In Österreich ist aufgrund der Bemerkung eines Politikers während eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses eine herzhafte politische Debatte über das Grüßen und die Aktualität des Grußes "Grüß Gott" entstanden.
Menschen, die einen Sensor für gesellschaftliche Vulkanausbrüche in sich tragen, haben natürlich schon vor Jahren auf diese tektonische Bruchlinie hingewiesen und auch schon damals Vorschläge gemacht, die sich bereits beginnen durchzusetzen.
So haben wir unter uns Humanisten eingeführt, nicht das mittelalterliche "Grüß Gott!" zu verwenden, das unter Fortschrittsdenkern schon vor einem halben Jahrhundert den Gegengruß "Ich lass ihn auch schön grüßen!" oder unter Sozialisten "Grüß Gott in aller Freundschaft!" ausgelöst hat, sondern den neutralen, für alle akzeptablen und angesagten Gruß "Ich achte dich!" (kurz: "Achte dich/Sie!").
Denn heute geht es nicht mehr darum, Gott zu loben oder im Namen Gottes zu grüßen, wo Gott zwar nicht tot, aber für die Mehrheit der Bürger irrelevant geworden ist. Kein Wunder also, dass sich dieser Gruß bestenfalls noch für den Pfarrgemeinderat eignet. Warum muss ein Gruß ewig halten, in einer Welt, in der sogar weite Teile der Sprache demontiert werden, um auf eine Gruppe von Menschen aufmerksam zu machen?
Laplace antwortete auf die Frage Napoleons, warum Gott, anders als bei Newton, nie in seinen Theorien vorkomme, dass er "diese Hypothese nicht benötige". Die meisten Menschen heute – wie einst Laplace – sind nun ebenso weit und benötigen diese Annahme nicht mehr. Fällt denn den Politikern, die aus ideologischen Gründen noch immer stramm mit Gott herumwerken, nicht auf, dass sie auf einem Herrgottschnitzer-Holzweg sind?
In einer Welt, in der Pluralismus der Name des Spiels ist, kann man doch nicht auf etwas pochen, das aus der Zeit absoluter Herrschaftsansprüche stammt und die Loyalität zu diesen bekundet. Was, wenn morgen die islamische Bevölkerung in der Früh in die Bäckerei kommt und alle mit "Allah ist groß" begrüßt?
Langsam muss sich der Gedanke durchsetzen, für den ich seit Jahren plädiere, dass Religion in der Öffentlichkeit – vor allem in der politischen – nichts zu suchen hat. Religion ist etwas Intimes, etwas sehr Persönliches, sie für politische Statements zu missbrauchen, lehnen die meisten Menschen genauso ab wie das Kopftuch der Frauen als politisches Statement ungeeignet ist.
Was wir in unserer Welt brauchen, ist nicht das Bekenntnis zu einem "Wesen, das wir verehren", wie es Heinrich Böll genannt hat, weil jedem etwas anderes heilig ist (mir zum Beispiel mein Wochenende). Was wir brauchen – und das dringend! – ist Respekt anderen Menschen gegenüber.
Wir können ihre Ideen ablehnen, ja sogar für verrückt halten und das auch sagen, aber wir müssen den anderen respektieren. Also: "Ich achte euch!"
15 Kommentare
Kommentare
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Was wir brauchen-und das dringend!-ist Respekt anderen Menschen gegenüber.
Genau das ist das Problem, dass anderen Menschen gegenüber oft kein Respekt vorhanden
Diese Einstellung spaltet anstatt eine gemeinsame Weltanschauung zu befördern.
Es bedarf noch viel Aufklärung bis diese falsche Sicht auf andere beseitigt ist.
Man kann auch nicht auf die Taten eines einzelnen, kranken Menschen, auf die gesamte
Bevölkerung eines Landes schließen.
Nur so kann ein weltweiter Friede gelingen und das Wort Krieg aus dem Vokabular der
Menschheit gestrichen werden.
A.S. am Permanenter Link
Ich bin ja der Überzeugung, dass wir durch Indoktrination gläubig gemacht werden bzw. gemacht werden sollen. Die Grußformel "Grüß Gott" gehört m.E.
Grußformeln wie "Guten Morgen", "Guten Tag", "Guten Abend", "Hallo", "Leben Sie wohl" sind weltanschaulich neutral und nicht indoktrinierend.
Roland Fakler am Permanenter Link
Mein Vorschlag wäre, auf das „Grüß Gott“ antwortet man „und den Teufel auch". Warum? Weil der sonst beleidigt sein könnte und das wiederum gravierende Folgen hätte.
Klaus Weidenbach am Permanenter Link
Um die Absurdität dieses frommen Grußes mit "lebendigen Göttern"zu unterstreichen habe ich mir angewöhnt, "tote Götter" zu grüßen, wie : Grüß Jupiter, Grüß Athene, Grüß Huitzolopochtli.
David Z am Permanenter Link
Das sehe ich anders.
Als Heide, Atheist, Kirchen- und Dogmenkritiker habe ich mit den Worten "Grüß Gott" nicht das geringste Problem. Im Gegenteil, ich empfinde es als gemeinsames, traditionelles Erbe unserer Sprachkultur - und die Kritik daran als zersetzende Anti-Kultur.
Es gibt an den Religionen so viel zu kritisieren. Diese Sache hingegen ist ja wohl so trivial, dass es kaum der Rede wert ist.
Klaus Bernd am Permanenter Link
Mir geläufiger ist der Gegengruß „wenn du ihn siehst“. Gebrauchten in meiner Umgebung gelegentlich auch Kirchgänger.
„Was, … alle mit "Allah ist groß" begrüßt?“
„Ich achte euch“ klingt in meinen Ohren etwas gekünstelt. Warum nicht einfach „Guten Tag“ ?
wolfgang am Permanenter Link
Immer wenn ich mal in Bayern meine bayerische Verwandschaft besuchte und der Schlachtruf "Grüß Gott!" erklang, hat's mich durchzuckt, sollte es schon soweit sein?
Diamond Namara am Permanenter Link
Sie sind bekloppt, aber ich achte Sie. Das wäre doch eine schöne Erwiderung.
Dr. Andreas Gradert am Permanenter Link
Auch ich empfinde den bayrisch-österreichischen Traditionsgruß als traditionelles Erbe.
Humanisten schreiben niemandem vor, was er darf und nicht darf. Die Dogmatik überlasse ich den Kirchen. 'Ich grüße Sie/Dich!' ist doch als Alternative passabel? Kein Zeigefinger, der bessere Teil der Tradition bleibt erhalten. Eine direkte Anrede, über die sich jeder freut.
Welcher Teufel die SPÖ nun reitet, ist mir unerklärlich .. schließlich war sie unser Zielpublikum zu den Zeiten, als der Humanistische Verband Österreich noch 65.000 Mitglieder hatte.
Bei Heinrich Böll nötigt Murke den Professor Bur-Malottke zu zehn Nominativen, sieben Genitiven, fünf Dativen, fünf Akkusativen und einem Vokativ: "O du höheres Wesen, das wir verehren." Doch im Grunde interessiert Murke nur das Schweigen. Er sammelt die Stille, die Pausen, das Atemholen. Das Tonband hört er sich abends in Ruhe an und sein Puls sinkt.
Darauf könnten sich viele besinnen. Und nun schweige ich.
Michael Wladarsch am Permanenter Link
Gottseidank kann man in Bayern einfach SERVUS sagen ; )
Zweiflerin am Permanenter Link
"Servus" bedeutet im Lateinischen "Sklave". Das hat mich schon immer etwas nachdenklich gestimmt in Bezug auf diese Grußformel.
wolfgang am Permanenter Link
Ich habe mir auch Gedanken gemacht, wie grüßt man in der Hölle und wie im Himmel?
Dr. Gerhard Eng... am Permanenter Link
Servus sagt man aber auch nur zu einem Freund und quasi einem Mit-Sklaven und nie zu einem Höheren. Servus ist amikal und hat einen Bedeutungswandel durchgemacht.
Ralf Osenberg am Permanenter Link
Da „Grüß Gott“ eine Verkürzung von „Es grüße dich Gott“ ist und kein Imperativ, antworte ich gern mit „Ich grüße dich persönlich“.
Hartmut Giehl am Permanenter Link
Statt "Grüß Gott" sagt man zu einem Bekannten in Bayern üblicherweise "Grüß dich" und zu mehreren Bekannten "Grüß euch" und in der Schweiz sagt man zu allen immer "Griazi", was