Die hasserfüllten Augen des Herrn Deschner

Die Praxis der intellektuell unredlichen Beliebigkeitsauslegung wird bereits von der Bibel vorgelebt. Beispiele dafür sind die alttestamentarischen Prophezeiungen, die im Neuen Testament als erfüllt ausgegeben werden. So soll sich z.B. die Immanuel-Weissagung in Jesaja 7 auf Jesus beziehen. Von unfreiwilliger Komik ist natürlich auch der Versuch des um 130 u.Z. verfassten zweiten Petrus-Briefes, die ausbleibende Wiederkunft Jesu auszubügeln. Sie ist ja bereits in Mk 13,30 für die Lebenszeit von Jesu Zeitgenossen angekündigt. In 2 Petr 3 heißt es dann, Gott habe ja ein anderes Zeitgefühl, für ihn seien eben tausend Jahre wie ein Tag.

Vor diesen Hintergründen sind die folgenden Filmaussagen zu verstehen:

„Die Anpassung des Christentums ist seine Gestaltlosigkeit, der Verzicht auf eine eindeutige Physiognomie ist sein Erfolgsrezept.“ (Professor Birnbacher)

„Aus der Bibel lässt sich alles und das Gegenteil lesen.“ (Ursula Neumann)

Für letztere Behauptung lässt sich auch ein Beispiel aus dem Alltagsleben anführen. Vielen Christen gilt die Prügelstrafe in der Erziehung heute als Verstoß gegen die Liebe. Die Bibel nimmt aber die gegenteilige Position im Hebräerbrief ein.

Der Gegensatz zwischen Christentum und Menschenrechten lässt sich nicht nur an der Vernetzung der Gottes- und Nächstenliebe mit der Lehre von der ewigen Verdammnis und deren Unverträglichkeit mit der Toleranz festmachen. Auch das christliche Ethos der Barmherzigkeit steht in gewisser Weise im Gegensatz zu diesen. Letztlich ist die Quintessenz der Menschenrechte der Gedanke, dass die eigene Freiheit ihre Grenze nur dort findet, wo sie dem Mitmenschen den Genuss der gleichen Rechte sichert und diese Grenze nur von einer demokratischen Gesetzgebung festgelegt werden darf. So ist es in der Menschenrechtserklärung der Französischen Revolution vom 26.08.1789 ausgeführt, ebenso wie in der „Metaphysik der Sitten“ Kants (1797). Es geht also in der Idee der Menschenrechte nicht - wie im Christentum und den anderen antiken Religionen - um Barmherzigkeit, sondern um etwas viel wichtigeres, nämlich darum, die Menschen von der Barmherzigkeit der anderen durch eine Ethik der Freiheit und Gleichheit unabhängig zu machen. Das Neue Testament dagegen liest sich eher wie eine Erbauungsschrift für Sklavenhalter (Lk 17, 1.Kor 7, Eph 6, Kol 3-4, 1.Tim 6, Tit 2, Phil, 1Petr 2; es lohnt sich, die Kapitel ganz zu lesen), und es hat hier entgegen einem weitverbreiteten Vorurteil eben keinen Fortschritt gegenüber damaliger Ethik realisiert (siehe z.B. die Stoiker). Die Gefolgschaft des Spartakus (73 bis 71 v.u.Z.) steht da sicher jedem heutigen Humanisten näher. Eine der wenigen konkreten Aussagen zur politischen Ethik findet man dort (im NT) übrigens in Röm 13, wo jede Obrigkeit als von Gott eingesetzt definiert wird. Die Unfähigkeit der christlichen Bibelschreiber, eine humanistisch gehaltvolle Ethik zu entwickeln, geht vielleicht auch darauf zurück, dass man von dem baldigen Weltende mit der Wiederkunft Jesu Christi und dem Weltgericht ausging (Mk 13,30; Offb Joh) und deshalb meinte, der Einsatz für Reformen im Diesseits sei nicht mehr lohnend. Damit unterlag aber die Ausprägung christlicher Ethik dem Einfluss eines gescheiterten apokalyptischen Paradigmas, also einem Aberglauben.

Der eben erwähnte Kant, der das Christentum als eine „um der Schwachen willen zu duldende Anstalt“ bezeichnete, wird übrigens in dem Film von Professor Horst Herrmann als aufklärerischer Gegenpol zum Apostel Paulus aufgeführt:

„Sie finden bei Kant keine hasserfüllten Sätze, das hat der Mann gar nicht nötig, aber Paulus hatte es nötig.“

Von all den bisher geschilderten Zusammenhängen schienen die Kirchenvertreter in dem Film keine Ahnung zu haben, vielmehr bedienten sie wieder das altbekannte Klischee von dem schlechten Zeitgeist, dessen Opfer man gewesen sei und dass man frühere Zeiten nicht nach heutigen Maßstäben messen dürfe. „… Die Zeit war so … „Aber das ist heutiges Denken.…“ Für eine Religion, die sich als alleinseligmachende göttliche Offenbarung versteht und den Gläubigen den Beistand des Heiligen Geistes verheißt, ist das eine merkwürdige Ausrede. Wozu offenbart sich ein Gott, wenn er dann nichts Besseres zu tun hat, als sich an den Zeitgeist anzupassen und diesen oft humanitär unterbietet? Denn das Christentum hat auch vorhandene humanitäre Qualitäten der antiken Kultur vernichtet, also selbst den Zeitgeist vergiftet.