(hpd) Das 20. Jahrhundert war auch das Jahrhundert der großen Gurus. Nicht nur die Beatles gerieten in ihren Bann, unzählige Menschen suchten bei ihnen Sinn, Erleuchtung oder spirituelles Wachstum. Der Kanadier Geoffrey Falk wählt in seinem nun auf Deutsch erschienenen Buch eine andere Perspektive.
Nicht in demütiger Bewunderung blickt er auf Bhagwan, Sri Chinmoy und Co., sondern mit viel Ironie holt er deren zahlreiche Verfehlungen ans Licht. Colin Goldner, der das Buch übersetzt und für das deutschsprachige Publikum bearbeitet hat, hat mit Geoffrey Falk gesprochen.
Mal unter uns: Bhagwan-Osho Rajneesh, Sai Baba, Yogananda, das sind doch alles Dünnbrettbohrer – was war Ihre Motivation, sich mit diesen Figuren zu beschäftigen?
Geoffrey Falk: Unter den drei genannten Figuren bohrte sicher Sai Baba die dünnsten Bretter. Bei Rajneesh war das ein wenig anders: einer seiner früheren Anhänger wies darauf hin, dass viele Therapeuten und Pioniere des human potential movement [= Neue Formen der Psychotherapie] seine Schüler waren, die ihn, wenn schon nicht für einen Guru, so doch zumindest für einen „Meistertherapeuten“ hielten, dessen Arbeit den „nächsten Schritt in der Entwicklung von Psychotherapie“ bedeute. In anderen Worten: sie sahen Rajneesh nicht als jemanden, der spirituelle Einsichten außerhalb ihrer Profession verkündete, sondern vielmehr als Vordenker ihres eigenen Arbeitsfeldes. Für sie zumindest war er alles andere als ein Dünnbrettbohrer.
Adi Da hatte einen akademischen Abschluss in Philosophie von der Columbia University; Ram Dass – Richard Alpert – war Professor in Harvard, bevor er in esoterische Gefielde abdriftete; und selbst Yogananda hatte an der University of Calcutta studiert.
Unabhängig aber davon: Gäbe es jenseits von Wissenschaft in weitestem Sinne „mystische Wege der Erkenntnis“, wäre das intellektuelle Format der jeweiligen Mystiker unerheblich. Wie es schon bei Matthäus heißt, pries Jesus seinen Vater dafür, dass er die „Wahrheit vor den weisen und klugen Leuten verborgen, aber den Unmündigen offenkundig gemacht“ habe [Mt 11,25]. Was immer Spiritualität auch sein mag: sie ist kein intellektuelles oder theologisches Unterfangen. Konsequenterweise wäre intellektuelle Einfalt keine Schande, wenn etwa Intuition eine Quelle verlässlicher Erkenntnis oder Weisheit wäre, wie die Mystiker das behaupten.
Dummerweise – aus Sicht all der Gurus, Hellseher und Wahrsager dieser Welt – hat kein anständig durchgeführter Test zur Überprüfung ihrer vorgeblich paranormalen Fähigkeiten irgendeinen Beleg erbracht – was uns keinerlei Grund gibt, der Behauptung Glauben zu schenken, die Erkenntnis, die sie aus irgendeiner Art höherer Eingebung gewonnen haben wollen, habe irgendwelchen Wert.
Sehr wahrscheinlich führt ihr vermeintlicher Weg des Erkenntnisgewinnes, den sie jedem wissenschaftlichen und intellektuellen Ansatz für überlegen erachten, zu überhaupt keiner Erkenntnis.
Mit Blick auf meine eigene Motivation zum Verfassen dieses Buches ist zu sagen: Die übliche Haltung von Menschen, die sich aus einem destruktiven Guru-Schüler-Verhältnis befreien konnten, ist die, dass sie glauben, sie seien die einzigen, die schlechte Erfahrungen mit dem jeweiligen Guru gemacht hätten, und dass der nächste Guru, dem sie sich anschlössen, besser sei. Ich hatte dieselbe Sichtweise in den Jahren nach einem höchst unerfreulichen neunmonatigen Aufenthalt in einem von Yoganandas Ashrams in Kalifornien in den späten 1990ern. Tatsächlich konnte ich mich nur durch den Prozess des Buchschreibens von der Vorstellung distanzieren, dass ein anderer Guru bzw. eine andere Organisation anders sei. Ich finde es insofern höchst erfreulich, von Menschen zu erfahren, die durch die Lektüre meines Buches endlich das Karussell des Von-einem-Guru-zum-nächsten-Springens verlassen konnten.
Wie waren die Reaktionen auf Ihr Buch in Kanada und den USA? Gab es Versuche, Sie einzuschüchtern oder juristisch gegen das Buch vorzugehen?
Geoffrey Falk: In den USA und in Kanada kann man juristisch nicht belangt werden, wenn man öffentlich zugängliche Berichte über Fälle sexuellen Missbrauchs oder sonstiger Gewalt einfach wiederholt. Insofern war ich nicht sonderlich besorgt, verklagt zu werden. Ich habe nur einmal eine Morddrohung erhalten, von einem inbrünstigen Verehrer Ramakrishnas, sonst nichts. Ja, und von einem Verehrer Ken Wilbers wurde ich in Kenntnis gesetzt, ich sei ein „unglaubwürdiges Arschloch“.
Gibt es etwas, was allen Gurus gemeinsam ist?
Geoffrey Falk: Ein gemeinsames Element aller Gurus dürfte eine narzisstische Persönlichkeitsstruktur sein: Wissenschaftlichen Studien zufolge waren 80 Prozent der untersuchten Gurus in klinischem Sinne narzisstisch. Es gibt zwar ein paar Figuren, die gegen ihren erklärten Willen in eine Guru-Position gedrängt wurden, solche beispielsweise, die ohne eigenen Machtanspruch von ihrem Guru in dessen Nachfolge eingesetzt wurden, aber das sind Ausnahmen in einem Feld, in dem absolute spirituelle Macht in aller Regel auch absolut korrumpiert.
Was sind die Hauptvorwürfe an die Adresse der Gurus?
Geoffrey Falk: Der größte Einzelvorwurf wäre der des sexuellen oder sonstigen körperlichen Missbrauchs, der den Regelfall des Guru-Schüler-Verhältnisses darstellt. Solcher Missbrauch tritt im Kontext einer psychologischen Eltern-Kind-Beziehung auf, in der der Guru – oder Priester – als jemand angesehen wird, der eine unmittelbare intuitive Verbindung zu Gott habe: Jeder loyale Schüler wird bereitwillig das tun, was „Gott“ ihm, vermittelt durch den Guru, aufträgt.
Interessanterweise finden sich nur wenige Frauen unter den vorgestellten Erleuchteten. Was könnte die Ursache dafür sein?
Geoffrey Falk: Es sind vermutlich dieselben Gründe wie für die männliche Dominanz am oberen Ende jedes anderen Machtbereiches. Ungeachtet dessen gab es in der Vergangenheit durchaus auch weibliche „Erleuchtete“, beispielsweise Ramakrishnas Frau Sarada, Aurobindos „Mutter“ Mira Alfassa, Ananda Moyi Ma, Muktanandas Gurumayi, Yoganandas Schülerinnen Daya Mata und Tara Mata oder Ram Dassen Ma Jaya Sati Bhagavati; in jüngerer Zeit Ammachi, Jetsunma oder Mother Meera. Diese weiblichen Figuren haben ihre Macht um nichts weiser oder mitfühlender ausgeübt als Männer in nämlicher Position, auch wenn sie üblicherweise das „weibliche“ Element der Hingabe – Bhakti Yoga – über das „männliche“ der philosophische Vervollkommnung – Gyana Yoga – stellten und stellen.
Fast alle der beschriebenen Gurus sind bereits tot oder zumindest ziemlich alt. Ist die Zeit der „klassischen“ charismatischen Gurus vorbei?
Geoffrey Falk: Möglicherweise. Der Neuigkeitsfaktor, der wesentlich den Ruhm von Vivekananda oder Yogananda begründete, ist längst passé. Und man kann sich auch nur schwer vorstellen, dass irgendjemand heute noch so beeindruckt wäre von Figuren wie Maharishi Mahesh Yogi oder dem „Woodstock Swami“ Satchidananda, wie das in den 1960ern und 1970ern der Fall war. In gewissem Sinn konnte es sie nur in der Welt vor Einführung des Internets geben, in der vieles im Dunklen blieb, was heutzutage sofort die Runde macht. Andererseits behauptet etwa die Organisation rund um die „Göttliche Mutter“ Ammachi, bekannt als „Vom Himmel herabgestiegene Umarmerin“ – „The Hugging Avatar“ –, dass sie in ihren weltweit abgehaltenen Darshans [=Begegnung zwischen Guru und Schüler] bislang mehr als 31 Millionen Menschen umarmt habe. Sie ist noch keine 60 Jahre alt, Mother Meera ist erst Anfang 50.
Kritische Stimmen könnten einwenden, dass die Anhänger irgendwelcher Gurus in Ihrer Analyse nur als Opfer vorkommen. Erfüllen die Gurus nicht auch real vorhandene Bedürfnisse? Und werden Anhänger nicht oft auch zu Mittätern?
Falk: Ja, die Gurus erfüllen sehr wohl bestehende Bedürfnisse ihrer Anhänger, und diese sind in der Tat als Komplizen im Sinne codependenten Missbrauchs zu sehen, selbst dann, wenn sie nicht in eine Position gelangen, in der sie selbst andere als Guru missbrauchen können: Wenn sie nicht irgendeinen Profit aus der ganzen Sache bezögen, würden sie einfach weggehen.
Diese Idee stößt gleichwohl bei der Mehrheit der Sozialwissenschaftler, die sich mit Kultphänomenen befassen – meist handelt es sich dabei um frühere Kultmitglieder – auf wenig Gegenliebe: Sie tendieren dazu, Kultmitglieder als unschuldige Opfer anzusehen, während nur der Kultführer beschuldigt wird, seine Anhänger manipuliert und gegen ihren Willen gehirngewaschen zu haben. Ich habe diese Sichtweise nie geteilt. Vielmehr weiß ich aus meiner jahrzehntelangen Anhängerschaft von Yogananda, dass ich nicht auf ihn hereingefallen wäre, wenn er mir nicht in seinen Büchern und nachzulesenden Vorträgen genau das gesagt hätte, was ich hören wollte.
Entgegen der Standardannahme in Studien über Psychokulte, dass von Gurus angeführte Gruppen Attraktivität nur für einsame Menschen entfalten oder für Menschen, die sich an einem Tiefpunkt in ihrem Leben befinden, ist es durchaus möglich, dass jemand sich in der Anhängerschaft eines Gurus wiederfindet als Ergebnis einer völlig legitimen Suche nach einem spirituellen Pfad, der aus seiner Sicht Sinn ergibt. Das Leben George Harrisons, Gitarrist der Beatles, dient hierfür als augenfälliges Beispiel: Harrison engagierte sich aus völlig freien Stücken erst bei den Hare Krishnas, dann in der Organisation um Yogananda, und das zu einem Zeitpunkt, als er und die Beatles auf dem Höhepunkt ihrer Karriere standen: Er hatte schlicht das Gefühl, dass irgendetwas in seinem Leben fehlte.
Was muss sich ändern, damit wir Gurus nur noch als lächerliche Figuren wahrnehmen?
Falk: Es ist vermutlich Teil der menschlichen Natur, dass es immer jemanden geben wird, der autoritäre spirituelle und religiöse Führer nicht als die lächerlichen Figuren wahrnimmt, die sie sind. Das Wichtigste dürfte sein, Menschen darauf aufmerksam zu machen, und zwar bevor sie sich tiefergehend in einer spirituellen oder religiösen Gemeinschaft engagieren, was üblicherweise in jeder davon „hinter verschlossenen Türen“ vonstattengeht, und ihnen so die Möglichkeit zu eröffnen, eine gut informierte Entscheidung hinsichtlich ihres Engagements zu treffen. Im besten Fall kann solche Information eine wirksame “Schutzimpfung” darstellen nicht nur gegen die Gefahr, in einen destruktiven Kult hineingezogen zu werden, sondern auch gegen all die Behauptungen paranormaler oder mystischer Fähigkeiten wie Auralesen, Hellsichtigkeit, Astralreisen usw.
Wir danken für das Gespräch.
Geoffrey Falk: Gurus. Zwischen Sex, Gewalt und Erleuchtung. Übersetzt und herausgegeben von Colin Goldner. Aschaffenburg 2011, Alibri. 230 Seiten, Abbildungen, kartoniert, Euro 14.-, ISBN 978-3-86569-055-5
Das Buch ist auch im denkladen erhältlich.