MÜNSTER. (exc) Nach den Attentaten von Paris appellieren führende Religionsforscher von der Universität Münster an Muslime und Nicht-Muslime in Europa, sich durch den Terror nicht voneinander trennen zu lassen.
"Wir gehören zusammen, weil wir Freiheit und Toleranz bejahen", schreiben der Sprecher des Exzellenzclusters "Religion und Politik" der Universität Münster, Religionssoziologe Professor Dr. Detlef Pollack, und der Leiter des Zentrums für Islamische Theologie (ZIT) der Universität Münster, Prof. Dr. Mouhanad Khorchide, zugleich Mitglied des Clusters, in einer gemeinsamen Erklärung "Toleranz muss Muslime und Nichtmuslime verbinden".
Viele Muslime müssten selbst vor dem Terror fliehen. Umso wichtiger sei es, junge Muslime vor dem "Feindbild Westen" der Attentäter zu bewahren. "Das Ziel sollte sein, junge Muslime zu befähigen, ihren Glauben rational zu reflektieren und diesen als mündige Individuen selbständig zu verantworten, um zwischen menschenfreundlichen und menschenfeindlichen religiösen Angeboten unterscheiden zu können." Dazu könnten der islamische Religionsunterricht an öffentlichen Schulen und eine aufgeklärte islamische Theologie an den Universitäten wesentlich beitragen, schreiben die Wissenschaftler. "Dafür stehen wir mit unserer wissenschaftlichen Arbeit am Exzellenzcluster 'Religion und Politik' der Universität Münster und am Zentrum für Islamische Theologie (ZIT) ein."
Die Erklärung im Originalwortlaut:
Nach den Pariser Attentaten ist es wichtig und gut, Empörung, Trauer und Wut, aber auch Solidarität und Mitempfinden zu zeigen. Aber das reicht nicht. Wir müssen auch nüchtern fragen, warum Menschen zu solchen Taten fähig sind. Ein wichtiges Motiv dieser jungen Männer besteht darin, dass sie oft am Rande der Gesellschaft leben und das Gefühl haben, gedemütigt und erniedrigt, jedenfalls nicht anerkannt und gleichberechtigt zu sein. Für ihr Schicksal machen sie "den Westen" verantwortlich. An ihm wollen sie sich rächen. Womit sie gar nicht klarkommen, sind die Freimütigkeit und die Freundlichkeit des Westens. Als Reaktion auf die offenen Arme der deutschen Gesellschaft gegenüber den Flüchtlingen etwa haben sie sich mit Propagandavideos an Muslime gewandt und sie gedrängt, doch in ihrer Heimat zu bleiben, weil das Leben unter Muslimen so viel besser sei. Sie brauchen das Feindbild vom Westen für sich und für die Rekrutierung junger muslimischer Europäer. Dieses Feindbild dürfen wir nicht bedienen.
Was also sollte die Lehre aus den Anschlägen von Paris sein? Die europäischen Inländer dürfen sich von der Mehrheit ihrer muslimischen Mitbürgerinnen und Mitbürger nicht trennen lassen. Sie gehören zu uns, ihre Glaubensschwestern und Glaubensbrüder fliehen vor dem Terror. Wir gehören zusammen, weil wir Freiheit und Toleranz bejahen. Deshalb ist es wichtig, den jungen Musliminnen und Muslimen einen reflektierten Zugang zu ihrem Glauben zu bieten, wie er etwa durch den islamischen Religionsunterricht an öffentlichen Schulen oder die Etablierung einer aufgeklärten islamischen Theologie an den Universitäten vermittelt wird. Das Ziel sollte sein, die jungen Muslime zu befähigen, ihren Glauben rational zu reflektieren und diesen als mündige Individuen selbständig zu verantworten, um zwischen menschenfreundlichen und menschenfeindlichen religiösen Angeboten unterscheiden zu können. Dafür stehen wir mit unserer wissenschaftlichen Arbeit am Exzellenzcluster "Religion und Politik" der Universität Münster und am Zentrum für Islamische Theologie (ZIT) ein.
Prof. Dr. Detlef Pollack,
Sprecher des Exzellenzclusters "Religion und Politik" der WWU
Prof. Dr. Mouhanad Khorchide,
Leiter des Zentrums für Islamische Theologie (ZIT) und Forscher des Exzellenzclusters "Religion und Politik" der WWU
12 Kommentare
Kommentare
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Ich bin ein Befürworter der Reformation des Islams - und selbstverständlich des friedlichen Zusammenlebens aller Kulturen.
Doch reicht es aus meiner Sicht nicht, nur dessen barmherzigen Teil in den Vordergrund zu holen und den politisch-juristischen (und damit gewalttätig-bedrohlichen) Teil nach hinten zu schieben.
Denn auch der barmherzige Teil ist kleinen Jungs gegenüber unbarmherzig, wenn es um den Erhalt der Vorhaut geht.
Er ist unbarmherzig Tieren gegenüber, wenn sie geschächtet werden.
Er ist unbarmherzig Frauen gegenüber, die sich keiner muslimischen Kleiderordnung unterwerfen wollen.
Er ist unbarmherzig Menschen gegenüber, die essen und trinken wollen, wonach sie begehren.
Er ist Männern und Frauen gegenüber gleichermaßen unbarmherzig, die sich ihren Ehepartner selbst aussuchen wollen.
Eine Reformation des Islams darf nicht hinter jener des Christentums zurückbleiben. Erst wenn alle trennenden Elemente von allen Muslimen abgelegt wurden (auch Forderungen nach Befreiung muslimisch sozialisierter Kinder vom Sport-, Musik oder Biologieunterricht oder von Klassenfahrten), verschwindet das Trennende zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen. Ich wünschte mir auch, dass atheistischen Positionen ein wenig mehr Toleranz entgegengebracht würde. Niemand ist im Merkelschen Sinne gottlos, nur weil er (endlich) Gott los ist.
Und wenn Muslime ihr Dauerbeleidigtsein aufgeben könnten und nicht für jedes ihrer Probleme den "Westen" verantwortlich machen würden, wäre ein friedliches Miteinander kein Problem mehr.
Oliver Tausend am Permanenter Link
Klare Worte, die ich nur unterstützen kann. Der Islam braucht ganz bestimmt keinen Martin Luther, sondern eher einen Immanuel Kant.
Oliver Tausend am Permanenter Link
Schöne neue Welt: Wenn wir nur alle gegenseitig unsere unbegründeten Glaubensinhalte tolerieren, dann haben wir Frieden auf Erden. Wer sollte heute noch an dieses Märchen glauben?
Praktisch gefragt: Wer sollte denn den den islamischen Religionsunterricht halten, welcher die Schüler befähigen soll, ihren Glauben "kritisch" zu hinterfragen? Die Imame?
Dabei ist es ganz einfach, den Islam kritisch zu hinterfragen: Koran aufschlagen, lesen und entscheiden, ob Prophet Mo auch in der heutigen noch Vorbild für die Gläubigen sein kann. Dabei wird jeder kritische Leser feststellen, dass er noch nicht einmal für die damalige Zeit ein Vorbild war, da er selbst damals geltende Moralvorstellungen missachtete und mit Füßen trat. Er lebte nach einem doppelten Standard für sich und den Rest der Welt.
Mustafa am Permanenter Link
"O die ihr glaubt! Nehmet nicht die Juden und die Christen zu Freunden." -- Sure 5:51
Atheist Steinbrenner am Permanenter Link
Zitat:
"ihren Glauben rational zu reflektieren und diesen als mündige Individuen selbständig zu verantworten, um zwischen menschenfreundlichen und menschenfeindlichen religiösen Angeboten unterscheiden zu können"
Wie wäre es mit folgendem Satz:
"ihren ethischen Grundsätze rational zu reflektieren und diesen als mündige Individuen selbständig zu verantworten, um zwischen menschenfreundlichen und menschenfeindlichen Einstellungen unterscheiden zu können"
Also ich finde die Art von Religion von der Herr Korchide spricht ist im eigentlichen Sinne kein religiöser Glaube mehr - Kennzeichen für den religiösen Glauben ist es ja eben nicht zu reflektieren, sondern die Glaubenslehren als gegeben hinzunehmen.
Was er beschreibt ist eine Säkulare Einstellung sich aus dem Pluralismus der Einstellungen die einem begegnen jene zu wählen die für einen selbst schlüssig sind, die man gegenüber sich selbst und auch gegenüber relevanten Dritten verantworten kann.
Jene religiösen die Korchides Ausführung folgen wollen, könnten genauso gut aus Ihren Religionsgemeinschaften austreten um nicht weiter nominell die Zahl der Gläubigen aufrecht zu erhalten, die doch letzten Endes nur Argumentationshilfe für die Dogmatiker bei der Durchsetzung ihrer politischen Interessen ist.
Ich kann gut verstehen, dass man als Mensch mit Wurzeln in einem anderen Kulturraum - der möglicherweise hierzulande etwa wegen seines Teints nicht voll integriert ist - sich gerne mit Menschen umgibt die einem Wohlgesonnen sind und mit denen man bestimmte Erfahrungen oder Ernährungsvorlieben teilt. ----- Dass dies aber ein "islamischer Kulturverein" sein muss, der im Namen eine Religion trägt, und kein "Verein für Kultur des nahen Ostens" oder "Verein für arabische Kultur" ist mir schleierhaft. Mag die Konfession vor Jahrzehnten noch der augenfälligste Unterschied zur alteingesessenen Bevölkerung gewesen sein, so stellt sich die Frage ob die Religion angesichts der Rückläufigen Religiosität über alle Konfessionen hinweg noch der geeignete Unterschied zur Bezeichnung einer Subkultur aus einer bestimmten Herkunftsregion ist, oder ob nicht geographische Bezeichnungen die bessere Wahl hierfür sind.
Willie am Permanenter Link
So eine Erklärung war erwartbar und steht für mich auf gleicher Ebene wie eine umgehende Forderung nach mehr Datenüberwachung der Bürger.
==> "Das Ziel sollte sein, junge Muslime zu befähigen, ihren Glauben rational zu reflektieren und diesen als mündige Individuen selbständig zu verantworten, um zwischen menschenfreundlichen und menschenfeindlichen religiösen Angeboten unterscheiden zu können."
Da stellt sich mir die Frage nach Kreationismus, Astrologie, Homöopathie ... im Schulunterricht. Wie sonst sollen junge Menschen befähigt werden dies zu reflektieren?
==> Ein wichtiges Motiv dieser jungen Männer besteht darin, dass sie oft am Rande der Gesellschaft leben und das Gefühl haben, gedemütigt und erniedrigt, jedenfalls nicht anerkannt und gleichberechtigt zu sein.
Ich bezweifle, dass man diesen Rand mit "einen" Islamunterricht für alle musl. Richtungen aufbricht, während man die staatskonformen christlichen Religionen weiterhin bevorzugt und getrennt behandelt.
==> Die europäischen Inländer dürfen sich von der Mehrheit ihrer muslimischen Mitbürgerinnen und Mitbürger nicht trennen lassen.</blockquote>
Vereinigung durch Trennung? Warum nicht auch die anfängliche Forderung an die Christen gemeinsamen Religionsunterricht anzustreben? Anfänglich, da ich in einem gemeinsamen, vergleichenden und aufklärerischen Religionsunterricht für ALLE durchaus Möglichkeiten der Überwindung sehe. Natürlich dürfen dabei nicht nur die "genehmen" oder aktuellen Religionen zum Zuge kommen, sondern auch die vergangenen, besonders die, die Vorlagen für den heutigen Monotheismus waren (und zur Recht ausgestorben sind).
Wir haben immer noch einen "Zwangsrelisionsunterricht", man muss sich ab- und nicht anmelden. Wie will man hier eine Zuteilung treffen? Alles was nicht christlich und irgendwie arabisch aussieht, evtl. noch arabaische Namen trägt, wird in den Islamunterricht gesteckt - sofern die Eltern nicht reklamieren? Was passiert mit denen, die ihre Kinder von so einem Islamunterricht abmelden, sei es weil sie säkular denken od. mit dem/der Lehrer/in nicht einverstanden sind? Müssen die sich dann rechtfertigen, einer Observation unterziehen - könnten ja Fundametalisten sein - oder werden sie getestet? Getestet so, wie mancher es noch von der ev.-kath- Front bis in die 19siebzier kannte, wo man demonstrativ am Feiertag der anderen den Teppich klopfte oder die Wäsche wusch?
Rainer Bolz am Permanenter Link
Ihre (Un) - Taten halten die Brandstifter in Paris für etwas Gutes, zwar nicht aus irgendeiner verzerrten persönlichen Verschrobenheit heraus und auch nicht, weil sie vom Satan besessen wären, sondern weil sie von kle
umfassenden, unhinterfragten Glauben erzogen wurden.
Noch nie war so klar wie jetzt, das die Schuld an nur einer einzigen Stelle liegt und immer gelegen hat.
Die Ursache von Elend, Chaos, Gewalt, Terror und Ignoranz ist doch die Religion selbst.
Dass man eine solch offenkundige Erkenntnis ausdrücklich benennen muss, mag lächerlich erscheinen, aber es gelingt den religiösen Führern ziemlich gut, so zu tun, als wäre es nicht so.
Alle Religionen behaupten, dass Glauben an sich ein absoluter Wert ist. Sollte es einen Gott geben, hätten die Religionen damit vielleicht auch recht. Gibt es ihn nicht, so kann Glaube an sich kein Wert sein. Ganz im Gegenteil ist Glauben dann ein Negativum.
Ein Gottesbeweis für die Menschheit, wurde bis heute nicht erbracht.
Gäbe es einen Gott, so stünde außer Frage, dass er derjenige ist, der Werte definiert und schützt. Er wäre das Maß aller Dinge. Werte außerhalb von Gott zu suchen wäre irrig und vergebens.
Wie lässt sich diese Frage entscheiden?
Im Grunde ganz einfach. Wer die Existenz von etwas behauptet ist in der Beweispflicht. Es kann nicht anders sein.
Werner am Permanenter Link
Dass sich Prof. Dr. Mouhanad Khorchide für den islamischen Religionsunterricht an öffentlichen Schulen ausspricht, ist seinem Eigeninteresse geschuldet.
Die integrierende Wirkung eines ReligionsKUNDEunterrichts oder Ethikunterrichts sollte man nicht unterschlagen, nur weil man religiöse Interessen vertritt.
Im Bildungsplan von Baden-Württemberg sind z. B. folgende Religions-Unterrichtseinheiten vorgesehen: evangelisch, katholisch, altkatholisch, islamisch-sunnitisch, alevitisch, jüdisch, syrisch-orthodox – es fehlt nur noch islamisch-schiitisch, humanistische Lebenskunde, ..).
Diese Aufzählung veranschaulicht die Fehlentwicklung. Dagegen fehlt für den großen und zunehmenden Anteil konfessionsfreier Schüler der Ethikunterricht ab der 1. Klasse der Grundschule immer noch, obwohl er 2011 im grün-roten Koalitionsvertrag der BW-Landesregierung ausdrücklich geplant war. Als zusätzlicher Unterricht erfordert jeder Religionsunterricht zusätzliche Stunden und damit Lehrer – wenn man wollte könnte man mit einem Fach Religionskunde oder Ethikunterricht sogar Einsparungen erzielen. Die Politiker sollten auf die Bürger hören und sich nicht an den kirchlichen Interessen orientieren!
angelika richter am Permanenter Link
"Deshalb ist es wichtig, den jungen Musliminnen und Muslimen einen reflektierten Zugang zu ihrem Glauben zu bieten, wie er etwa durch den islamischen Religionsunterricht an öffentlichen Schulen. .."
Es funktioniert nicht!
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
"Frau Kaddor, eine sicher sehr engagierte, liberale islamische Religionspädagogin, musste mit ansehen, wie einige ihrer ehemaligen Schüler sich dem Dschihad anschlossen."
Frau Kaddor ist ja der Meinung, dass dies bei "ihren" Schülern nicht so schlimm gewesen sei, weil sie (zum Teil?) aus dem Dschihad wieder zurückgekommen seien. Also sind ihrer Meinung nach zurückkehrende Soldaten irgendwie keine Soldaten mehr? Und wieder trällert Pippi Langstrumpf ihr Lied...
Nataniel am Permanenter Link
Haben Sie schon den Koran gelesen? "Ahme nicht die Ungläubigen nach und nehme sie nicht zum Freund" ist da noch eine der harmlosen Stellen.
Das bekommen bereits Kinder in den Koranschulen eingebimmst, bis sie es auch dann auswendig können, wenn man sie nachts weckt und abfragt.
Solange der Koran inhaltlich nicht geändert wird, kann auch Islamunterricht an staatlichen Schulen nichts ändern. Religion ist im Übrigen Privatsache und hat egal in welcher Ausprägung an Schulen grundsätzlich nichts verloren. Schulen müssen säkular sein. Ich bin ein starker Befürworter von Schuluniformen, die verbindlich und unverändert von allen getragen werden müssen.
Schulen müssen vermitteln, daß die Regeln unseres Zusammenlebens und unsere Werte einzig und allein durch menschliche Vernunft zustandegekommen sind. Religionen haben das vielleicht aufgeschnappt, um sich in einem guten Licht zu präsentieren, haben aber wie man offensichtlich sieht nichts dazu beigetragen.
Rainer Bolz am Permanenter Link
Schuluniformen sind ein genialer Lösungsansatz, allerdings nur mit gleichzeitigen Verpflichtungen zum Schwimmunterricht - im Bikini, -nicht im Burkini.