Kommentar

Das Geschlecht im Sport: Worüber wir reden sollten – und worüber nicht

Die Debatte rund um das Geschlecht der algerischen Boxerin Imane Khelif ist auch nach Ende der Olympischen Spiele noch nicht vom Tisch. Denn die Grundsatzdebatte ist zu führen, unabhängig vom ihrem Einzelfall.

Kein Thema ist in den letzten Jahren wohl so geeignet die Gemüter der westlichen Welt zu erhitzen wie das der geschlechtlichen Identität. Schnell kippt die Diskussion in gegenseitige Vorwürfe, in das Einteilen in zwei Lager ("woke" und "rechts") und ein sachlicher Austausch von Argumenten ist nicht mehr möglich. Mitunter geht es so weit, dass gefordert wird, dass über geschlechtliche Identität gar nicht öffentlich debattiert werden dürfe, da es sich um die Intimsphäre einzelner Personen handelt. So war es auch im Fall Imane Khelif: Es wurden Beweise angeführt, sie habe sich schon immer als Frau identifiziert und damit sei sie eine Frau, Thema erledigt. Das jedoch sollte auch nicht der eigentliche Kern der Debatte sein. Sich allein auf die persönliche Identifikation zu fokussieren, ist in manchen Bereichen zu kurz gegriffen. Selbstverständlich ist es ihr überlassen, wie sie sich selbst definiert. Es sollte auch grundsätzlich überhaupt keine Rolle spielen und geht niemanden etwas an.

Im Sport jedoch ist die Situation eine besondere: In einem Sportwettkampf geht es darum, dass möglichst gleiche Bedingungen für alle Teilnehmenden vorherrschen müssen, um einen fairen Wettbewerb zu gewährleisten. Hier sind bestimmte genetische Veranlagungen – im Gegensatz zu gesellschaftlichen Alltagssituationen – auf rein sachlicher Ebene eben doch entscheidend, da etwa typisch männliche genetische Komponenten Wettbewerbsvorteile bedeuten können und so den Wettbewerb verzerren können. Dies gilt unabhängig davon, wie der jeweilige Mensch sich fühlt oder definiert. Es ist möglich, sich schon immer als Frau zu fühlen und auch über typisch weibliche Merkmale zu verfügen, und dennoch einen genetisch bedingten, eigentlich "männlich" hohen Testosteron-Spiegel zu haben. Hier geht es nicht darum, jemanden aufgrund seines Geschlechts zu diskriminieren, sondern um das genaue Gegenteil, nämlich sportlich eine vergleichbare Ausgangssituation zu schaffen, um andere oder gar eine ganze Gruppe nicht zu benachteiligen. Das Gleiche bezwecken die Wettkampfkategorien nach Handicaps im Behindertensport oder die Einteilung nach Gewichtsklassen in Kampfsportarten.

Mit der gleichen Argumentation, dass man unzulässig in jemandes Intimsphäre eingreift, wenn man etwaige Wettbewerbsvorteile zu identifizieren sucht, könnte man Doping-Tests ablehnen. Denn auch hier tritt man einer Person ja eigentlich zu nahe, wenn jemand überwacht, dass sie auch wirklich selbst in einen Becher pinkelt.

Natürlich missbrauchen bestimmte Personen die Geschlechter-Debatte im Sport für menschenfeindliche Agitationen, was entschieden abzulehnen ist. Das kann jedoch nicht der Grund dafür sein, die Diskussion gänzlich zu unterbinden. Denn hier geht es darum, eine gesellschaftliche Übereinkunft zu diskutieren und gegebenenfalls neu zu justieren: Ist es uns wichtiger, dass sich jeder in eine eigene Geschlechter-Kategorie einordnen kann und nehmen wir dafür in Kauf, dass es zu unfairen Bedingungen kommt oder dieses System sogar missbraucht werden kann, um auf diese Weise Vorteile zu erlangen, wenn etwa ein Mann, der im Männersport nicht besonders erfolgreich ist, sich nur deswegen als Frau definieren lässt, um leichtere Gegnerinnen zu haben? Das soll kein Generalverdacht sein, sondern nur eine Frage, die wir uns stellen müssen. Ist es uns wichtiger, dass selbst definierte Kategorien gelten, auch wenn es dazu führen kann, dass ein Kräfteungleichgewicht entsteht?

Es gibt einen Grund, weshalb Männer und Frauen im Sport in allen Bereichen, in denen das Geschlecht einen Unterschied in der Leistungsfähigkeit aufgrund von Muskelaufbaufähigkeit macht, getrennt antreten. Diese Handhabung müsste dann generell in Frage gestellt werden. Das kann man wollen, muss es aber breit und unaufgeregt diskutieren und sich dann auf etwas einigen. Diese Debatte muss respektvoll und menschenwürdig geführt werden, sie selbst ist aber nicht menschenverachtend, sondern notwendig, gerade um die Perspektive aller geschlechtlichen Ausprägungen bewusst zu machen, anstatt sie zu ignorieren. Selbst wenn der anlassgebende Fall nicht dazu geeignet sein sollte, ändert dies nichts daran, dass hier insgesamt ein gesellschaftlicher Konsens gefunden werden muss, offen und im sachlichen Austausch der Argumente.

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