Plutarch – der erste Tierrechtstheoretiker

Die Tugend von Gans und Hai

BERLIN. (hpd) Stopfgänse gab es schon im alten Rom. Die Frage, ob man Tiere überhaupt essen darf, war nicht von ungefähr keinem Geringeren als Plutarch einen Dialog, zwei Traktätchen und ein phantastisches Kabinettstück über Odysseus Begegnung mit den von Kirke verzauberten Schweinen wert. Er, kein Querdenker und Revoluzzer, kann als Begründer der Tierrechtsfrage gelten. Seine Schriften zum Thema, von Reclam erstmals zusammengefasst, bleiben spannend.

Warum soll man Tiere schonen und achtsam behandeln? Die strengen Humanisten unter den Philosophen, wie später Kant, sagen: um unser selbst willen. Damit wir nicht verrohen. Wer als Kind Tiere quält, dem fällt als Erwachsenen das Töten im Krieg auch nicht mehr so schwer. Grausame Tierhatzen als Schauspiel gar stellen an sich schon einen Akt der Verrohung und Barbarei dar.

Plutarch
Marmorbüste die Plutarch zeigen soll, wikimedia, gemeinfrei

Das Argument war schon in der Antike bekannt: Wer selbst keine Rechte kennt, kann keine Rechte haben. Und herrscht nicht in der Natur überall Jagen und Töten, lautet das Argument weiter. Plutarch widerspricht. Auch Tiere sind beseelte Wesen. Das heißt: Sie haben Empfindungen. Sie reagieren auf die Umwelt. Sie suchen das Nützliche und vermeiden das Schädliche. Dazu braucht es an sich schon ein gewisses Maß an Vernunft. Wichtiger noch: Sie streben nicht nach Tugend, das ist richtig, aber sie haben Tugend. Wie anders soll man die Tapferkeit nennen, mit der Tiermütter ihren Nachwuchs verteidigen, oder die Treue, mit der Gänsepaare ein Leben lang beieinander bleiben und, stirbt der Lebensgefährte, den Rest ihres Lebens allein zubringen? Ihre Tugend ist also viel unverstellter.

Ihr Wissen ebenfalls. Sie wissen und können auch Erstaunliches, ohne zu lernen. Nester bauen zum Beispiel. Plutarch unterscheidet zwischen angeborenem und gelernten Wissen bei den Tieren. Am höchsten bewertet er das Lehren, noch vor dem Lernen. So lehrten Vögel den Nachkommen den Gesang. Sein Gegenbeweis: Allein aufgezogene Vögel beherrschen später das Singen allenfalls rudimentär.

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Die großen Fragen der Philosophie waren aufgeworfen. Nun ging es um Philosophie im Alltag. Der griechische Philosoph, der zu Zeiten Kaiser Hadrians im zweiten Jahrhundert nach der Zeitenwende schrieb, reiht dazu eine anekdotische Beobachtung an die andere. Dabei zeigt sich, welch genaue Beobachtungsgabe man damals hatte. Dass Raben ein Gefäß mit Steinchen auffüllen, um den Wasserspiegel zu erhöhen und so an das gewünschte Nass zu kommen, um ihren Durst zu stillen, wusste man schon damals. Verhaltensforscher unserer Tage stellen kluge Vögel in trickreichen Experimenten gerade wieder vor solche Fragen. Und wer mag Plutarch das Wissen zugetragen haben, dass Elefanten, wenn einer von ihren Genossen in eine Fallgrube geraten war, in diese Baumstämmen und Astwerk werfen, bis sie so weit aufgefüllt ist, dass der Gefangene die Grube wieder verlassen kann. Das konnten Forscher erst unlängst wieder bestätigen.

Er weiß von einer Fischart, die in Symbiose mit Muscheln lebt. Von den Lippfisch-Männchen, die für ihre Brut, die sie allein versorgen, Nester aus Seegras bauen, und von kleinen Haifischen, den Hundshaien, die ihren Nachwuchs in der Mundhöhle schützen und mit sich umhertragen.

Schließlich führt er gegen das Fleischessen ein Argument an, das in unseren Tagen wieder ins Feld geführt wird: Jäger- und Hirtenkulturen mochten auf den Tierkonsum angewiesen sein. Seit dem Getreideanbau haben die Menschen in zivilisierteren Zonen weitgehend Alternativen. Wolle und Milch zu nutzen, erlaubt Plutarch aber dennoch. Es gab eben noch keine Kunststoffkleidung und Nahrungsmittelergänzungsstoffindustrie. Wäre Plutarch heute Veganer?

Plutarch: "Darf man Tiere essen? Gedanken aus der Antike", aus dem Griechischen von Marion Giebel, aus der Serie: Was bedeutet das? Reclam Verlag Stuttgart 2015, 127 S., 5,00 Euro