Deutsches Institut für Menschenrechte

"An das Schicksal der Verschwundenen erinnern!"

BERLIN. (hpd/ifm) Am 30. August wird der internationale Tag der Opfer des Verschwindenlassens begangen, ein jährlicher Gedenktag für die zahlreichen Verschwundenen in vielen Teilen der Welt. Aus diesem Anlass hier ein Interview mit Rainer Huhle, Mitglied im UN-Ausschuss gegen das Verschwindenlassen.

IFM: Warum ist der Internationale Tag gegen das Verschwindenlassen wichtig?

Rainer Huhle: Wie so Vieles, was mit dem "Verschwindenlassen" zu tun hat, geht auch der 30. August als Gedenktag für die Opfer dieses Verbrechens auf Initiativen aus Lateinamerika zurück. 1981 beschloss FEDEFAM, der Zusammenschluss der lateinamerikanischen Verbände von Angehörigen verhafteter und anschließend verschwundener Personen, jährlich an diesem Tag der Opfer zu gedenken. Als Jahrzehnte später, im Dezember 2010, das UN-Abkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen in Kraft trat, machten die Vereinten Nationen diesen Tag zum offiziellen Gedenktag (RESOLUTION 65/209, verabschiedet auf der 71. Plenarsitzung am 21. Dezember 2010).

Heute ist der Gedenktag weltweit Anlass, an das Schicksal dieser Menschen zu erinnern. Weltweit ist von über Hunderttausend solcher “Verschwundener” auszugehen, eine fürchterliche Vorstellung, wenn man weiß, was das für jede einzelne Familie bedeutet. Ende Juli beispielsweise begann in Medellín in Kolumbien ein neuer Akt eines zehnjährigen Dramas. Seit Jahren ist durch Aussagen verhafteter Paramilitärs bekannt, dass unter der städtischen Müllhalde "La Escombrera" eine große Zahl "Verschwundener" verscharrt ist, die Angehörigen sprechen von mehreren Hundert. Doch erst am 27. Juli 2015 begann die Staatsanwaltschaft mit Ausgrabungen in einem Teil der Müllhalde, an anderer Stelle wird weiterhin Müll abgeladen, "eine fürchterliche Respektlosigkeit", sagen die Angehörigen, die seit Beginn der Grabungen täglich darauf warten, ein Stück Knochen ihrer Angehörigen zu finden und nicht wissen, ob sie darauf hoffen oder sich fürchten sollen.
 

Was ist die größte Herausforderung für das Menschenrechtsschutzsystem mit Blick auf die Opfer und ihre Familien?

Es ist ein großer Erfolg, dass es sowohl in den Vereinten Nationen wie vor allem im interamerikanischen Bereich heute ein ausdifferenziertes rechtliches Normen- und Monitoringsystem und vor allem in Lateinamerika auch eine sehr gute Rechtsprechung zum Verbrechen des "Verschwindenlassens" gibt. Wie überall sind das Recht und seine Institutionen aber auch beim "Verschwindenlassen" oft weit entfernt von der Lebenswirklichkeit derer, für die sie geschaffen worden sind. Hier ist Realismus auf beiden Seiten angesagt.

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So muss beispielsweise der UN-Ausschuss gegen das Verschwindenlassen Wege finden, die Betroffenen über Arbeitsweise und Beschwerdemöglichkeiten des Fachgremiums sowie über gute Zugänge zum Ausschuss zu informieren, damit diese ihn auch wirklich nutzen können. Das heißt: Keine unverständlichen Formulare, keine unnötigen formalen Voraussetzungen, kein Hängenlassen in der Warteschleife, sondern klare Aussagen und schnelle Reaktionen. Umgekehrt müssen die Schutzgremien wie der UN-Ausschuss aber auch deutlich machen, wo die Grenzen ihrer Handlungsmöglichkeiten liegen. Wenn von “der UNO” Wunder erwartet werden, ist Frustration unvermeidlich, und auch das Mögliche wird nicht mehr wahrgenommen. Es ist immer wieder erstaunlich, wie sehr es an guter Information über die Möglichkeiten des UN-Menschenrechtsschutzsystems mangelt. Aber auch innerhalb des institutionellen UN-Menschenrechtsschutzsystems muss immer wieder neu gelernt werden, vor welchen neuen Problemen Opfer von Menschenrechtsverletzungen stehen, und müssen Arbeitsmethoden oder gegebenenfalls auch das normative Regelwerk angepasst werden.
 

Welche Handlungsempfehlungen haben Sie an die deutsche Politik? Wie kann eine opferorientierten Perspektive umgesetzt werden?

Deutschland hat seit langem eine Politik verfolgt, die UN-Fachausschüsse als wirklich unabhängige Gremien zu erhalten, das Gleiche gilt für die Sonderberichterstatter_innen des UN-Menschenrechtsrats. Das ist umso wichtiger in Zeiten, in denen manche Staaten verstärkt regierungsnahe Personen oder gar Mitglieder der Exekutive in diese Funktionen entsenden. Deutschland sollte nachdrücklich auf der Wahrung der Unabhängigkeit aller Expert_innen im UN-Menschenrechtsschutzsystem bestehen.

Eine weitere Handlungsebene für Regierungen ist die konkrete Unterstützung der Aktivitäten von Opferorganisationen, indem sie ihnen Plattformen für die Vorstellung ihrer Anliegen bei den Vereinten Nationen bieten, Fortbildungen finanzieren oder mit verschiedensten Mitteln die Zusammenarbeit zwischen den Opfern und den UN-Schutzgremien fördern.

Ein wachsendes Problem des Menschenrechtsschutzes durch die UNO sind Repressalien einiger Staaten gegen Personen, die mit den Gremien der UNO zusammenarbeiten, seien es die direkten Opfer von Menschenrechtsverletzungen oder deren Vertreter und Unterstützer. Es ist ungemein wichtig, dass die menschenrechtsfreundlichen Staaten die Bemühungen der UNO unterstützen, solche Menschen besonders zu schützen. Es kann und darf nicht sein, dass Personen, die sich zum Beispiel an den Ausschuss gegen das Verschwindenlassen um Unterstützung wenden, deswegen von ihrer Regierung verfolgt werden. Statt Schutz zu erhalten, werden sie zusätzlich gefährdet, und die UN-Gremien werden unglaubwürdig. Das Hochkommissariat für Menschenrechte hat dies erkannt und ein eigenes Programm zum Schutz von Personen, die mit der UNO zusammenarbeiten, aufgelegt. Das kann aber nur funktionieren, wenn auch die Staaten, insbesondere die Mitglieder des Menschenrechtsrats, sich daran beteiligen und gegen solche Praktiken protestieren.


Pressemitteilung des Deutschen Instituts für Menschenrechte