hinter sich vereinen, darunter Gregor Gysi, Sarah Wagenknecht und Daniela Kluckert. Dieser Gesetzentwurf sieht für Sterbewillige Pflichtberatungen und Wartefristen vor. Der dritte Vorschlag stammt von der Grünen-Politikerin Renate Künast, den 50 Mitglieder des Bundestages mittragen. Dieser sieht vor, dass Menschen, die ihr Leben beenden wollen, ihre Beweggründe vorab einer Bewertung unterziehen lassen müssen.

Robert Roßbruch hält keines der drei Vorhaben für geeignet: "Der Gesetzentwurf von Castellucci et al. ist aus meiner Sicht schon deshalb verfassungswidrig, da er wesentliche Feststellungen aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Februar 2020 nicht berücksichtigt beziehungsweise negiert. Die beiden liberalen Gesetzentwürfe werden insofern dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht gerecht, als in den jeweiligen Gesetzesregelungen eine Beratungspflicht implementiert wird, die einerseits die große Gefahr in sich birgt, dass sich freitodwillige Personen genötigt sehen, sich für ihre freiverantwortliche Entscheidung rechtfertigen zu müssen. Andererseits ist nicht nachvollziehbar, warum sich ein 80-jähriger, seit zehn Jahren an Darmkrebs leidender Mensch, nach diversen Eingriffen und unzähligen und langen Aufklärungsgesprächen mit seinen behandelnden Ärzten im Endstadium seiner Krankheit nun auch noch – im Hinblick auf seine freiverantwortliche Entscheidung, eine professionelle Freitodbegleitung in Anspruch nehmen zu wollen – beraten lassen sollte. Ganz abgesehen davon, dass das konkrete Beratungsprozedere nicht näher geregelt und somit völlig offen ist, wann, wie, wo und mit welchem Personal die jeweilige Beratungsstelle aufzubauen ist. Jedenfalls müssten die Beratungsstellen grundsätzlich so konzipiert sein, dass deren Mitarbeiter/innen die freitodwilligen Personen auch zuhause aufsuchen können, da viele von ihnen aus krankheitsbedingten Gründen gar nicht mehr in der Lage sind, ihre Wohnung oder gar ihr Bett zu verlassen." Natürlich müsse Missbrauch verhindert werden, wenn es ihn denn geben sollte, dafür reichten aber die bestehenden Gesetze aus, so Roßbruch außerdem in einer am Freitag veröffentlichten Pressemitteilung der DGHS.

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