FRANKFURT. (hpd) Einen Referenten aus dem Ausland zu gewinnen, ist ein besonderes Ereignis. Der inzwischen emeritierte Prof. Dr. Edzard Ernst von der Universität Exeter in Großbritannien, einer der renommiertesten Kritiker der Homöopathie, fand am 23. Oktober den Weg zu den “Säkularen Humanisten – Freunde der gbs” (in Zusammenarbeit mit DiKoM e.V.) nach Frankfurt am Main.
Berliner Mauer gegen Klaustrophobie
Der deutschstämmige Referent wurde vor über 20 Jahren ins Vereinigte Königreich gerufen, um den weltweit ersten Lehrstuhl für Komplementärmedizin zu besetzen. Bezeichnete er sich zu dieser Zeit noch als Sympathisanten der Homöopathie, sollte sich seine Einstellung in der Folgezeit wandeln. Doch der Reihe nach.
Das Prinzip der Homöopathie ist es, “Ähnliches mit Ähnlichem zu heilen”. Ein erstes Raunen unter den mehr als 50 Gästen im Saalbau Gallus sollte nicht lange auf sich warten, als Prof. Ernst erklärte, dass Moleküle der Berliner Mauer gegen Klaustrophobie eingesetzt würden. Aufkommendem Kopfschütteln erwiderte er mit einem Augenzwinkern: “Nein, allen Ernstes.”
Für solche und andere Heilsversprechen sind alleine die Menschen hierzulande bereit, 260 Mio. Euro pro Jahr aufzuwenden. Beliebte Verdünnungen des “gesundmachenden Moleküls” sind “D4” (1:10000) und “D12” (1:100000000000). Bei der vom Begründer der Homöopathie, dem deutschen Arzt Samuel Hahnemann (1755 - 1834), favorisierten Potenz “C30” verwies Prof. Ernst anschaulich, dass sich in einer Kugel mit dem Durchmesser des Abstands zwischen Erde und Sonne gerade noch ein einziges Molekül der Ausgangssubstanz befinde.
Der wirksame Kontakt zum Helfenden
Es waren Pariser Ärzte, die Mitte des 19. Jahrhunderts damit begannen, erste Studien auf den Weg zu bringen. Doch gleich, ob diese oder in der Folgezeit andere Veröffentlichungen: Die Ergebnisse konnten keine wirkstoffbezogenen signifikanten Effekte darstellen. Sogar der vermeintliche Erfolg des Selbstläufers der Homöopathika, die allseits bekannte Arnika-Potenz, ist aus wissenschaftlicher Perspektive nicht zu begründen.
Am Lehrstuhl von Prof. Ernst sichtete man also die Datenlage: 230 kontrollierte Studien lagen vor, daneben 60 Meta-Analysen. Kritisch betrachtete der Referent hierbei seine eigene Zunft, kein “cherry-picking” zu betreiben, also keiner Auslese nach eigenem Wohlgefallen Vorfahrt zu gewähren. Jedoch, modernen wissenschaftlichen Ansprüchen einer placebo-kontrollierten Doppelblindstudie genügte kaum eine Veröffentlichung. Die Herausforderung lag folglich darin, den Widerspruch aufzulösen zwischen positiv berichteten subjektiven Erfahrungen und den negativen Studienergebnissen.
Es ist kaum verwunderlich, dass der (oft ausgiebige Gesprächs-)Kontakt zum Homöopathen als entlastend empfunden wird; das verabreichte Mittel ist es nach Datenlage keineswegs, die Hauptrolle spielen andere Darsteller: der natürliche Verlauf einer Erkrankung mit Genesung in der Folgezeit, die Konsultation mit einem verständnisvollem Gegenüber, die Besserung eines Leidens weg von den Rändern hin zur Mitte, die ureigene Hoffnung auf Linderung und nicht zuletzt der Glaube daran, dass das ausgelobte Präparat wirkt.
Die Schmerzgrenzen der Homöopathie
Viel zu selten werden in diesem Zusammenhang allerdings die Misserfolge genannt, das Nicht-Erreichen eines erwünschten Ziels - und viel zu oft ist dann zu hören: “Na ja, dann eben beim nächsten Mal”. Allerdings, wohl kaum jemand würde freiwillig ein Flugzeug besteigen wollen, dessen Triebwerke während der Atlantiküberquerung ausfallen können, während der Kapitän versichert, den Flug mit der Pedalkraft eines Fahrrades fortzusetzen.
Es verwundert daher nicht, dass Prof. Ernst die Homöopathie schließlich als unethisch einordnet; denn sie setzt “eine Lüge im Raum” voraus. Zumindest dann, wenn der einzelne Arzt um der Nicht-Wirkung weiß, andererseits aufgrund der momentan günstigen Wetterlage ihm diese Leistung von Krankenkassen erstattet wird, die sich hierdurch einen scheinbar grüneren, natürlicheren Anstrich verleihen möchten.
Geradezu perfide erscheinen aktuelle Bemühungen eines internationalen Netzwerkes, Homöopathika als Waffe gegen die um sich greifende Ebola-Infektion einzusetzen. Gleiches gilt, wenn Homöopathen sich dazu versteifen, zu Impfungen abzuraten oder Globuli als wirksam gegen Krebs- oder HIV-Erkrankungen zu propagieren. Denn spätestens zu dem Zeitpunkt, an dem sich die “vorwissenschaftliche Homöopathie” als Alternativ- und nicht mehr als Komplementärmedizin begreift, ist sie nicht nur als überflüssig, sondern auch als gefährlich einzuordnen.
Nach der anschließenden Diskussion mit dem Publikum, in der einerseits ein psycho-therapeutischer Erfolg des homöopathischen Spektrums in Aussicht gestellt, andererseits eine quantitativ erhöhte Konsultation innerhalb der schulmedizinischen Behandlung als wünschenswert betrachtet wurde, klang der Abend im nahegelegenen Restaurant aus.
Nächste Veranstaltung der Säkulare Humanisten – Freunde der gbs:
28.11.2014 – Rolf Bergmeier – Christlich-abendländische Kultur? Ein Beitrag zur Debatte über Europas Wurzeln