Die strafprozessuale Unschuldsvermutung verbietet es einer Journalistin nicht, ihre Überzeugung zu veröffentlichen, dass bestimmte Anschuldigungen wahr sind. Gerade auch im Hinblick auf die sogenannte MeToo-Debatte ist es gut und wertvoll, dass die Opfer von Straftaten die Möglichkeit haben, auf solche Veröffentlichungen hinzuwirken.
Deshalb ist die Kritik zurückzuweisen, die Monika Frommel und Thomas Fischer, Professorin und Professor des Strafrechts, geäußert haben. Beide meinen, dass die Vorwürfe gegen den Regisseur Dieter Wedel "unbewiesen" seien, ihn sozial vernichten und deshalb nicht hätten publiziert werden sollen. Aber was die ZEIT in dieser Angelegenheit geschrieben hat, ist sorgfältig recherchiert und dient dem Informationsinteresse der Allgemeinheit. Es handelt sich dabei um eine von der Pressefreiheit gedeckte "Verdachtsberichtserstattung", wie die nachfolgenden Überlegungen zeigen werden.
Ein "mediales Todesurteil"?
Die ZEIT blickt in ihrem MAGAZIN vom 22. März 2018 auf frühere Artikel zurück: "Am 4. Januar veröffentlichte das ZEITmagazin eine investigative Recherche: Mehrere Frauen, die mit dem Regisseur Dieter Wedel zu tun hatten, erhoben gegen ihn Vorwürfe wegen sexueller Übergriffe bis hin zu erzwungenem Sex … Erstmals wurde in der MeToo-Debatte in Deutschland ein Name genannt. Wedel stritt alles ab. Drei Wochen später veröffentlichte das Dossier der ZEIT die Ergebnisse weiterer Recherchen." Der neueste Bericht stellt nun die Frage, wie "der mutmaßliche Machtmissbrauch jahrzehntelang möglich gewesen" sei. "Wedel selbst haben wir über seinen Anwalt kontaktiert, er äußerte sich nicht zu den ihm gestellten Fragen" (ZEITmagazin v. 22.3.2018, S. 5).
In der öffentlichen Diskussion hat sich der Schwerpunkt verschoben, was vor allem die einschlägigen Artikel und Leserkommentare im Internet zeigen. Es geht nicht mehr in erster Linie um den "mutmaßlichen Machtmissbrauch" und die "sexuellen Übergriffe", die Wedel vorgeworfen werden, sondern um die Frage, ob "angeblich" Betroffene und Journalisten diesen Vorwurf öffentlich erheben dürfen. Drastisch verneint hat das die Strafrechtsprofessorin Monika Frommel. In der ARD-Sendung "Hart aber fair" am 5. Februar 2018 verfocht sie voller Zorn die Meinung, auf der Suche nach Vergeltung und Genugtuung hätten die Frauen, wenn sie tatsächlich Opfer seien, andere Wege gehen müssen und die ZEIT hätte die "unbewiesenen Anschuldigungen" nicht publizieren dürfen. Man habe Dieter Wedel damit an einen "digitalen Pranger" gestellt und so einen "historischen Rückschritt" vollzogen, der ihr "unfassbar" sei: Die Gesellschaft habe in 250 Jahren ein "geordnetes Verfahren mit verteilten Rollen entwickelt". Die ZEIT aber sei als Staatsanwalt und Richter zugleich aufgetreten, habe ein "Scherbengericht" veranstaltet und ein "mediales Todesurteil" verhängt.
Diese Kritik ist nicht berechtigt. Was zunächst den Angriff auf die ZEIT betrifft: Frommel lässt außer Acht, dass die Verantwortlichen, in Sonderheit Jana Simon und Annabel Wahba, schlicht und einfach im Recht waren. Eine "Verdachtsberichterstattung" ist den Medien prinzipiell erlaubt und kann geradezu ihre Aufgabe sein. Es hätte der Juristin in der "Hart aber fair"-Runde wohl angestanden, die Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs zu berücksichtigen, zumal Elisa Hoven, eine Kölner Strafrechtsprofessorin, sie wenige Tage zuvor in einem Meedia-Beitrag ("Einspruch, Herr Fischer!", 30.01.2018) für den Fall Wedel fruchtbar gemacht hatte. Das Urteil des BGH betont für die problematische Journalistik die "Wahrheitspflicht" und das Gebot der "pressemäßigen Sorgfalt", fügt aber sogleich an: Insoweit dürfen "die Anforderungen … nicht überspannt und insbesondere nicht so bemessen werden, dass darunter die Funktion der Meinungsfreiheit leidet. Straftaten gehören nämlich zum Zeitgeschehen, dessen Vermittlung zu den Aufgaben der Medien gehört. Dürfte die Presse, falls der Ruf einer Person gefährdet ist, nur solche Informationen verbreiten, deren Wahrheit im Zeitpunkt der Veröffentlichung bereits mit Sicherheit feststeht, so könnte sie ihre durch Art. 5 Abs. 1 des Grundgesetzes verfassungsrechtlich gewährleisteten Aufgaben bei der öffentlichen Meinungsbildung nicht durchweg erfüllen … Deshalb verdienen im Rahmen der gebotenen Abwägung zwischen dem Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen und dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit regelmäßig die aktuelle Berichterstattung und mithin das Informationsinteresse … den Vorrang" (NJW 2000, S. 1036 f.) – vorausgesetzt natürlich, dass die gebotene ("pressemäßige") Sorgfalt erfüllt ist.
Worauf es dafür ankommt, liegt auf der Hand: gründliche Recherche, Befragung auch des Beschuldigten, starke Verdachtsgründe bei objektiver Beurteilung. Unter dem strafrechtlichen Aspekt gewürdigt, anerkennt die BGH-Entscheidung, dass eine Verdachtsberichterstattung, die den Tatbestand der "Üblen Nachrede" (§ 186 StGB) erfüllt, unter bestimmten Voraussetzungen als "Wahrnehmung berechtigter Interessen" (§ 193 StGB) gerechtfertigt ist.
Das war Frommel anscheinend nicht klar. Sie greift das Vorgehen der ZEIT als empörend an, auch deshalb, weil trotz stärkster Verdachtsgründe der "Beweis" und die absolute Gewissheit fehlen. Aber abgesehen davon, dass es darauf für die Legalität einer Verdachtsberichterstattung nicht ankommt, würde uns nicht einmal ein Wedel’sches Geständnis eine absolute Gewissheit verschaffen. Problematisch und anfechtbar ist darum der (auch von anderen erhobene) Vorwurf, die ZEIT habe "unbewiesene" Anschuldigungen gegen Herrn Wedel publiziert und sich zu eigen gemacht. Man muss bedenken, dass gegebenenfalls Wedels Opfer zugleich die Zeugen seiner Straftaten sind. Weil Wedel keine Straftaten gesteht, konnte und kann man die Wahrheit nur über die Zeugenbefragung herausfinden. Die wurde im Rahmen der redaktionellen Recherchen gründlich betrieben und führte zur Überzeugung, dass die Aussagen wahr seien. Gründlicher hätten auch Staatsanwälte und Richter nicht ermitteln und sich am Ende eine Überzeugung bilden können. Von einer gerichtlichen Verurteilung des Angeklagten auf solcher Grundlage, d. h. auf Grund glaubwürdiger Zeugenaussagen, würde man wohl kaum sagen, sie beruhe auf "unbewiesenen Anschuldigungen". Gute Gründe und starke Indizien genügen, uns Überzeugungen und Beweise zu verschaffen. Im Grunde gilt das für alle Fragen, die uns das Leben stellt, z. B. für die Frage, wen ein Kind zum Vater hat.
Ein historischer Fortschritt
Frommel richtet ihren Angriff auch gegen die Zeuginnen als die Urheberinnen der ZEIT-Artikel und der für Wedel so schrecklichen Folgen. Sollten die Frauen, findet Monika Frommel, tatsächlich Anlass gehabt haben, sich über Herrn Dr. Wedel zu beschweren, dann war die ZEIT die falsche Adresse. Für Straftaten seien in ihrer Rollenaufteilung Polizei, Staatsanwaltschaft, Verteidigung und Gericht zuständig, und es gebe weitere "Institutionen", die bei Konflikten im Berufsleben für Genugtuung und Ausgleich sorgen. Auch hier lässt die Strafrechtsprofessorin die Rechtslage außer Acht. Angenommen, Dieter Wedel hat die behaupteten Straftaten tatsächlich begangen und die ZEIT hat keine Lügen verbreitet. Dann haben die Frauen durch die Bezichtigung Wedels ihr gutes Recht ausgeübt, so, wie die ZEIT mit ihrer Verdachtsberichterstattung. Und beide sind auch im Recht als Verursacher der schlimmen Folgen, die jetzt Wedel belasten. Frommel leidet mit ihm – "digitaler Pranger", "Scherbengericht", "mediales Todesurteil" – als dem wahren Opfer. Sie spricht von einem ihr unfassbaren "historischen Rückschritt", weil das Vorgehen der ZEIT gegen Wedel die Rollen von Ankläger und Richter im journalistischen Berichterstatter vereinigt und die Rolle des Verteidigers vernachlässigt habe.
Aber das muss man mit Entschiedenheit umkehren. Es ist ein historischer Fortschritt, dass ein Straftatopfer heute die Wahl hat, ob es Genugtuung vor Gericht sucht oder ob es sich an die "Vierte Gewalt" wendet. Den zweiten Weg zu gehen haben gerade nach sexuellen Übergriffen oder gar Vergewaltigungen die Opfer häufig die stärksten Gründe. Monika Frommel singt ein Loblied auf die Wahrheitsfindung im "geordneten Verfahren" der Justiz. Doch diese Verfahren treiben die betroffene Frau oft in die Verzweiflung. Sie ist das Opfer, sie kennt die objektive Wahrheit, sie weiß, dass der Beschuldigte ihr sexuelle Gewalt angetan hat. Aber ihre Aussage als Zeugin ist das einzige Beweismittel, dem der Täter und sein Anwalt die Verleugnung entgegensetzen, verbunden meist mit demütigenden Versuchen, die Glaubwürdigkeit der Zeugin zu erschüttern. Da steht nun, wie so viele auch in den Wedel-Fällen die Lage kennzeichnen, "Aussage gegen Aussage". Und jedermann weiß, dass "im Zweifel für den Angeklagten" zu entscheiden sei. Die Zeugin kennt die Tatsachen, hat also für sich eine objektiv zutreffende hundertprozentige Überzeugung, aber wenn beim Richter daran auch nur fünf Prozent fehlen, erleidet sie nach der Tat nun auch noch den höhnischen Triumph des Täters, der als ein Freigesprochener den Saal verlässt.
Die ARD-Sendung "Was Deutschland bewegt" (28. Mai 2018, 20.15 Uhr) hat die Not der Opfer sichtbar gemacht in wahrhaft bewegender, ja erschütternder Weise. Man erfuhr, dass nach einer EU-Studie von 2014 nur 15 % der Opfer sexueller Gewalt zur Polizei gehen. Viele Frauen haben Angst vor dem, was ihnen bei Behörden und vor Gericht zu widerfahren droht, wenn sie den oder die Täter anzeigen. Die Wahrheit kennend, müssen sie die staatliche Anzweifelung und die Verteidigerfragen, die sie unglaubwürdig machen sollen, als entwürdigend empfinden. Haben sie dennoch den Mut zur Anzeige, kann es bis zur Hauptverhandlung viele Monate dauern, was allemal dem Angeklagten zugutekommt.
Wedels Opfer, wenn es sie denn gibt, hatten diesen Mut nicht. Nun haben die meisten einen zusätzlichen und ganz banalen Grund, den anderen Weg zu gehen: die Verjährung der behaupteten Straftaten. Nach ihrem Eintritt verliert das Opfer ja keineswegs das Recht, den Täter öffentlich anzuklagen und sich so von einer Last zu befreien. Dies kann es dann nur über ein seinen Vorwurf publizierendes Medium erreichen. Und hier gelten eigene Regeln und Gebote. Zwar gibt es Ähnlichkeiten mit den Verfahren der Justiz (deren Ermittlungstätigkeit war für die ZEIT erklärtermaßen das Vorbild), aber natürlich arbeitet eine Zeitungsredaktion, wenn sie einem Straftatverdacht nachgeht, anders als ein Gericht – legaler- und legitimerweise! Am Ende kommt ja auch etwas anderes heraus. Keine Verfahrenseinstellung, kein Freispruch, keine rechtskräftige Verurteilung und Strafvollstreckung, sondern nur die Publizierung des Vorwurfs, wogegen der Betroffene – anders als bei einem rechtskräftigen Urteil – sich wehren kann.
Die Möglichkeit der Gegenwehr
Das berührt einen Punkt, den Frommel bei aller Redebegrenzung nicht hätte unbehandelt lassen dürfen: Dieter Wedel kann, wie einst Jörg Kachelmann, den Spieß umdrehen. Er kann Strafanträge stellen wegen "Übler Nachrede" bzw. "Verleumdung" (§§ 186, 187 StGB). Frommels Empörung erklärt sich mir daraus, dass sie die fraglichen Behauptungen zumindest bezweifelt, d. h. für möglich hält, Wedel sei unschuldig und Opfer einer Lügenkampagne. Ich kann diesen Zweifel nicht teilen, weiß aber, dass Frommel mit ihrer Verdächtigung der Anklägerinnen nicht allein steht. Ein Freund, der freilich die ZEIT-Artikel gar nicht gelesen hatte, belehrte mich im schönsten bergischen Platt: "Dat schmackt mech. Gezz, nach drissig Joar, da fällt den Mütterkes dat ien. Glüvs du denen dat?" Aber selbst wenn die "Mütterkes" objektiv die Wahrheit gesagt haben, war die Publizierung für sie nicht ganz ohne Risiko. Am oben dargelegten, medienspezifischen Rechtfertigungsgrund des "Verdachtsberichterstatters" haben sie keinen Anteil. Hätte Wedel, seine Unschuld beteuernd, Strafanträge gestellt, dann hätte die objektive Wahrheit und Nichtwiderlegbarkeit der Gewaltvorwürfe nicht genügt, den Anklägerinnen Straffreiheit zu garantieren. Nach § 186 StGB ist strafbar, "wer in Beziehung auf einen anderen eine Tatsache behauptet oder verbreitet, welche denselben verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen … geeignet ist …" Das haben die Frauen getan, und nur, wenn "diese Tatsache erweislich wahr ist", entfällt ihre Strafbarkeit. Im Beleidigungsprozess käme es also darauf an, ob es sich "erwiese", dass Wedel die behaupteten Straftaten begangen hat. Das hinge von der Beurteilung des Richters ab. Er müsste sich Klarheit verschaffen, ob die von ihm zu vernehmenden Zeuginnen die Wahrheit sprechen. Diese gerichtliche Klärung ist also trotz Verjährung der Delikte, die Wedel begangen haben soll, noch möglich. Warum hat Wedel sie nicht gewollt?
Allerdings hat er die ihm vorgeworfenen Straftaten ausnahmslos bestritten und schon damit in schwacher Weise den Vorwurf strafbarer Handlungen umgekehrt. Denn im Bestreiten liegt die Behauptung, dass die ihn bezichtigenden Frauen wissentlich lügen, und das wiederum bedeutet den Vorwurf der "Verleumdung", § 187 StGB: "Wer wider besseres Wissen in Beziehung auf einen anderen eine unwahre Tatsache behauptet oder verbreitet, welche denselben verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen … geeignet ist, wird … bestraft." Der den Frauen gemachte Vorwurf rechtswidriger und strafbarer Taten erstreckt sich aber auch auf die ZEIT. Denn wenn man Wedels Bestreiten in seiner Konsequenz ausformuliert, dann hält er u. a. Simon und Wahba vor: "Ihr habt bei eurer Verdachtsberichterstattung die unwahren Tatsachen, die mich verächtlich machen und herabwürdigen, zwar nicht wider besseres Wissen verbreitet, aber ihr habt sie verbreitet und damit den Tatbestand der 'Üblen Nachrede' (§ 186 StGB) verwirklicht. Auf einen Rechtfertigungsgrund könnt ihr euch bei aller Gutgläubigkeit nicht berufen, denn ihr habt die 'pressemäßige Sorgfalt' außer Acht gelassen. Lügen haben kurze Beine, und bei sorgfältiger Prüfung hättet ihr die Anschuldigungen als Lügen durchschaut." Das alles sagt Wedel nicht wörtlich, aber es steckt in seinem Bestreiten und in seinem Beteuern, "dass er jede Form von Gewalt verabscheue, gegen Frauen ebenso wie gegen Männer".
Einspruch, Herr Fischer!
Wie stellt sich nun dazu der zweite prominente ZEIT-Kritiker und Wedel-Beschützer, der Strafrechtsprofessor Thomas Fischer, ehemals Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof? Fischer, früher selbst ein stark beachteter ZEIT-Autor, hat in zwei außerordentlich langen MEEDIA-Beiträgen vom 29.1. und 8.3.2018 (die ZEIT hatte den Abdruck verweigert) die fraglichen Berichte entschieden missbilligt, ja regelrecht verrissen. Sie "fällen ein Urteil", sagt er, und nutzen dazu "Mittel der Suggestion und Verzeichnung, der Zirkelschlüssigkeit und der Denunziation". Er referiert und bewertet z. B. eine knappe, vollkommen sachliche und untertonfreie Mitteilung der ZEIT zu Wedels Aufenthalt im Krankenhaus wie folgt: Wedel, "so wird mit dem Unterton der Entrüstung berichtet, habe, statt sich der öffentlichen Vernehmung zu stellen, 'sich in ein Krankenhaus begeben'. Da tropft der Jagdeifer auf der Fährte des Verurteilten, der sich frecherweise der Vollstreckung entzieht. Nicht jeder, auch nicht jeder Verdächtige hält es aus, wenn das ganze Leben auf einen Schlag vernichtet wird". Kritisch fortschreitend in einem (mich) ermüdenden Dauerton der Ironie und des Sarkasmus befindet Fischer gegen Ende des zweiten Beitrags: "Das Tribunal, dessen vernichtendes Ergebnis allseits schon festzustehen scheint und das von der ZEIT-Redaktion sogar immer wieder als Voraussetzung (!) der Veröffentlichung genannt wird ('wir halten die Frauen für glaubhaft; deshalb berichten wir') ist auf Maßlosigkeit angelegt. Es … romantisiert die 'Aufdeckung' längst verjährter (angeblicher) Straftaten zum Dienst an einer besseren Welt." Um eine Freiheitsstrafe geht es nicht mehr, "sondern nur um die Enthüllung eines 'Systems'", und Wedel zahlt "mit seiner sozialen Vernichtung einen hohen Preis für die Demonstration des guten Gewissens von Redaktionen, die … einstweilen weiter über die wunderschönen Frauen auf den roten Teppichen der Welt berichten".
12 Kommentare
Kommentare
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Ich denke, dass die Darstellung des Falles „Wedel“ ein wenig zu kurz greift und den Sachverhalt ohne Berücksichtigung der besonderen Umstände gerade dieses Falles würdigt.
„Eine "Verdachtsberichterstattung" ist den Medien prinzipiell erlaubt und kann geradezu ihre Aufgabe sein.“
Grundsätzliche Zustimmung, doch müssen Medien den Einzelfall berücksichtigen. Es gibt genügend Fälle, in denen gerade im „kitzligen“ Bereich der Sexualstraftaten Existenzen oder zumindest Karrieren dauerhaft beschädigt wurden. Ich denke hier an die Fälle Kachelmann, Karl Dall und Andreas Türck. Entschädigten diese anschließend die Medien für ihre Form der Berichterstattung? Ich habe nichts gehört davon. Es gibt auch deutlich weniger prominente Fälle, in denen durch Falschaussagen Personen geschädigt wurden, teilweise auf eine Art, die gar nicht mehr zu heilen ist. D.h. nicht, dass Männer nicht auch Täter sein können, mir geht es um einen etwas sensibleren Umgang mit einer in jedem Fall unvermeidbaren medialen Vernichtung.
Es ist halt ein extrem schwieriges Gebiet – für Opfer und Täter sowie für alle den Fall im Nachhinein beurteilenden Institutionen -, ein Gebiet, in dem viel Schlimmes geschieht, das aber auch zahllose Missbrauchsmöglichkeiten für vermeintliche Opfer bietet. Daher ist aus meiner Sicht die Tendenz, dass man Opfer und (vermeintliche) Täter konsequent aus der Öffentlichkeit heraushält, um deren Privatsphäre zu schützen, geboten. Dies dient ja auch dem Opferschutz, wenn Frauen (oder auch betroffene Männer) ohne die Demütigung einer öffentlichen Verhandlung aussagen dürfen - psychologisch begleitet.
Wenn ein Autokonzern-Manager verdächtigt wird, etwas vom Dieselskandal gewusst zu haben oder ein Politiker, er sei korrupt, dann besteht in der Tat ein öffentliches Interesse, hier mittels Verdachtsberichterstattung Öffentlichkeit herzustellen. Warum aber auf einem Gebiet, das von seiner Natur her schon sehr schwer objektiv zu beurteilen ist und das die Gemüter massiv hochkochen lässt?
„Aber abgesehen davon, dass es darauf für die Legalität einer Verdachtsberichterstattung nicht ankommt, würde uns nicht einmal ein Wedel’sches Geständnis eine absolute Gewissheit verschaffen.“
Wenn die schiere Aussage einer Zeugin, die gleichzeitig das Opfer ist (oder vorgibt, eines zu sein), ausreicht, zum Schaden von Personen Bericht zu erstatten, dann würde doch ein Geständnis dreimal ausreichen, diese Geschichte abzurunden, zumal es absolute Gewissheit sowieso nicht geben kann.
„Angenommen, Dieter Wedel hat die behaupteten Straftaten tatsächlich begangen und die ZEIT hat keine Lügen verbreitet. Dann haben die Frauen durch die Bezichtigung Wedels ihr gutes Recht ausgeübt, so, wie die ZEIT mit ihrer Verdachtsberichterstattung.“
Spätestens an dieser Stelle muss zur Beurteilung des Vorgehens im Fall Wedel auch die Person Berücksichtigung finden. Die Schwierigkeit bei einer Urteilsfindung ist ja korrekt dargestellt. Doch welches ist das Strafmaß? Es ist eben nicht mehr so, dass man in Deutschland in alttestamentlicher Manier entweder freigesprochen oder zum Tode verurteilt wird. Gerichte sind aufgerufen, sehr differenziert ein Strafmaß zu verhängen, das vielerlei Ansprüchen genügen muss. Dabei steht auch im Blickfeld des Gerichts, die soziale Zukunft des Täters nicht unnötig zu gefährden. Was ist mit Resozialisierung im Fall eines Schuldspruchs? Der öffentliche Pranger verhängt bei Prominenten in Sexualstraffällen immer die Höchststrafe: u.U. lebenslanges Berufsverbot. Selbst im Fall eines gerichtlichen Freispruchs.
„Es ist ein historischer Fortschritt, dass ein Straftatopfer heute die Wahl hat, ob es Genugtuung vor Gericht sucht oder ob es sich an die "Vierte Gewalt" wendet.“
Hier stimme ich unumwunden zu, doch sollte hier mehr die Einzelfallprüfung im Mittelpunkt stehen. Oder die „Vierte Gewalt“ schließt – ähnlich wie Ärzte und Juristen – eine Berufshaftpflichtversicherung ab, aus der sie nachgewiesene Opfer ihrer Berichterstattung lebenslang alimentieren.
„Doch diese Verfahren treiben die betroffene Frau oft in die Verzweiflung. Sie ist das Opfer, sie kennt die objektive Wahrheit, sie weiß, dass der Beschuldigte ihr sexuelle Gewalt angetan hat.“
Wie muss sich ein Opfer fühlen, dessen (z.B.) Vergewaltigung Gegenstand öffentlicher Debatten wird – auf dem Titel der BILD-Zeitung? Ist das nicht demütigender? Oder basiert die Genugtuung, den (vermeintlichen) Täter an den Pranger gestellt zu haben, auf Rachegefühlen? Gefühlen also, die eine sich nicht mehr als Rachejustiz empfindenden Gerichtsbarkeit nicht (mehr) befriedigen kann?
Außerdem taucht hier ein Begriff auf, der m.M.n. falsch ist: objektive Wahrheit. Gerade bei Sexualhandlungen im weitesten Sinne ist Objektivität schwer herstellbar, selbst für die Betroffenen. Kein Paar, das sich zum Stelldichein trifft, geht vorher zum Notar, wo die Grenzen und Ziele der beabsichtigten sexuellen Handlung definiert werden. Und gerade im Bereich Sexualität gehen die Vorstellungen der Menschen weit auseinander, was legal, gewünscht, erhofft oder geduldet ist. Die Fantasie reicht aus, um sich die Bandbreite sexueller Praktiken vorzustellen, selbst wenn ich immer ein legales Alter und Freiwilligkeit voraussetze.
Außerdem können sich nach dem Akt Umstände ergeben, die die Eigenbeurteilung verändern. Lange Zeiträume und weitere Faktoren können hier ebenfalls zu massiven Veränderungen der „objektiven Wahrheit“ führen. Das ist Lebenswirklichkeit. Hinzu kommen - gerade im Filmgeschäft – gewisse Gepflogenheiten, die man gut oder schlecht finden mag, die aber Teil des „Geschäfts“ sind. Ich denke an die berühmte „Besetzungscouch“, gegen die man vor der „MeToo-Debatte“ nichts gehört hat. Ich will das auch ethisch gar nicht bewerten, aber solange sich z.B. Produzent oder Regisseur und künftige Schauspielerin einig waren, dass dies zum wechselseitigen Nutzen sei – und wenn die Äußerungen der Frau vom Mann so verstanden werden konnten -, dann wüsste ich kein Argument, das dagegen spräche.
Gerade im Fall Weinstein ist mir aufgefallen, dass viele Kommentatorinnen sich heutige Fotos des Mannes anschauen und sagen, mit dem würde doch keine Frau freiwillig ins Bett gehen. Dabei wird gerne vergessen, dass der Mann zum Zeitpunkt der behaupteten Vorkommnisse 25 bis 30 Jahre jünger war und durchaus gut aussah. Außerdem werden – ich kenne mich in der Branche aus – ab einem gewissen Promistatus Männer derart von Frauen belagert, dass sie eher das Problem haben, diese abzuwimmeln. Auch in der Musikszene ist dieses Phänomen bekannt. Die Notwendigkeit zu einer Vergewaltigung ist also gar nicht gegeben.
Eine Ausnahme mögen abartige sexuelle Wünsche der Männer sein, die ihre Lustbefriedigung im Quälen von Frauen suchen. Weinstein gehört meinem Kenntnisstand nach nicht zu diesem Typ Mann und ob Wedel dazu gehört, weiß ich nicht. Möglich ist das natürlich.
„Nun haben die meisten einen zusätzlichen und ganz banalen Grund, den anderen Weg zu gehen: die Verjährung der behaupteten Straftaten. Nach ihrem Eintritt verliert das Opfer ja keineswegs das Recht, den Täter öffentlich anzuklagen und sich so von einer Last zu befreien.“
Das halte ich für eine gewagte Aussage. Die Verjährungsfrist beträgt bei den angeklagten Straftaten 20 Jahre. Das ist ausreichend Zeit, es sich hundertmal anders zu überlegen und dann doch Strafanzeige zu stellen. Und hat man ab dem 21. Jahr tatsächlich noch eine halbwegs objektive Erinnerung an die Vorkommnisse? Diese Verjährungsfristen wurden ja nicht zum Spaß festgelegt. Der Gesetzgeber weiß auch, dass jedem das Gedächtnis einen Streich spielen kann, wenn Ereignisse lange zurückliegen. Außerdem - ich unterstelle mal gezielte Rachegefühle – wird es nach Ablauf der Verjährungsfrist kein Gerichtsurteil geben, wodurch auch der vermeintliche Täter nicht evtl. freigesprochen wird.
„... sondern nur die Publizierung des Vorwurfs, wogegen der Betroffene – anders als bei einem rechtskräftigen Urteil – sich wehren kann.“
Wie sollte dies bei einem Sexualstrafverfahren geschehen? Wie gut konnte sich Jörg Kachelmann selbst nach seinem juristischen Freispruch gegen seine öffentliche Demontage wehren gegen seine gezielte Ausgrenzung in den Medien?
„Dieter Wedel kann, wie einst Jörg Kachelmann, den Spieß umdrehen. Er kann Strafanträge stellen wegen "Übler Nachrede" bzw. "Verleumdung" (§§ 186, 187 StGB).“
Und was hätte er davon? Was hatte Jörg Kachelmann davon? Ist er wieder der beliebte Wetteronkel, der er vor den Anschuldigungen war? Gerade bei Prominenten ist es weltfremd anzunehmen, sie würden durch welche juristische Methode auch immer wieder in ihren alten Stand und in ihr altes Ansehen versetzt werden.
„Nach § 186 StGB ist strafbar, "wer in Beziehung auf einen anderen eine Tatsache behauptet oder verbreitet, welche denselben verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen … geeignet ist …"“
Dass Falschaussagen strafbar sind, hat keinen heilenden Effekt für das Opfer der üblen Nachrede. Ich denke hier auch an den Fall Andreas Türck, der auf Basis einer Falschaussage selbst nach seinem Freispruch acht Jahre ein Quasi-Berufsverbot als TV-Moderator bekam, mit entsprechendem Honorarausfall. Es ist einfach albern anzunehmen, Prominente könnten nach haltlosen Anschuldigungen einer Sexualstraftat in ihr altes Leben zurückkehren. Hätte Uli Hoeneß, statt Steuern zu hinterziehen, eine Frau sexuell belästigt (so dass er nach zwei Jahren wieder auf freien Fuß gesetzt worden wäre), dann wäre er jetzt kaum mehr Präsident von Bayern München.
„Natürlich hätte er dann auch dem Dr. Wedel geraten, zwecks Auferstehung aus der "sozialen Vernichtung" die Unrechtstaten manifest zu machen durch Strafanträge wegen "Verleumdung" und "Übler Nachrede".“
Was keinen Effekt gehabt hätte. Dies mag bei unbekannten Personen zu einer Genugtuung führen (weil deren Fälle auch nicht diese mediale Aufmerksamkeit erregen), aber Prominente haben keine Chance. Das sagt nichts darüber aus, ob Wedel gegen den erklärten Willen von Frauen Sex mit ihnen hatte oder nicht.
„Im Fall Kachelmann schwand die Glaubwürdigkeit der einzigen Anklägerin im Laufe der Ermittlungen, und es blieb am Ende der starke Verdacht, dass die Anschuldigung eine böswillige Lüge war.“
Mir geht es darum, gerade an diesem Fall zu zeigen, dass eine wie auch immer geartete „Reinwaschung“ eines prominenten Opfers (weil er nicht der Täter war) keinerlei heilenden Effekt hat. Kachelmann und Andreas Türck konnten ihr altes Leben nicht fortsetzen. Wenn Wedel die vorgeworfenen Taten begangen hat, dann soll er dafür büßen...
Klaus Müller am Permanenter Link
Man sollte auch nicht vergessen, dass die „Zeit“ mit der ganzen Geschichte eine Menge Geld verdient.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Etwas lang, lieber R. D. Herzberg, aber gut begründet - vielen Dank!
Ulf am Permanenter Link
Eins vorweg: Das Wort Verdachtsberichterstattung gehört für mich zum Anwärter auf das Unwort des Jahres.
Sehr geehrter Autor, ich habe mir ihre Argumentation erlesen und durchdacht, finde diese aber nicht überzeugend und kann dieser daher nicht zustimmen.
Eine Verdachtsberichterstattung eines solchen Mediums wie der Zeit mit klarer Seitenwahl und Suggestivvorverurteilung ist durch nichts zu rechtfertigen. Insgesamt gesehen überzeugt mich in diesem Fall die Kritik von Herrn Fischer.
Udo Endruscheit am Permanenter Link
Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie manche rechtlichen Begriffe, die einer bestimmten Sphäre zugehören, auf völlig andere Sphären angewandt werden, um eine gewünschte Argumentationsgrundlage zu schaffen.
Und ebenso erstaunt es mich, dass die Debatte um die ZEIT-Veröffentlichung von gestandenen Juraprofessoren mit dem Schlagwort der Unschuldsvermutung geführt wird. Denn das ist ein strafprozessual zu verortender Sammelbegriff für bestimmte rechtsstaatliche Prinzipien, die der Gewährleistung eines fairen ordentlichen Gerichtsverfahrens dienen sollen. Der Begriff selbst ist im Straf- und Strafprozessrecht nicht kodifiziert. Die Lehre zählt dazu - ohne Vollständigkeitsanspruch - wesentliche Elemente wie Verbot der Schuldantizipation, hohe Legitimationsanforderungen an die Untersuchungshaft, Selbstbelastungsfreiheit, den Grundsatz in dubio pro reo sowie die Sicherung eines fairen Verfahrens bei Vermögenseinziehung. In der Sphäre des Strafrechts, wohlgemerkt.
Danke deshalb an den Autor, dass er die vielfältigen Verflechtungen rechtlicher Natur, die ein Öffentlichmachen nicht justizanhängiger Vorwürfe mit sich bringt (bringen kann), jenseits des falschen Schlagwortes von der "Unschuldsvermutung" offenlegt. Hier gibt es - wie gezeigt - ein Wechselspiel von (möglichen) Reaktionen und Gegenreaktionen, aber keinen a-priori-"Maulkorb" namens Unschuldsvermutung. Auch nicht motiviert von Verständnis für die sozialen Folgen eines solchen Vorganges.
Atreo am Permanenter Link
Sehr geeherter Herr Endruscheit,
um es ganz kurz zu machen: warum?
Ist die Unschuldvermutung denn nicht etwas, dass wir auch im normalen Alltag anwenden und Wertschätzen? Wiso muss eine Zeitung in so einer Form berichten, wenn damit das komplette soziale leben (wie wir es bei Kachelmann gesehen haben) eines möglicherweise Unschuldigen zerstört wird?
Lars Temme am Permanenter Link
Herr Herzberg,
ein wesentlicher Zug der MeToo-Debatte ist es, dass die verschiedenen Parteien nicht einmal versuchen, die anderen zu verstehen. Sie bilden da keine Ausnahme. Sie schreiben u.a.:
"Gründlicher [als die ZEIT] hätten auch Staatsanwälte und Richter nicht ermitteln und sich am Ende eine Überzeugung bilden können."
Doch, Thomas Fischer hat in einem seiner Artikel genau das ausführlich erklärt; Sie zitieren ja sogar aus den entsprechenden Passagen! Als ehemaliger Bundesrichter dürfte er Ahnung davon haben, welche Fragen in einem Strafprozess zum Zweck der Wahrheitsfindung gestellt werden. Diese Fragen als "advokatorisch" abzutun, finde ich ziemlich billig. Zumal Sie selbst ja an anderer Stelle zugeben:
"Zwar gibt es [im Journalismus] Ähnlichkeiten mit den Verfahren der Justiz (deren Ermittlungstätigkeit war für die ZEIT erklärtermaßen das Vorbild), aber natürlich arbeitet eine Zeitungsredaktion, wenn sie einem Straftatverdacht nachgeht, anders als ein Gericht."
Ja was denn nun - ermitteln Journalisten so sorgfältig wie die Justiz oder nicht? Klare Antwort: Nein. Aber das scheinen Sie nicht sehen zu wollen.
Fischer hat sich in seinen Artikeln meines Erachtens nicht per se gegen die Verdachtsberichterstattung der ZEIT gestellt, sondern gegen den Tenor dieser Verdachtsberichterstattung, der eben nicht nur einen Verdacht aufwarf, sondern den Verdacht bereits für erwiesen hielt. Auch ich habe nichts gegen Verdachtsberichterstattung, aber sie muss Raum für die Unschuldsvermutung lassen, um einer vorschnellen Verurteilung des Beschuldigten durch die Öffentlichkeit vorzubeugen. Das ist im Fall Wedel gründlich misslungen. Ihr Artikel ist ein trauriger Beleg dafür. "Das [die Tatvorwürfe] glaubten ebenso fast alle Leser. Das Ganze für böswillig "erstunken und erlogen" zu halten, kam nach der Lektüre für kaum jemanden ernstlich in Betracht"- für Sie anscheinend ebenfalls nicht.
Haben Sie sich eigentlich einmal die Frage gestellt, was ist, wenn Dieter Wedel eben doch unschulig ist? Wie macht die ZEIT den angerichteten Schaden dann wieder gut? Antwort: Gar nicht, denn der Schaden ist nicht wieder gutzumachen. Dass dem so ist, sieht man an Jörg Kachelmann. Eben das ist aber der Grund, warum man mit seinem Urteil zurückhaltend sein sollte. Die ZEIT, und Sie auch.
Damit wir uns nicht missverstehen: Ich will Ihnen nicht das Recht abstreiten, die Vorwürfe für plausibel zu halten und dass auch kundzutun. Aber wenn Sie argumentieren "Weil Wedel keine Straftaten gesteht, konnte und kann man die Wahrheit nur über die Zeugenbefragung herausfinden" möchte ich Sie einmal mit einer Passage aus dem bekannten Theaterstück "Hexenjagd" von Arthur Miller konfrontieren. Ich zitiere sinngemäß und aus dem Gedächtnis: "Hexerei ist, ihrem Wesen nach, ein unsichtbares Verbrechen. Wer aber kann bei einem solchen Verbrechen Zeuge sein? Die Hexe - und das Opfer. Da wir aber kaum erwarten können, dass sich die Hexe selbst belastet, sind wir bei unseren Ermittlungen ganz auf die Aussagen des Opfers angewiesen." Ersetzen Sie den Begriff "Hexerei" durch "Vergewaltigung", und Sie beginnen vielleicht zu begreifen, warum Monika Frommel die Haltung der ZEIT als "historischen Rückschritt" ansieht.
Wenn Ihnen das nicht reicht, möchte Ich Sie auffordern, einmal zu überlegen, was Sie selbst verlangen würden, wie Journalisten bzw. die Öffentlichkeit vorzugehen hätten, wenn SIE von derartigen Vorwürfen betroffen wären - seine Sie nun schuldig oder nicht. Wägen Sie das anschließend ab gegen Ihre Erwartungen, wie Journalisten bzw. die Öffentlichkeit vorgehen sollten, wenn Sie selbst derartige Vorwürfe erhöben, als Opfer einer Straftat, aber möglicherweise auch als Falschbeschuldiger, und Sie sind einen großen Schritt weiter auf dem Weg zu der differenzierten Debatte, die Sie selbst zwar fordern, aber nicht im Ansatz einleiten.
Gruß
Lars Temme
Stefan am Permanenter Link
Sie schreiben:
d.h. wir sollten in Zukunft die Aufgaben von Staatsanwälte und Richter auf Journalisten übertragen - sind billiger und kommen wie dieser Fall zeig auch viel schneller zu einem Urteil. Gott sei Dank müssen die sich auch nicht um den Grundsatz scheren "In Zweifel für den Angeklagten". Schöne neue Medienwelt.
Gabriele Wruck am Permanenter Link
Allen, die den betroffenen Frauen hier potentiell eine Falschbeschuldigung unterstellen, sei gesagt, dass sie damit genau das betreiben, wovor sie die scheinbar ja schon als Falschbeschuldigungsopfer ausgemachten Wede
Wenn jemand aus Mangel an Beweisen nicht verurteilt wird, bedeutet das keineswegs automatisch, dass die Anschuldigung nicht ihren Grund hatte.
Der Beschuldigte ist vom Staat nicht als Täter zu behandeln. Klare Sache.
Dennoch sagt das Opfer einer Tat, die nicht bewiesen werden konnte, deshalb noch lange nicht zwangsläufig die Unwahrheit.
Inwiefern es mit Humanismus zu tun hat, einem Menschen bei Strafandrohung zu verbieten, über etwas Schreckliches, das ihm widerfahren ist, zu sprechen, nur weil er es vor Gericht nicht beweisen konnte/kann, würde ich gern wissen.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
"Allen, die den betroffenen Frauen hier potentiell eine Falschbeschuldigung unterstellen, sei gesagt, dass sie damit genau das betreiben, wovor sie die scheinbar ja schon als Falschbeschuldigungsopfer ausgemachte
ls und Kachelmanns dieser Welt beschützen möchten: Sie unterstellen den Frauen eine Straftat, die sie (im Übrigen mit viel größerer Wahrscheinlichkeit als umgekehrt) nicht begangen haben."
Einspruch! Ich unterstelle weder Frauen pauschal, Falschbeschuldigungen zu verbreiten, noch Männern, dass sie Sexstraftäter wären. Die Wahrscheinlichkeiten sind vermutlich auf beiden Seiten ähnlich verteilt, aber selbst dies wäre kein Argument.
Und dass ein Herr Kachelmann im Vorfeld hätte geschützt werden müssen, ist ja inzwischen aktenkundig. Geholfen hat ihm das nichts. Seine Falschbeschuldigerin kann sich ins Fäustchen lachen, denn sie hat ihm heftig eins ausgewischt.
"Wenn jemand aus Mangel an Beweisen nicht verurteilt wird, bedeutet das keineswegs automatisch, dass die Anschuldigung nicht ihren Grund hatte."
Auch das wird niemand ernsthaft bestreiten. Doch wir haben gewisse Errungenschaften in unserem Rechtsstaat, die leider im Einzelfall nicht zu einer Gerechtigkeit führen, sondern bei denen "nur" Recht gesprochen wird. Wer indes Männern pauschal unterstellt, sie seien Sexmonster, begeht den gleichen Fehler, wie solche, die Frauen pauschal unterstellen, falsch zu beschuldigen. Da aber beides möglich ist, ist höchste Sensibilität im prozessualen Vorgehen notwendig. Eine Verdachtsberichterstattung verbietet sich daher im speziellen Bereich des Sexualstrafrechts.
"Der Beschuldigte ist vom Staat nicht als Täter zu behandeln. Klare Sache.
Dennoch sagt das Opfer einer Tat, die nicht bewiesen werden konnte, deshalb noch lange nicht zwangsläufig die Unwahrheit."
Das stimmt und tut dem Opfer natürlich weh. Ich habe auch schon Prozesse verloren, weil ich nicht gerichtsfest beweisen konnte, dass mir z.B. ein bestimmter Anspruch zusteht. Das tut immer weh, aus eigener Sicht ungerecht behandelt zu werden. Aber ich musste das runterschlucken, weil ich darauf hoffen darf, dass jeder diese Probleme haben kann.
"Inwiefern es mit Humanismus zu tun hat, einem Menschen bei Strafandrohung zu verbieten, über etwas Schreckliches, das ihm widerfahren ist, zu sprechen, nur weil er es vor Gericht nicht beweisen konnte/kann, würde ich gern wissen."
Wenn das dieser Person wirklich widerfahren ist, dann sehe ich darin höchstens Gründe des Schutzes der Persönlichkeit, die eine uneingeschränkte Veröffentlichung verbieten. Denn auch Täter sind Menschen, selbst Mörder. Wir können jeden Gedanken an Resozialisierung aufgeben, wenn wir Menschen lebenslang an den Pranger stellen. Wir alle kennen doch aus den Medien die hysterischen Reaktionen der Nachbarschaft, wenn herauskommt, dass ein verurteilter Sexualstraftäter, der seine Strafe verbüßt hat, in ihrer Nähe wohnt.
Aber es gibt eben auch nachgewiesenermaßen Fälle, in denen Frauen Männer - aus welchem Grund auch immer - falsch beschuldigten. D.h. es gibt eine gewisse Unsicherheit, ob die Taten auch wirklich so begangen wurden, wie vom Opfer behauptet. Und wenn diese Taten mehr als 20 Jahre zurückliegen, dann kann sich die Erinnerung so verschoben haben, dass das Opfer selbst glaubt, dass es missbraucht oder belästigt wurde.
Für mich ist Humanismus eine ethische Lebensweise, die Leid vermindert und nicht zusätzliches Leid produziert. Da die Verdachtsberichterstattung aber zusätzliches Leid produzieren KANN - und im Fall einer inhaltlich zutreffenden Berichterstattung aber kein Leid mindert (die Tat und die schrecklichen Erinnerungen werden ja nicht vom Opfer weggenommen, sondern eher neu befeuert) - bleibt für mich unter dem Strich eine Steigerung des Leids.
Versuchen Sie sich einmal in eine Person wie Andreas Türck hineinzuversetzen. Gerade noch war er ein beliebter, sympathischer Talkshow-Moderator und von einem Tag auf den anderen wird er aus der Bahn geworfen, bekommt acht Jahre lang keinen Fuß auf dem Boden, von enormen finanziellen Einbußen ganz abgesehen, nur weil eine Frau meinte, ihn falsch beschuldigen zu dürfen. Ich weiß nicht, welche Strafe die Frau dafür bekommen hat, aber sie hat ein Leben, eine Karriere zerstört. Ich selbst wurde - mit weitaus geringeren Konsequenzen - an einen Internet-Pranger gestellt und als schlechter Chef beschuldigt, weil ich einer Mitarbeiterin eine sexuelle Affäre verweigerte. Ein Humanist kämpft dafür, dass so etwas nicht geschieht.
Einem möglichen Opfer steht ja auch in meinem Weltbild der Gang zum Gericht offen. Das würde ja durch eine Einschränkung der Verdachtsberichterstattung keineswegs geschmälert. Natürlich ist dort die Hürde, eine Verurteilung durchzusetzen, höher, als in der Presse, die im Zweifel immer auf ihre Verkaufszahlen schauen muss. Es mag auch sein, dass das Gericht sich außerstande sieht, eine Verurteilung auszusprechen oder das Strafmaß ist zu gering. Das ist das, was wir in einem Rechtsstaat zu schlucken haben, so weh das tun mag. Ich als Humanist möchte nicht in die Zeiten einer Rachejustiz zurückfallen, in der es Willkür und gute Kontakte zur Presse leicht machen, gezielt Existenzen zu vernichten...
Trakiturnus am Permanenter Link
Ein kleiner Versuch der Erhellung
Wenn eine Frau tatsächlich so behandelt worden ist, wie das hier von
Frau Esther Gemsch zitierte, und die Frau dann sagen wir eine
Woche später wieder unter und mit ihrem Vorgesetzten und Peiniger
8 Stunden am Tag arbeitet, dann gibt Sie m.E. ihrem Peiniger und Vorgesetzten damit zu verstehen, dass er berechtigt war(ist) so zu handeln.
Und Sie muss ja damit rechnen, dass diese äußert bedrohliche Attacke, kein Einzelfall bleibt.
Hier scheint mir eine Mischung von Hyper-Ergeiz-Geltungs-Ruhm-
Gewinnsucht, Gefallen an der Ohnmacht b.z.w. dem Absoluten,
den Herrn über Ihr Leben und Sterben(Gottersatz/Guru) und somit
ein enorm moralisches Minderwertigkeitsgefühl vorhanden zu sein.
Gruselig, allein, sich das vorzustellen.
Eine wahrhaft armselige bedauernswerte Frau, wenn sie denn unter dieser Person weiter gearbeitet haben sollte, und vorausgesetzt
dass es so geschehen ist.
Es ist eben keine Seltenheit, dass z.B. Männer ihre Ehefrauen wie ein
Putzlappen behandeln, diese ihnen aber weiterhin völlig ergeben bleiben,
weit mehr als die Frauen eines herzlich liebevollen Mannes. ----
Ansonsten Sinnspruch: "Verwandtschaft, Volk und sonstige
Unternehmen
werden mehr durch Verschweigen
zusammengehalten
als durch reden/offenbaren,
d.h. auch: mehr durch Lüge
als durch Wahrheit."
Trakiturnus
In Dubio Pro Reo am Permanenter Link
Lieber Herr Herzberg, darf ich Ihren Beitrag auf ein paar wenige Zitate reduzieren?
>Beide meinen, dass die Vorwürfe gegen den Regisseur Dieter Wedel "unbewiesen" seien
>die ZEIT hätte die "unbewiesenen Anschuldigungen" nicht publizieren dürfen.
>Problematisch und anfechtbar ist darum der (auch von anderen erhobene) Vorwurf, die ZEIT habe "unbewiesene" Anschuldigungen gegen Herrn Wedel publiziert und sich zu eigen gemacht.
>Man muss bedenken, dass gegebenenfalls Wedels Opfer zugleich die Zeugen seiner Straftaten sind.
>Sie greift das Vorgehen der ZEIT als empörend an, auch deshalb, weil trotz stärkster Verdachtsgründe der "Beweis" und die absolute Gewissheit fehlen.
>Angenommen, Dieter Wedel hat die behaupteten Straftaten tatsächlich begangen und die ZEIT hat keine Lügen verbreitet.
>Also mussten sie davon ausgehen, dass die Frauen, als Opfer Wedel'scher Gewalt, ihrerseits schweres Leid erfahren haben und Wedel das "Prangerleid", das er nun erfährt, durch seine Übeltaten selbst verschuldet hat.
Merken Sie was? ALLES an Ihrem Artikel impliziert, dass Wedel schuldig ist, obwohl der Beweis dafür, auch wenn Sie noch so oft das Gegenteil behaupten, fehlt. Alles ist nur aus der Sicht geschrieben für den fall, dass er schuldig ist, alles, was dies infrage stellt, wird hingegen runtergemacht. Bezeichnend dafür, wie sich die Wahrheit hier zurechtgelegt wird, sind auch Zitate wie "Gute Gründe und starke Indizien genügen, uns Überzeugungen und Beweise zu verschaffen." Was soll das denn heißen? Gute Grunde und starke Indizien genügen also, und die Beweise werden schon folgen, obwohl sie bislang fehlen? Auch das ist ganz klar Voreingenommenheit. Haben Sie schon mal die "Die 12 Geschworenen" gesehen als gutes Beispiel, wie starke Indizien am Ende dennoch nicht zur Verurteilung reichen?
Und damit sind Sie genau auf demselben Niveau wie die Zeit, der Herr Fischer genau diese manipulative, suggestive Berichterstattung vorwarf. Hätten Sie seine Artikel zum Thema sorgfältiger gelesen und vor allem verstanden, hätte das die Hälfte Ihres Aufsatzes obsolet gemacht. Bezeichnend schon, dass Sie Wörter wie "unschuldig" und "Beweis" stets in Anführungszeichen setzten. Schon das sagt einiges darüber aus, wie weit es bei Ihnen mit Unschuldsvermutung und In Dubio Pro Reo offensichtlich her ist.
Und ob diese Form der Berichterstattung wirklich so legal und unproblematisch ist, auch das haben nicht Sie, sondern Gerichte zu entscheiden. Herr Kachelmann hat gegen falsche und ungerechtfertigte Berichterstattung zu seinem Fall immer wieder juristische Siege eingeholt, und genau dieses Durchhaltevermögen wünsche ich Herrn Wedel auch - egal, ob er nun schuldig ist oder nicht, denn im Gegensatz zu Ihnen und der ZEIT lasse ich darüber die Gerichte entscheiden.