"Pius XII. war ein Feigling"

Als in der Reichstagswahl im November 1932 die „Nazis“ 34 Sitze verloren und die Kommunisten 11 dazugewannen, wuchs vor allem in der katholischen Partei die Angst vor einer kommunistischen Revolution. Bereits ein Jahr vor der Machtübernahme durch die „Nazis“, also 1932, hatte Kaas sich zum Befürworter einer Regierung unter Führung von Hitler erklärt. Als das Ermächtigungsgesetz zur Debatte stand, übte Pacelli Druck auf Kaas aus, damit das Zentrum diesem zustimmte. Der Tag der Abstimmung, der 24. März 1933, markiert die Aufhebung der Demokratie und ebnet zugleich den Weg für das Konkordat. Am 18. Mai 1933 wurden Bischof Wilhelm Berning von Osnabrück und Erzbischof Conrad Gröber von Freiburg von Pius XI. und Pacelli empfangen. Pacelli teilte ihnen mit, dass die deutschen Bischöfe eine einheitliche, d.h. eine positive Meinung zum Konkordat verkünden sollten. Am 5. Juli 1933 wurde die Zentrumspartei formal aufgelöst, wenige Tage später wurde das Konkordat unterzeichnet.

Mit dem Konkordat schob Pacelli die deutschen Bischöfe und die deutschen Katholiken in die Arme der Nazis. Nehmen Sie den Brief von Michael Buchberger, dem Bischof von Regensburg, den er bereits am 3. Juli 1933 an den Führer sandte: „Wir sind bereit, voll guten Willens und Loyalität mit Ihrer Exzellenz für den Wiederaufbau unserer Heimat zusammenzuarbeiten, das heißt für die geistige und moralische Gleichschaltung des gesamten deutschen Volkes auf christlicher und patriotischer Basis.“ (Quelle: Volk Ludwig, Akten Kardinal Michael von Faulhabers 1917-1945, Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte A 17, Matthias-Grünewald-Verlag, Mainz, 1975, nr. 330a, Anlage zu Nr. 330: Buchberger an Hitler, S. 747.) Bemerkenswert ist, dass dieser Bischof das Wort Gleichschaltung gebrauchte, einen Begriff, der die Maßnahmen bezeichnete, mit denen die „Nazis“ Deutschland in eine totalitäre Diktatur verwandelten.

Auch Kardinal Bertram sandte als Vorsitzender der Bischofskonferenz von Fulda am 22. Juli 1933 einen Brief des Dankes an den Führer. Darin schrieb er, dass die Kirche bereitwillig mit dem Regime zusammenarbeiten würde. (Quelle: Dankschreiben des Vorsitzenden der Fuldaer Bishofskonferenzen, Adolf Kardinal Bertram, an Reichskanzler Hitler zum Abschluss des Reichskonkordats, 22. Juli 1933 in Gruber Hubert, Katholische Kirche und Nationalsozialismus 1930-1945, Schöningh, 2006, S. 110.) Allerdings gab es einen einzigen deutschen Bischof, der zuvor seine Vorbehalte zum Ausdruck gebracht hatte. In einem Schreiben vom 3. Juli 1933 an Pacelli fragte Preysing, ob „ein Konkordat wohl noch möglich ist“ in einer Zeit der völligen Willkür und Unterwerfung unter die Interessen des Vaterlandes. Diese kritische Sicht war richtig.

Der größte Fehler Pacellis war der Abschluss einer Vereinbarung mit einem Regime, das nicht länger den Rechtsstaat verteidigte. Seine Anhänger betonen immer wieder, dass der spätere Papst in guter Absicht gehandelt habe und der Text – zumindest auf dem Papier – besonders günstig für die Kirche war. Aber an wen sollte man sich wenden, wenn die Vereinbarung durch eine der beiden Parteien nicht eingehalten wurde? An die deutsche Regierung? An ein Gericht? An eine internationale Organisation? Pacelli hatte mit seinem Konkordat die deutsche Kirche faktisch aus der Hand gegeben und seine Unterschrift unter eine Reihe Abmachungen gesetzt, deren Einhaltung niemand zusichern konnte. Eine solche Haltung – zu einer Zeit, in der in Deutschland schon viele Verbrechen begangen worden waren und Gesetzlosigkeit eine alltägliche Erscheinung war, zeugte nicht nur von Naivität, sondern auch von Ignoranz, Mangel an Einfühlungsvermögen und sogar von Komplizenschaft.
 

Mit Ausbruch des Krieges steht der Vatikan vor einem Problem: Hitler-Deutschland überfällt ein katholisches Land, verübt massive Verbrechen an der Zivilbevölkerung und schont auch den polnischen Klerus nicht. Wie reagiert der Vatikan?

Mit dem Überfall auf Polen ging Hitler eigentlich ein großes Risiko ein, denn die Grundlage seiner Vereinbarung mit dem Vatikan war gerade seine unerbittliche Einstellung gegen den Bolschewismus. Da er durch den Molotow-Ribbentrop-Pakt gemeinsam mit der Sowjetunion das katholische Polen aufteilte, drohte die Gefahr, dass der Papst und die katholischen Bischöfe den deutschen Angriff auf Polen missbilligen würden. Doch sie taten es nicht.

Die deutschen katholischen Kirchenführer hießen diesen einseitigen und unangekündigten kriegerischen Akt sogar gut, trotz der Tatsache, dass Zehntausende katholischer Polen, darunter Hunderte von Priestern ermordet wurden. In einem gemeinsamen Hirtenbrief an die deutschen Soldaten erklärten sie: „In dieser entscheidungsvollen Stunde ermuntern und ermahnen wir unsere katholischen Soldaten, in Gehorsam gegen den Führer, opferwillig unter Hingabe ihrer ganzen Persönlichkeit ihre Pflicht zu tun. Das gläubige Volk rufen wir auf zu heißem Gebet, dass Gottes Vorsehung den ausgebrochenen Krieg zu einem für Vaterland und Volk segensreichen Erfolg und Frieden führen möge.“

Der Bischof von Hildesheim, Joseph Godehard Machens, peitschte die Gläubigen seiner Diözese sogar noch zusätzlich an: „Ein Krieg ist ausgebrochen, der uns alle, Heimat und Front, Wehrmacht und Zivilbevölkerung, vor die gewaltigsten Aufgaben stellt. Darum rufe ich Euch auf: Erfüllt Eure Pflicht gegen Führer, Volk und Vaterland! Erfüllt sie im Felde und daheim! Erfüllt sie, wenn es sein muss, unter Einsatz der ganzen Persönlichkeit!“ Sein Kollege Conrad Gröber, Erzbischof von Freiburg, sprach von der Pflicht eines jeden deutschen Soldaten sein Leben, wenn nötig, zu opfern. „Dienst aus Pflicht, vor Gott übernommen durch einen Eid; der Tod sei letzte Hingabe an Vaterland und Volk. Soldatentod ist damit Opfertod, Opfertod ist Heldentod. Heldentod ist ehrenvoller Tod.“ Einige Tage nach dem Sieg am 30. September 1939 ließen die deutschen und österreichischen Bischöfe alle Kirchenglocken für den Sieg des Deutschen Reiches über Polen läuten, obwohl viele katholische Soldaten wie auch Zivilisten und Juden getötet worden waren.

Auch der Papst protestierte nicht, trotz der wiederholten Aufforderungen der Alliierten an den Heiligen Stuhl – vor allem seitens Frankreichs und der polnischen Exilregierung –, die Aggression der Deutschen und der Sowjets zu verurteilen. Aus einem Bericht von Diego von Bergen, dem deutschen Botschafter beim Heiligen Stuhl, an das Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten geht hervor, dass der Papst es bewusst ablehnte, den Angriff zu verurteilen. Die Mitteilung vom 7. September 1939 lautet: „Die Weigerung des Papstes, eine Position gegen Deutschland einzunehmen, steht ganz im Einklang mit den Zusicherungen, die er mir in den letzten Wochen vermittels eines Vertrauensmannes wiederholt hat zukommen lassen.“ Der polnische Kardinal August Hlond, der nach Rom geflohen war, bat den Papst am 21. September 1939, die Invasion der Deutschen und der Sowjets zu verurteilen. Doch Pius XII. tat es nicht. Am 30. September 1939 empfing er eine Gruppe von polnischen Flüchtlingen, darunter auch Kardinal Hlond. Sie waren sehr enttäuscht, dass der Papst den deutschen Überfall auf ihr Land nicht verurteilte. Er drückte lediglich sein Vertrauen in die mögliche „Wiedergeburt“ Polens aus.

Der Papst protestierte nicht öffentlich, sondern wählte die stille diplomatische Intervention, insbesondere durch Nuntius Orsenigo in Berlin.
 

Der Überfall auf die Sowjetunion markiert den Übergang zur systematischen Ermordung der jüdischen Bevölkerung in den von der Wehrmacht besetzten Gebieten. Lässt sich sagen, zu welchem Zeitpunkt der Vatikan davon erfuhr?

Es gab eine bemerkenswerte Richtlinie von Kardinal Faulhaber vom 25. November 1941, wie Protest gegen die deutsche Regierung formuliert werden sollten, wenn die Interessen der Kirche beschädigt oder die Rechte der deutschen Bevölkerung beeinträchtigt würden. Pastoralbriefe sollten keine Aussagen enthalten, welche das Ansehen des Volkes oder der Regierung schädigen könnten. Faulhaber fügte in Klammern einige Beispiele an: „(jüdische Frage, Behandlung der russischen Kriegsgefangenen, SS-Gräueltaten in Russland etc.)“. Diese Punkte in Klammern, die der Brief erwähnt, sind von besonderem Interesse. Sie beweisen, dass Kardinal Faulhaber und durch seinen Brief alle deutschen Bischöfe bereits im November 1941 Kenntnis von den Gräueltaten an der Ostfront hatten. Der Kardinal benutzt das Wort „Judenfrage“, das seit dem Aufstieg der Nazis eine sehr negative Bedeutung hatte, und durch Hitler selbst in seinem Buch „Mein Kampf“, dort, wo er von der „Lösung der Judenfrage“ spricht, verwendet wurde. Aber vor allem die Worte „Gräuel der SS in Russland“ sind von besonderer Bedeutung. Dies kann sich nur auf die Mordsucht der Waffen-SS, sowohl an der Front als auch hinter den Linien, beziehen und auf die berüchtigten Einsatzgruppen, die im Windschatten der Wehrmacht alle russischen Kommissare und Juden umbrachten. Das schreckliche Wissen Faulhabers war mit hoher Wahrscheinlichkeit auch im Vatikan bekannt.
 

Wie hat Pius XII. reagiert?

Der Papst reagierte gar nicht, obwohl er sich über die Massaker im Osten bewusst gewesen sein muss. Sie können das in den Actes et Documents nachlesen. Am 28. Juli 1942 schickte Nuntius Orsenigo aus Berlin ein Telegramm an den Vatikan mit dem Text: „La situation des Juifs est encore aggrevée; on parle de massacres“ („Die Situation der Juden hat sich noch verschlechtert, man spricht von Massakern“, ADSS 438). Am 31. August 1942 sendet der ukrainische Kardinal Szeptyckyi ein Telegramm an den Papst mit dem folgenden Text: „Le nombre des Juifs tués dans notre petit pays a certainement dépassé deux cent mille.“ („Die Zahl der getöteten Juden hat in unserem kleinen Land sicherlich zweihunderttausend überschritten.“, ADSS 406).