ORF geht vor den Kirchen auf die Knie

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screenshot - ORF2 - Karfreitag

WIEN. (hpd/rip) In der Karwoche und zu den Osterfeiertagen werden die ORF TV- und Radioprogramme maßlos religiös geprägt sein. Neben der Live-Übertragung von Gottesdiensten wird es eine Mischung aus Oster-Kitsch, Kirchen-PR und mehr oder weniger sanfter Missionierung sein. Die Initiative Religion ist Privatsache setzt zur Wehr.

Erstmals werden dieses Jhr über ORF III, unter dem Deckmantel der „Kultur“, weitere unmissverständlich religiöse Oster-Specials ausgestrahlt werden.

Doch den Höhepunkt der kirchlichen ORF-Aktivität wird am Karfreitag um 15:00 Uhr eine landesweite Schweigeminute in ORF-2 darstellen.

Nach eigenen Angaben soll mit dieser Sendeunterbrechung „des Kreuztodes Jesu gedacht“ werden. Somit setzt der ORF als öffentlich rechtliche Einrichtung ein eindeutig pro-religiöses Zeichen, das nicht nur unzeitgemäß ist sondern zur gebotenen Trennung von Staat und Kirche in deutlichem Kontrast steht.

Die Initiative Religion ist Privatsache forderte nun ORF-Generaldirektor Wrabetz schriftlich auf, diese quasi-staatliche Schweigeminute aus dem Programm zu streichen und zusätzlich für ein ausgewogenes österliches Sendeprogramm zu sorgen, bei sonstigem Gang einer Beschwerde zur KommAustria.

Als einzige Vertreter der Religionsgemeinschaften Österreichs haben gem. ORF-Gesetz ausschließlich Kirchenvertreter sowohl im ORF-Publikumsrat als auch im ORF-Stiftungsrat einen Sitz inne und somit die Möglichkeit, sowohl die Programmgestaltung als auch die Unternehmensführung zu beeinflussen.

Im Vorjahr hat die Initiative Religion ist Privatsache eine KommAustria-Beschwerde gegen den Versuch der pro-christlichen Sprachregelung im ORF-Landesstudio NÖ eingebracht und am 11.1.2012 von der ORF-Aufsichtsbehörde Recht bekommen.
 

Der Brief im Wortlaut:

Sehr geehrter Herr Generaldirektor Dr. Wrabetz,

einer Spezial-Aussendung des ORF („Religion und Tradition im ORF-Osterprogramm“) konnte am 26.3.2012 das diesjährige Osterprogramm entnommen werden.

Insbesondere in Anbetracht der untergeordneten Rolle, die die Religion – und insbesondere die christliche – tatsächlich in Österreich spielt, ist die Programmwahl für die Karwoche und die Osterferien nicht nachvollziehbar: neben Gottesdienst-Liveübertragungen findet sich eine Fülle an Programmpunkten, die ein Bild der intensiven und überwiegend bejahenden Beschäftigung nicht nur mit dem Osterfest sondern mit dem Christentum im Allgemeinen anmuten lässt.

Doch den Höhepunkt des Osterprogramms bildet eine Schweigeminute, die ORF 2 abhalten wird. Sinn und Zweck dieses „Programmpunktes“ laut der oben angeführten Aussendung: „Mit einer Schweigeminute in ORF 2 wird am Karfreitag um 15.00 Uhr des Kreuzestodes Jesu gedacht“. Die angebliche Kreuzigung Jesu und insbesondere seine, historisch ebenfalls keineswegs belegbare, Auferstehung, bilden den Kern der meisten christlichen Glaubensrichtungen. Anders jedoch, als der Aussendung zu entnehmen ist, handelt es sich hier keineswegs um eine Tatsache. Die Ausstrahlung von Sendungen mit religiösem Bezug während der Karwoche bzw. der Osterferien scheint durchaus angebracht zu sein und den im ORF-Gesetz definierten Kernaufgaben des ORF zu entsprechen. Die „Aussendung“ einer ausschließlich religiös konnotierten Schweigeminute stellt hingegen einen unzulässigen Akt der expliziten weltanschaulichen Positionierung des ORF, als de facto staatlicher Rundfunk, dar. Diese landesweite Schweigeminute anlässlich eines religiösen Ereignisses besitzt nämlich keinen erkennbaren journalistischen, bildenden oder anderen nichtreligiösen Zweck und verstößt daher gegen die gebotene Trennung von Staat und Kirche.

Österreich ist im Jahr 2012 säkular wie nie zuvor. Lediglich 75.000 Zuschauer sahen sich beispielsweise den letzten katholischen Weihnachtsgottesdienst an. Das sind weniger als 1,5% der Katholiken Österreichs und um ein Viertel weniger als im Jahr zuvor. Die katholische Kirche verlor im Jahr 2011 wiederholt zehntausende Mitglieder und ihr Ansehen liegt, unter anderem dank einem über Jahrzehnte vertuschten Missbrauchsskandal und einer realitätsfremden Grundeinstellung gegenüber Sexualität, Geschlechtergleichberechtigung und Demokratie, an einem noch nie dagewesenen Tiefpunkt.

Der ORF hat gem. §4 Abs1 Z.12 ORF-Gesetz in seiner Programmgestaltung zu sorgen für die „angemessene Berücksichtigung der Bedeutung der gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften“. Die intensive und offensichtlich einseitige Programmgestaltung des ORF während der Karwoche und der Osterferien – und insbesondere die geplante Schweigeminute – scheinen weder angemessen noch sachlich zu sein. Der ORF darf, trotz der gesetzlich angeordneten Dauerpräsenz der Kirche in seinen Kontroll- und Leitorganen, nicht als kirchliches Sprachrohr dienen.