Designierte SPD-Generalsekretärin

Interview: Katarina Barley gegen Kriminalisierung der Sterbehilfe

BERLIN. (hpd) Am kommenden Freitag wird der Bundestag über eine Regelung der Sterbehilfe entscheiden. Der hpd sprach mit Dr. Katarina Barley, designierte SPD-Generalsekretärin, über eine mögliche Kriminalisierung der Freitodhilfe.  
 

hpd: Sollte die Freitodhilfe – insbesondere durch Ärzte – verboten werden?

Dr. Katarina Barley: Nein. Weder der Freitod noch die Beihilfe zum Freitod sind strafbar. Das ist schon immer so gewesen und das soll auch so bleiben. Es gibt keinen Grund, an dieser Situation etwas zu ändern. In wenigen Einzelfällen, die vielleicht gesellschaftlich, ethisch oder moralisch zu missbilligen sind, sehe ich keinen Grund, grundsätzliche Einschränkungen herbeizuführen. 

Gerade den Ärzten sollte es offen gehalten werden, Beihilfe zum Freitod zu leisten. Denn damit eröffnet man einen Weg, dass sich Leute vertrauensvoll an ihren Arzt wenden. Falls dem Wunsch zu Sterben eine Krankheit zugrunde liegt, kann dieser am ehesten beraten, wie es weitergeht und welche Behandlungsmöglichkeiten es noch gibt. Er kann auf Möglichkeiten der Palliativmedizin und Hospizversorgung hinweisen. Und wenn sich dann am Ende jemand für einen Suizid entscheidet, sollte der Arzt am besten in der Lage sein, dabei vernünftig zu helfen.
 

Wie sollte die Sterbehilfe in Deutschland geregelt werden? 

Ich bin mit keinem der vorliegenden Gesetzesentwürfe hundertprozentig zufrieden. Mir wäre es eigentlich am liebsten, es gäbe den Zustand, der vor der Änderung der Berufsordnung der Ärzte bestand.

Wenn man – was ich am vernünftigsten halte – einen Erlaubnistatbestand schafft, anstelle eines Verbotstatbestandes, dann kommt man wahrscheinlich nicht darum herum, gewisse Voraussetzungen dafür zu definieren. Das Strafrecht ist jedenfalls der falsche Ort, um sowas zu regeln.
 

Sollte die standesrechtliche Einschränkung der Sterbehilfe für Ärzte geändert werden?

Ja, unbedingt. Die Ärztekammer geht nach meiner Auffassung über ihre Zuständigkeit hinaus. Ich glaube nicht, dass es rechtmäßig ist, dass sie das geregelt hat.
 

Trotz Rat und Appell vieler Experten steht uns nun möglicherweise eine Kriminalisierung bevor. Eine Kriminalisierung, die voraussichtlich keine Senkung der Suizidraten herbeiführen wird. Angesichts der Erfahrungen aus anderen Ländern eine Gretchenfrage: Wie halten es die Parlamentarier mit der Wissenschaft?

Der wissenschaftliche Diskurs spielt durchaus eine Rolle. Zu dieser Frage haben wir unzählige Stellungnahmen und Abhandlungen erhalten. Aber bei Gewissensfragen, bei denen die Entscheidungen keiner Fraktionsdisziplin unterliegen, spielt das eigene ethische Verständnis vermutlich die größte Rolle. Man muss sich grundsätzlich fragen, wie man zum Suizid steht. Und wenn man eben meint, dass der Suizid verwerflich ist, dann bewegt man sich wahrscheinlich eher in eine Verbotsrichtung. Aber wenn man sagt, dass es Situationen geben kann, in denen der Suizid die bessere Lösung für jemanden zu sein scheint, und für ihn dann subjektiv eben auch ist, dann geht man von einer anderen Grundposition aus. Die Wissenschaft ist dann nicht unbedingt das entscheidende Kriterium.
 

Jedes Jahr finden schätzungsweise 200.000 Suizidversuche statt – davon gelingen etwa 10.000. Was sollte von Seiten der Politik unternommen werden, um Verzweiflungssuizide zu verhindern?

Dafür gibt es verschiedene Ansätze wie Selbsthilfegruppen oder das Nationale Suizidpräventionsprogramm. Um das Beratungsangebot zu stärken, sollte der Weg zu den Ärzten offen halten werden. Denn sie können eine Anlaufstelle sein, wo eine Beratung in die richtige Richtung gelenkt werden kann. Die Möglichkeit Beihilfe zum Suizid zu erhalten, kann dazu beitragen, dass man etwas länger aushält. Es ist jedenfalls zu spät, beim Suizid anzusetzen. Man muss bei der Situation ansetzen, in der ein Todeswunsch entsteht.
 

Welche Rolle sollten Sterbehilfeorganisationen einnehmen?

Da bin ich tatsächlich hin- und hergerissen. Ich sehe durchaus den suizidpräventiven Aspekt, befürchte aber, dass Vereine, die Sterbehilfe zum Zweck haben, nicht ergebnisoffen sind. 

Ich halte den Ansatz des Gesetzesentwurfes von Hintze und Lauterbach für vernünftig, dass man ein Alternativangebot schafft und darauf setzt, dass solche Vereine überflüssig werden. Ich glaube auch nicht, dass man sie verbieten sollte. Mögliche Exzesse, die man damit hat, lassen sich anders in den Griff kriegen.
 

Thomas Fischer, Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof, schlug vor Kurzem vor, das aktuelle Verbot der Tötung auf Verlangen einzuschränken. Diese könne legal sein im Rahmen einer Regelung, die eine Begutachtung durch Ärzte beinhaltet. Was halten Sie davon? 

Man muss feststellen, dass es die Tötung auf Verlangen in einigen Ländern gibt, ohne dass deswegen dort Zustände ausbrechen, die unserem Begriff von Euthanasie entsprechen. Ich glaube allerdings, dass wir durch unsere Geschichte so geprägt sind, dass wir das nicht tun sollten.
 

In einer Umfrage sprachen sich circa 80 Prozent gegen die Kriminalisierung der Sterbehilfe aus. Inwiefern stehen Politikerinnen und Politiker in der Verantwortung – oder gar Pflicht – den Mehrheitswillen zu berücksichtigen?

Politikerinnen und Politiker sind ihrem eigenen Gewissen unterworfen und man wird keinen Abgeordneten dazu zwingen können, sich gegen sein Gewissen zu entscheiden. Das ist im Prinzip auch gut und richtig so.

Ich würde das auch gar nicht mit Prozentzahlen beurteilen wollen. Man muss den Leuten insgesamt mal zuhören, was sie sagen, wenn sie angesprochen werden auf die Angst vorm Sterben. Und meine Erfahrung aus vielen Diskussionsveranstaltungen ist, dass die allermeisten Menschen keine Angst davor haben, dass ihnen jemand einen Suizid nahe legt. Sie haben Angst davor, dass sie an medizinischen Apparaten einen verlängerten Todeskampf führen müssen. Und diese Angst ist auch nicht unbegründet und sollte ernst genommen werden.
 

Liebe Frau Dr. Barley, herzlichen Dank für das Interview!


Rede von Dr. Katarina Barley im Bundestag zur Regelung der ärztlich begleiteten Lebensbeendigung (02.07.2015)