Islamischer Religionspädagoge Khorchide verteidigt Satire

Mohammed-Karikatur bei Charlie Hebdo positiv!

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Titelblatt der "Charlie Hebdo" nach dem Terroranschlag
Titelblatt der "Charlie Hebdo" nach dem Terroranschlag

BERLIN. (hpd) Nach den Massakern von Paris veröffentlichte Charlie Hebdo eine Mohammed-Karikatur, in der ein weinender Prophet gezeigt wird, der “Je suis Charlie” sagt. Über seinem Kopf ist die Schlagzeile “Alles ist verziehen” zu sehen. Dieses Motiv, allgemein als anrührend und zum Nachdenken inspirierend empfunden, ist sogleich – noch waren nicht alle Terroropfer beigesetzt - wütenden Protesten ausgesetzt gewesen.

Verurteilung der Meinungsfreiheit in islamischen Ländern

Demonstrationen in verschiedenen islamischen Regionen, ein Verbot der Veröffentlichung in mehreren Ländern, darunter die Türkei und Russland, Erklärungen des ägyptischen Fatwa-Amtes und des Großmufti von Jerusalem, dass diese Karikatur eine “Provokation aller Muslime” sei und deren Gefühle missachte – alles wie gehabt. Als habe die islamische Welt trotz verbaler Bekundungen gegen den islamistischen Terror nichts gelernt, nicht einmal die Bereitschaft zu Selbstkritik. Weiter so – wie bisher? Das kann und darf nicht die Antwort islamischer Religionsführer auf die im Namen des Islam verübten Bluttaten sein.

Immer deutlicher wird, dass auch innerhalb der islamischen Szene in Deutschland dringend (theologische) Klärungen erforderlich sind: die Verurteilung der IS-Verbrechen gegen die Menschlichkeit und der Pariser Massaker ist das eine, das andere aber ist die Frage, wie steht “der Islam” in Deutschland zu den Menschenrechten. Nicht zu denen, auf die sich Muslime für ihre religiöse Betätigung selbst berufen. Sondern zu den Menschenrechten, deren Ausübung durch Andere einem auch wehtut, zur Meinungs- und Kunstfreiheit, zum Recht, in Form der Satire auch zur Religion Stellung zu nehmen.

Klärungen “im Islam” erforderlich

Eine eindeutige Position hierzu hat der islamische Reformer, der Münsteraner Religionspädagoge Prof. Mouhanad Khorchide. Seine Antwort auf die Frage des (evangelischen) Sonntagsblatts Bayern, ob ihn die neueste Mohammed-Karikatur bei Charlie Hebdo empöre, ist an Eindeutigkeit nicht zu überbieten: “Nein, ich finde das sehr positiv. In der Karikatur bekennt sich Mohammed zur Meinungsfreiheit. Damit wird gezeigt: Mohammed ist auf unserer Seite der demokratischen Werte und nicht auf der Seite der Extremisten.”

Khorchide zeigt großen Mut – und scheut sich nicht, seine Meinung auszusprechen - trotz Morddrohungen seitens der Salafisten, trotz ständigen Mobbings seitens der konservativ-orthodoxen Islamverbände.

Khorchide steht erfreulicherweise unter Muslimen in Deutschland nicht allein. Aber islamische Reformer haben es nicht leicht im Deutschland unserer Tage – gerade in einer Zeit, in der die Politik immer wieder gerne die Islam-Verbände hofiert. Über diese (bisherige) undifferenzierte Politik nachzudenken und zu Änderungen zu kommen, muss eine der Folgerungen aus den jüngsten Ereignissen sein. Die Stimmen derer, die eine offene (theologische) Debatte unter den Muslimen und eine Debatte über Religion und Menschenrechte, über das Verhältnis von Staat und Religion fordern, mehren sich gerade jetzt nach Paris. Und es sind Muslime, die dies fordern!

Theologische Debatte unter Muslimen beginnen

Khorchide legt den Finger in die Wunde “des Islam”. Er sagt: “Es ist eine Herausforderung, dass es in der islamischen Theologie die ganze Bandbreite von menschenfreundlichen bis menschenverachtenden Auslegungen gibt. Das Internet macht es heute leicht, sich das Passende rauszusuchen. Umso wichtiger ist es, junge Menschen zu befähigen, zwischen diesen Angeboten zu unterscheiden.” Er fordert eine umfassende theologische Debatte und eine “Aufklärung von unten”, junge Muslime müssten über ihre Religion aufgeklärt werden, wozu auch die Einordnung der “Gewaltstellen” im Koran gehöre.

Khorchide hat bereits wiederholte Male dafür plädiert, den Koran in seinem historischen Kontext zu deuten. Ähnliches hat der Islamwissenschaftler Ralph Ghadban vor kurzem im hpd betont. Die SPD-Politikerin Lale Akgün hat dies jüngst ebenfalls auch gefordert und verlangt, man müsse weg von einem Wortverständnis des Korans, ihn stattdessen als historische Schrift begreifen und versuchen, den Sinn der koranischen Aussagen zu verstehen.

Gegenwärtig dominieren die konservativ-orthodoxen Islamverbände mit ihren Koranauslegungen in Deutschland. Es fehlen bislang die organisierten Gegengewichte.

Das Problem ist, dass die Masse der Muslime in Deutschland, durchaus rechtsstaatlich und an Demokratie orientiert, wie Ralph Ghadban gezeigt hat, sich nicht organisiert und deshalb kein Gegengewicht zu den konservativ-orthodoxen Verbänden bildet. Eine Situation, vergleichbar der von Humanisten und Konfessionslosen in Deutschland, die schon mangels Organisierung den Kirchenverbänden strukturell unterlegen sind.

Wie weit und wie schnell islamische Reformer und liberale Muslime in der Auseinandersetzung um die Deutungshoheit über den Islam in der nächsten Zeit vorankommen werden, kann gegenwärtig nicht beurteilt werden. Die Zeichen stehen gegenwärtig aber nicht schlecht. Eines aber stellt sich – nach Paris – immer deutlicher dar: die deutsche Politik darf mit ihrer Hofierung der konservativ-orthodoxen Verbände nicht weitermachen.

Die (weitere) Unterstützung eines orthodoxen Islam würde nicht nur ein Affront gegen die Mehrheit der Muslime in Deutschland sein, sondern auch ein unzulässiger Eingriff in deren Religionsfreiheit. Der Staat darf nicht intervenieren, um einen orthodoxen Deutsch-Islam zu befördern. Es gilt Religionsfreiheit – auch für die Mehrheit der Muslime – gegen die Islamverbände.