Ein Gesundheitsmythos in der Kritik

"Die Milch macht's" – doch nicht

BONN. (hpd) Die Ernährungswissenschaftlerin Alissa Hamilton legt mit ihrem Buch "Die Milch macht's! Wie ein Grundnahrungsmittel unsere Gesundheit ruiniert" eine Kritik an der Auffassung von Milch als gesundem Nahrungsmittel vor. Ihre Darstellung wirkt in der Gesamtschau formal nicht ganz stringent, kann inhaltlich aber durchaus überzeugen – wenngleich sie ökonomische Fragen nur kurz und tierethische Gesichtspunkte kaum thematisiert.

"Die Milch macht's", "Milch ist meine Stärke" oder "So wichtig wie das tägliche Glas Milch" – derartige Slogans kennen ganze Generationen aus der Werbung. Damit hat sich tief im Alltagsbewusstsein die Auffassung verankert, dass Milch für alle Menschen ein gesundes und notwendiges Nahrungsmittel ist. Ihr hoher Kalziumgehalt, so eine genauere Begründung, sei unverzichtbar für den Knochenaufbau. Doch ist dem tatsächlich so?

In den letzten Jahren hat dieses Idealbild immer mehr Kratzer bekommen. Wenn Kühe als Milchlieferanten heute statt zehn nur noch vier Jahre leben, weil sie durch den mit Chemikalien forcierten hohen Produktionszwang körperlich völlig ausgelaugt sind, dann darf man sich tatsächlich nicht über die zweifelhafte Qualität der Milch wundern. Weitere Einwände dazu präsentiert die Ernährungswissenschaftlerin und Wissenschaftsjournalistin Alissa Hamilton, die am Institute of Agriculture and Food Policy in Toronto forscht, in ihrem Buch "Die Milch macht’s! Wie ein Grundnahrungsmittel unsere Gesundheit ruiniert".

Wie bereits der Untertitel nahe legt, geht es der Autorin um die Kritik an einem Mythos, nämlich dem von der gesunden Milch. Denn sie ist der erklärten Auffassung, dass für die Ernährung der Menschen die Milch nicht unverzichtbar ist. Sie könne für manche Menschen sogar schädlich sein. Denn man bekomme viel zu wenig über Milch zu hören, "dass sie zu den Lebensmitteln gehört, die am häufigsten Allergien auslösen, dass sie für viele Menschen unverdaulich ist, dass sich in Tierversuchen gezeigt hat, dass das in der Milch enthaltene Eiweiß Kasein krebsfördernd wirkt, und dass sich die Laktose (Milchzucker) im Verdauungsprozess in den stark entzündungsauslösenden Zucker D-Galaktose verwandelt, der bei Mäusen erwiesenermaßen den Alterungsprozess und Krankheiten fördert" (S. 20). Dass in der Öffentlichkeit meist ein gegenteiliges Bild von der Milch dominiert, erklärt sich Hamilton durch die mediale Dominanz von Botschaften der Milch-Lobby, die bereits im frühen 20. Jahrhundert durch einschlägiges Marketing dafür in den USA gesorgt hätte.

Die Auffassung von dem gesunden Nahrungsmittel sei indessen nicht haltbar, denn "Milch macht unsere Kinder krank und müde" (S. 32).

Hamilton führt die Leser danach durch den Dschungel der gegensätzlichen Aussagen von wissenschaftlichen Studien, wobei die Unbegründbarkeit des Zusammenhangs von Gesundheit und Milchprodukten deutlich werde. Dazu betont sie die Kehrseite der überzogenen Zufuhrempfehlungen für Kalzium und präsentiert Ideen für ein Leben ohne Milch. Diese bestehen in einem umfangreichen Rezepte-Teil, wo für die unterschiedlichsten Mahlzeiten jeweils Alternativ-Vorschläge gemacht werden.

Mit der präsentierten Auswahl an kalzium- und nährstoffreichen Nahrungsmitteln könne man sich rundum gesünder ernähren. Denn: "Die Nahrungsgruppe Milch führt in so viele unentrinnbare Sackgassen, von Pizzaketten über mitternächtliche Heißhungerattacken auf Eiscreme-Familienpackungen bis hin zu verseuchtem Wasser. Öffnen Sie Ihre Küche aber dem magischen Reich der Pflanzen, können Sie nichts falsch machen" (S. 302).

Hamiltons Buch ist ein – auch wenn dies wie ein Vorurteil klingt, sei die Formulierung erlaubt – typisch amerikanisches Buch. Hier muss alles auch mit Erfahrungen bei Nachbarn oder Schwestern mit begründet werden. Dies liest sich leicht und locker, was aber Stringenz und Systematik vermissen lässt.

Erstaunlich ist Hamiltons eher defensive Argumentation bezüglich der Studien, denn dass Milch auch für Herzerkrankungen, Krebsgefahr oder Osteoporose stehen kann, ist doch durch eine Fülle von Untersuchungen belegt. Gleichwohl macht die Autorin die Fehlschlüsse bei den großen Milch-Mythen deutlich.

Die ökonomische Dimension kommt indessen nur kurz und die tierethische Komponente überhaupt nicht vor. Nur am Ende spricht Hamilton von der "Milch von kranken, leidenden, gerade eben noch am Leben erhaltenen Kühen" und von dem mechanisierten "Ausstoß von medikamentenabhängigen, auf viel zu engem Raum zusammengepferchten elenden Kreaturen" (S. 302). Deren Milch kann schwerlich dem Menschen gut tun.

Alissa Hamilton, Die Milch macht’s! Wie ein Grundnahrungsmittel unsere Gesundheit ruiniert, München 2015 (Riemann-Verlag), 351 S., ISBN: 978–3–570–50189–4, 14,99 Euro