Religiöse Rechte - Jahresrückblick 2010

USA. (hpd) 2010 liegt bald hinter uns. Mit seinen vielen Ereignissen zeigt das vergangene Jahr gut das Weltbild, dem viele evangelikale Christen in den USA anhängen. Wir sehen, dass diese Christen in den Naturgewalten ähnliche Kräfte sehen, so wie die antiken Griechen hinter jedem Blitz Göttervater Zeus sahen.

Wie diese Christen massiv Stimmung gegen jeden machen, der seine Liebe außerhalb den klar definierten Grenzen der Ehe gefunden hat und dass diese Christen immer noch einer Kreuzzugsmentalität wie im Mittelalter anhängen. Und sie haben kein Problem damit, Präsident Obama als Kommunisten und neuen Hitler gleichzeitig hinzustellen.

 

Eine der größten Kastratrophen 2010 war das verheerende Erdbeben auf Haiti im Januar. Es forderte bis zu 230.000 Menschenleben, zerstörte die Infrastruktur des armen Landes auf Jahre hinweg und erst kürzlich brach im Krisengebiet eine Choleraepidemie aus. Wie schon so oft, sahen Vertreter der Christlichen Rechten auch diesmal in den Geschehnissen eine Strafe Gottes. Fernsehprediger führte das Erdbeben auf einen Pakt der Haitaner mit dem Teufel zurück. Dieser Ansicht schlossen sich auch Al Mohler von der Southern Baptist Convention und Bryan Fischer von der American Family Association an.

Im Frühling brach der Eyjafjallajökull auf Island aus. Durch den Vulkanausbruch mussten sogar Flüge innerhalb Europas oder über den Atlantik gestrichen werden. Aufgrund der geographischen Lage war besonders der britische Flugverkehr besonders stark betroffen. Pastor John Hagee sah jedoch auch hier göttliches Walten am Werk. Die englischen Medien seien besonders Israelkritisch gewesen und dies die gerechte Strafe.

Auch in der Ölhavarie im Golf von Mexiko sahen viele Christen nicht das menschliche Versagen der Firma BP, sondern ein göttliches Eingreifen. Die Umweltverschmutzung sei die Strafe Gottes für Amerikas Israelkritische Politik oder sexuelle Unmoral. Mehrere Parlamentarier des Bundesstaates Louisiana versuchten ernsthaft, die Katastrophe mit der Kraft des Gebetes abzuwenden. Als US-Präsident Obama den Verantwortlichen schwere Strafen androhte, bekam er postwendend zu hören, dies gleiche den Kollektivierungen in der Sowjetunion.

Im Frühjahr übte die US-Regierung Druck auf Israel aus, um den Siedlungsbau in den besetzten Palästinensergebieten zu stoppen. Die Mehrheit der Christlichen Rechten glaubt an ein biblisches Mandat, dass den Juden große Gebiete im Nahen Osten zuspricht. Sie lehnen, wie beispielsweise Pastor John Hagee, Friedensverhandlungen ab und kritisierten die Entscheidung der US-Regierung auf ein Ende des Siedlungsbaus hinzuwirken. Eine kleinere Fraktion um den fundamentalistischen Katholiken Pat Buchanan, in den 80ern einer der wichtigsten Mitarbeiter Reagans, lehnt den Staat Israel ab und fordert zum Bruch des Bündnisses ab. Zwischen diesen beiden unversöhnlichen Positionen gibt es in der Christlichen Rechten keinen goldenen Mittelweg.

Besonders laut wurde die Einwanderungsdebatte in diesem Jahr im Bundesstaat Arizona geführt, dass sich eines der strengsten diesbezüglichen Gesetze verpasste. Einige Politiker forderten sogar einen Minengürtel an der Grenze zu Mexiko, andere warnte, dass Hisbollah-Agenten nach einem Spanischkurs äußerlich nicht mehr von Mexikanern zu unterscheiden seien und den Terror ins Land tragen können. Manche Vertreter der Christlichen Rechten warnten vor den unmoralischen Lateinamerikanern, andere sahen in ihnen neue Verbündete, da sie zumeist katholisch sind und somit Gegner von Homoehe und Abtreibung seien.

Erst diesen Monat wurde in den USA per Parlamentsbeschluss die „Don't ask, don't tell“ Doktrin im US-Militär behoben. So durften Schwule bisher als Soldaten dienen, aber nur wenn sie ihre Homosexualität verheimlichten. Dem Beschluss waren das ganze Jahr über Diskussionen vorausgegangen. Künftig sollen Homosexuelle aber regulär den Streitkräften angehören.

Die Christliche Rechte bemühte die schrägsten Argumente, um das Horrorszenario abzuwenden. Wer Homosexualität zulasse, werde bald auch über Pädophile im Militär abstimmen. Auch der angebliche Wikileaks-Informant ist schwul, in Zukunft erwarten die USA also angeblich mehr peinliche Enthüllungen. Eine mögliche Folge der Zulassung wäre zudem, dass heterosexuelle Männer aus Abneigung gegenüber Schwulen nicht mehr den Dienst an der Waffe antreten würden. So ginge der Krieg gegen den Terrorismus verloren. Das wäre jedoch, wenn es stimmt (und Umfragen zeigen, das dem nicht so ist), eher ein Argument gegen Homophobie als gegen Homosexualität.

Außerdem bemühten Vertreter der Christlichen Rechten die Aussage des Ex-Generals John Sheehan. Dieser hatte ausgesagt, dass die niederländischen Truppen, in denen Schwule dienen durften, keine Kampfmoral hätten und daher das Massaker von Srebrenica im ehemaligen Jugoslawien zugelassen hätten. Gekrönt wurde dies nur noch von Bryan Fischer, der in der Debatte erklärte, die NSDAP sei eine Schwulenbewegung gewesen.

Größter und auch schwerster innenpolitischer Erfolg Obamas war die Einführung einer allgemeinen Krankenversicherung für alle US-Bürger. Auch diese geriet schnell unter den Beschuss der Evangelikalen. Neben naheliegenden Argumenten wie „zu teuer“ kamen auch Vergleiche mit dem Kommunismus oder Nationalsozialismus auf. Angeblich sei die Gesundheitsreform nur der Plan flächendeckend Euthanasieaktionen wie im 3. Reich durchzuführen. Da die Gesundheitsreform auch Regelungen bzgl. Abtreibung enthielt, wurden Schwangerschaftsabbrüche in eine Reihe mit dem Holocaust gesetzt. Wiley Drake, ehemals Vizepräsident der Southern Baptist Convention ging soweit, im Gebet von Gott den Tod aller Demokraten, die für den Gesetzesentwurf stimmten, zu fordern.

Wir erinnern uns, wie ein Gesundheitssystem unter den Evangelikalen aussähe: 2006 wurde in den USA die HPV-Impfung gegen Gebärmutterhalskrebs zugelassen. Da sie als besonders erfolgreich gilt (Medizin-Nobelpreis 2008), wurde sie in einigen Bundesstaaten als verbindlich für alle jungen Frauen eingeführt. Evangelikale Organisationen kritisierten dies, da dies einer Begrüßung vorehelichen Geschlechtsverkehrs von Staatsseite gleichkäme.

Feindbild Nr. 1 blieb aber weiterhin der Islam. Das gesamte Jahr über warnten die konservativen Christen vor der Terrorgefahr. Nach dem gescheiterten Times-Square-Anschlag, hinter dem die pakistanische Qaida vermutet wird, forderten viele von ihnen pauschale Maßnahmen gegen alle Moslems in den USA. Je näher der 9. Jahrestag des 11. September 2001 rückte, umso schärfer wurde die Rhetorik. Pastor Terry Jones forderte einen internationalen „Verbrenne den Koran“-Tag um vor dem Islam zu warnen. Nachdem er von allen Seiten bedrängt wurde, lenkte er ein und blies die Aktion ab. Auch wenn einzelne Evangelikale Terry Jones zustimmten, trifft dieser Vorwurf nicht auf die Christliche Rechte als ganzes zu.

Im November standen die Midterm-Elections an, also die Parlamentswahlen zwischen den Präsidentschaftswahlen. Sie gelten als erster Indikator dafür, ob einem Präsidenten die Wiederwahl gelingt oder nicht. Für die demokratische Partei und besonders für Barack Obama waren die Wahlen eine herbe Niederlage, die die komfortable Parlamentsmehrheit zunichte machten. Obama wird es schwer haben, in den nächsten zwei Jahren zu regieren, wenn er sich nicht kompromissbereit zeigt. Die Evangelikalen feierten den Sieg der Republikaner und hoffen in 2 Jahren einen der ihren ins Weiße Haus zu bringen.

Die Christliche Rechte schaffte es auch dieses Jahr wieder, aus jeder noch so kleinen Mücke einen Elefanten zu machen. Pop-Sensation Lady GaGa zog den Zorn Bill Donohues, Vorsitzender der Catholic League, auf sich. Sie sei eine „Möchtegern-Madonna“ und ihr Musikvideo Alejandro, in dem sie als Nonne auftritt, „zum Kotzen“. Andere Christen warnten, dass die Bücher und Verfilmungen der Twilight-Saga zu Vampirismus und Okkultismus führen können.

Lukas Mihr