HAMBURG. (hpd) Nach langen Bemühungen ist jetzt in Hamburg eine weltlich-humanistische Grundschule in freier Trägerschaft
durch die Schulbehörde genehmigt worden
Neben dem ‚Alsterpalais' im Hamburger Stadtteil Ohlsdorf steht ein Gebäude des Betreuten Wohnens und eine der dort lebenden Damen eilte resolut hinüber zum ‚Alsterpalais', um zu fragen, was denn dort los sei: Es nieselt und einige Kinder in Gummistiefeln sind dabei, mit großen Spaten die vielen schönen roten Rosenstöcke aus der umlaufenden Rosenbalustrade des Gebäudes heraus zu graben, mehrere Erwachsene mühen sich ebenso damit ab. Die aufmerksame und sich sorgende Dame aus der Nachbarschaft kann schnell besänftigt werden. Alles gehe mit rechten Dingen zu, denn die Rosen sollen vor den bald anrückenden Baumaschinen gerettet und umgepflanzt werden, für die Baumaßnahmen muss der Boden abgetragen werden.
„Sie haben endlich die Genehmigung für die Schule bekommen?" Ursula Smischliaew, zusammen mit Jörg Brettschneider Geschäftsführerin der „Flachsland Zukunftsschule gGmbh", nickt mit einem strahlenden Lächeln: „Ja, nun ist es soweit. Endlich können wir mit den konkreten Arbeiten beginnen." Der Informationsnachmittag für die Anwohner in der Umgebung, dass es mit dem ‚Dornröschenschlaf' des Gebäudes und des Grundstücks bald vorbei sein würde, da dort das „Bildungshaus Alsterpalais" entstehen werde, lag schon mehr als ein halbes Jahr zurück.
Zweieinhalb Jahre sind seit der Antragstellung bis zur formalen Genehmigung am 11. Juli 2008 ins Land gegangen, d.h. Konzepte, Anträge, Besprechungen, neue Papiere, Planungen, Kostenschätzungen, Kosten- und Finanzierungspläne, Anträge zum Baugenehmigungsverfahren, Betriebsbeschreibungen, Planungsrechnungen bis 2013, Hoffnungen und Zweifel, Zuversicht und Fragen. Und alles ‚nebenher', d.h. zusätzlich zur normalen Arbeit.
Ursula Smischliaew und Jörg Brettschneider sind ‚von Hause aus' geschäftsführende Vorstände des „Kinderwelt Hamburg e.V.", einem gemeinnützigen Träger der freien Kinder- und Jugendhilfe, der 16 überwiegend bilinguale Kindertagesstätten betreibt - mit rund 1.000 Betreuungsplätzen und 200 MitarbeiterInnen. In der Zukunftsschule werden 120 Schulkinder und 60 Krippen- und Elementarkinder einen Platz finden.
Flachsland Zukunftsschule: „Bildung mit Kopf, Herz und Hand"
Das pädagogische Konzept heißt „Bildung von Anfang an" und legt eine humanistische Weltanschauung zugrunde, die sich an wissenschaftlicher Aufklärung und humanistischer Ethik orientiert. Das bedeutet u.a. Kindern und Heranwachsenden die Chance zu bieten, eine weltliche Antwort auf Sinnfragen zu finden, Verantwortung zu übernehmen und sein Lebensumfeld gemeinsam mit anderen zu gestalten. Demokratische Grundstrukturen, Transparenz, Mitsprache und Beteiligung sind als Rechte der Kinder verankert, und soll es ihnen ermöglichen, sich ein differenziertes Bild von der Welt zu machen und einen eigenen Standpunkt zu finden. „In geborgener Atmosphäre ermutigen wir die Kinder zu forschen, zu lernen und mit Spaß und Freude die Welt zu entdecken. Dabei werden sie von erfahrenen Pädagogen liebevoll und gezielt begleitet."
„Im Herbst 2007 wurde uns das besondere pädagogische Interesse bestätigt", Ursula Smischliaew lächelt, „doch dann musste noch intensiv weiter an der Realisierung gearbeitet werden. In zwei Jahren wird es eine weiterführende Gemeinschaftsschule geben, die dann bis zum Abitur führt. „Von ‚1 bis 18' ist Teil unseres Konzeptes, mit dem wir Kindern die Chance bieten, von der Krippe bis zum Ende der Schulzeit mit gleichen und von uns langjährig erprobten Bildungsstandards aufzuwachsen."
Das Bildungsverständnis steht unter einem Motto des Pädagogen Hartmut von Hentig: „Bildung ist das, was zurück bleibt, wenn man das Gelernte wieder vergessen hat."
Genehmigungen sind keine Selbstverständlichkeit
In Hamburg wurde 2007 die Neue Schule Hamburg genehmigt. Eine Initiative u.a. der Sängerin Nena, die sich an dem Sudbury-Prinzip orientiert, d.h. die Schüler bestimmen selbst, was sie lernen. Andere Bewerber wie Phorms oder die Moderne Schule Hamburg haben diese Bestätigung eines besonderen pädagogischen Interesses bisher nicht bekommen.
Das Grundgesetz legt in Artikel 7, Absatz 5 fest, dass private Volksschulen als Bekenntnis- oder Weltanschauungsschule errichtet werden können. Andere Träger, die weder Kirchen noch Weltanschauungsgemeinschaft sind, brauchen die Bestätigung dieses besonderen pädagogischen Interesses durch die Unterrichtsverwaltung.
„Jetzt können wir, jetzt wollen wir und jetzt müssen wir auch."
Jörg Brettschneider, der die kaufmännische Planung und Leitung von Kinderwelt-Hamburg und der Zukunftsschule verantwortet, ist heiter aufgelegt. „Nun können wir endlich alle weiteren Planungen konkret umsetzen. Jetzt wollen wir und jetzt müssen wir auch loslegen. Die erforderlichen Baumaßnahmen und unser zukunftsweisendes Konzept erfordern ein hohes Maß an Investitionen. Da die Bildungsbehörde aber erst nach drei Jahren rückwirkend einen Teil der Kosten erstattet, müssen wir die ersten drei Jahre aus eigener Kraft bzw. mit Hilfe von Banken und Sponsoren finanzieren. Da wir weiter wachsen wollen, freuen wir uns über jede Form der finanziellen Unterstützung. Als eine Möglichkeit, sich finanziell zu engagieren, stellen wir demnächst die Flachsland-Bildungsanleihe vor." Voraussichtlich wird es eine 5,5 bis 6 % Verzinsung für auf 10 Jahre festgelegte Einlagen des Fonds geben, der die Eigenkapitalausstattung abrunden wird. Zudem müssen jetzt bereits die Planungen für die weiterführende Gemeinschaftsschule beginnen, wenn sie 2010 tatsächlich in Betrieb gehen soll.
Das Alsterpalais - ein inspirierender Ort
Das denkmalgeschützte Gebäude ist architektonisch reizvoll. Es ist ein Ort, der einen bezaubert und auch herausfordert, ein Ort für Entdeckungen und Entdecker, ein Ort der Erkenntnis und der Kunst - ein Ort mitten im Leben. Viele, die es zum ersten Mal sehen, halten es für ein „Märchenschloss".
Ursprünglich wurde das ‚Kerngebäude' wurde 1890/91 von dem Architekten Ernst Paul Dorn als Krematorium errichtet. Vor 75 Jahren (1933) wurde der Betrieb eingestellt. Das 800 qm große Gebäude stand seitdem weitestgehend leer und wurde 1981 unter Denkmalschutz gestellt. 1998 wird das Gebäude restauriert und für eine Gastronomienutzung innen umgebaut, das Club-Restaurant „Alsterpalais" eröffnet. 2002 folgt eine kurze Zeit das Restaurant „Scala Nova". 2007 wird Gebäude und Grundstück an den Hamburger Kulturinvestor Klaus-Martin Kretschmer verkauft.
Die Frage, ob man in einem ehemaligen Krematorium eine Bildungseinrichtung für Kinder einrichten darf, hat sich mehr als einmal gestellt. Jörg Brettschneider sieht es positiv: „Es ist wichtig, den Kindern einen natürlichen Umgang mit Themen des Alltags zu ermöglichen. Dazu gehört auch das Thema Tod." Abgesehen davon, dass Humanisten mit Feuerbestattungen kein Problem haben, wird die zukünftige Nutzung, ab September 2009, sicherlich auch diese Erinnerung in den Hintergrund treten lassen.
CF