Missionierung

"Gott isch ma unterku"

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Infostand auf dem Dornbirner Marktplatz. Passanten wurden zu einem Gespräch und warmem Tee eingeladen.
Infostand auf dem Dornbirner Marktplatz

Die Bedeutung der Kirchen in Österreich erodiert immer weiter. Um neue Mitglieder zu gewinnen, wurde im westlichsten Bundesland Vorarlberg die Kampagne "Gott isch ma unterku" gestartet. Sie wird von aggressiver Werbung und einem professionellen Online-Auftritt flankiert. Unterstützt wird "Gott isch ma unterku" (Ich habe [zufällig] von Gott erfahren) von mehreren christlichen Konfessionen und Organisationen.

Um den Lokalpatriotismus der Vorarlberger anzusprechen, eignet sich besonders die Ansprache in deren Dialekt. Das Vorarlbergisch ist eine Mischung aus Schweizerdeutsch, dem österreichischen Standarddeutsch und einigen schwäbischen und bayerischen Einflüssen. Daher wird die Kampagne mit "Gott isch ma unterku" beworben.

Einige bannergroße und viele eher unauffällige Plakate hängen seit dem 20. Oktober an Gebäuden, Laternenmasten und an Bushaltestellen im gesamten Ländle. Im Internet werden bei Instagram und YouTube eigene Kanäle betrieben. Auf dem YouTube-Kanal finden sich Videos, die Jesu Wirken und seinen positiven, lebensverändernden Einfluss auf mehrere Vorarlberger Familien und Personen zeigen. Diese Menschen schildern ihre persönliche Hoffnungsgeschichte mit Gott in Interview-Form.

In anderen Clips werden Szenen aus "The Chosen" zusammengeschnitten und damit auf Jesu Barmherzigkeit und Opferbereitschaft hingewiesen.

Die Videos sind hochwertig produziert, in weichen Farben und Konturen aufgenommen und mit dramatischer Musik untermalt. Die erzeugten Medien wurden von Dive In, Alpha Österreich, Freikirchen in Österreich und dem Campus für Christus Österreich produziert. Der Internetauftritt wird von verschiedenen christlichen Organisationen und Konfessionen unterstützt. Auch die katholische Kirche macht auf ihrer Website fleißig Werbung.

Foto: © Peter Jaglo
Plakate mit den Protagonisten der Video-Clips, Foto: © Peter Jaglo

Der gesamte Social-Media-Auftritt führt über den Hashtag "Gott isch ma unterku" auf die Webseite gottkennen.at. Hier kann eine kostenlose Bibel bestellt werden. Diese wird beworben als "Das meistverkaufte Buch der Welt". Laut dem Weltbund der Bibelgesellschaften (United Bible Societies – UBS) wurden 2023 weltweit rund 152 Millionen gedruckte biblische Schriften verteilt. Diese spezielle Bibel bietet ausgewählte Bibeltexte in moderner Übersetzung und will die Beziehung zwischen Mensch und Gott zeigen.

Zusätzlich werden Events beworben und eine Anleitung gezeigt, wie der Privatmensch noch mehr Werbung für "Gott isch ma unterku" machen kann. Besonders geeignet ist die Nutzung des eigenen Signal- und WhatsApp-Profils. Hierfür wird ein Bild-Generator bereitgestellt.

Nachdem ich einige Videos angesehen hatte, wollte ich mehr über die Macher erfahren.

Ein Selbstversuch am Infostand

An einem kühlen Samstagmorgen stapfen die Besucher über den gefüllten Dornbirner Marktplatz. Zwischen den geschäftigen Tätigkeiten an den Marktständen steht etwas abseits der Kirche ein kleines, unscheinbares Zelt. Davor warten vier Personen, alle dick gegen die Kälte geschützt.

Hier treffe ich einen der Interviewten. Gemeinsam mit seinen Mitstreitern lädt er vorbeihuschende Passanten zu einem Gespräch und warmem Tee ein. Die meisten Leute, egal ob in Eile oder nicht, verweilen für den Bruchteil einer Sekunde. Sie lassen die Frage sacken, reflektieren die Einladung "Gott kennenzulernen" und mehr über dessen angebliches Wirken zu erfahren. Mit freundlichen Worten verabschieden sich meine Mitbürgerinnen und Mitbürger und streben weiter zu ihrem eigentlichen Zielort. Auch die kostenlosen Kugelschreiber, Bierdeckel und Infomaterial wirken uninteressant.

Ich verbleibe für circa eine halbe Stunde und lasse mich auf das Angebot ein. Der freundliche Mann beginnt das Gespräch mit mir. Mein eloquenter, sympathischer Gesprächspartner erzählt mir von seinem Weg zu Gott. Als ehemaliger Atheist habe er sich mit Sinnfragen konfrontiert gesehen. Seine Lebenspartnerin und er lasen die Bibel und fanden sich in den Inhalten wieder. Nach der intensiven Lektüre sei er überzeugter Anhänger Jesu Christi und gleichzeitig der Institution Kirche gegenüber kritisch eingestellt. Er kritisiert die katholische Kirche und deren Interpretation der Bibel. Er prangert das Machtstreben der großen christlichen Organisationen an. Unser Gespräch entwickelt sich in eine andere Richtung: Wir reden über Nachwuchs, unsere Vorfahren, die Menschheitsgeschichte im Allgemeinen. Auch über Science Fiction und Gottes Beitrag zu Star Trek, Star Wars und anderen TV- und Kinoproduktionen.

Foto: © Peter Jaglo
Bierdeckel, Foto: © Peter Jaglo

Nach wenigen Minuten habe ich ein widersprüchliches Bild. Freundliche, empathische und perfekt ausgebildete Vertriebler predigen aus der Bibel. Mein Eindruck wird gefestigt: einzelne Bibelstellen werden herausgepickt, die Weisheit extrahiert und mir als Unfehlbarkeit Gottes präsentiert.

Jede unkritische Person hätte den Köder geschluckt. Doch ich weise auf das Alter der Bibel hin, auf die Legitimation von Sklaverei und die Unterdrückung der Frau. Alle Angriffe werden, dank einer perfekten Schulung, ordentlich pariert. Wir sprechen über Gottes Plan, den jeder Mensch in der Bibel für sich finden und danach leben könne.

Bei Gottes Plan für den tiefgläubigen Samuel Koch und dessen Wirken gehen unsere Meinungen auseinander. Was kann der Plan Gottes sein, wenn ein Vater seinen eigenen Sohn mit dem Auto anfährt und er danach vom Hals ab gelähmt ist? Es muss mehr dahinterstecken, als bloß ein mittelmäßiger Schauspieler und christlicher Wanderprediger zu sein.

Insgesamt haben wir ein freundliches Gespräch, tauschen unsere Gedanken und Ansichten aus. Es beginnt zu regnen und ich verabschiede mich. In der Stadtbücherei leihe ich meinem Kind ein Buch über die wahren Wunder aus: Zwei Frauen erzählen ihre Geschichte, wie sie die ersten deutschen Astronautinnen werden möchten. Der Weltraum, unendliche Weiten… Evolution, Wissenschaft, fremde Spezies. Meine Gedanken kommen auf den ersten Transformers-Film und ein faszinierendes Zitat. Beim ersten Anblick eines Transformers sagt ein Protagonist "Wenn Gott uns erschaffen hat, wer hat dann sie [die Transformers, Anm. d. A.] erschaffen?".

Zufrieden gehe ich nach Hause. Die Bevölkerung ist bereits immunisiert gegen diese Art von Werbung. Ein unattraktives Produkt wird trotz eines immensen Werbebudgets nicht besser. Zum Jahresende 2024 waren nur noch 50,6 Prozent der Vorarlbergerinnen und Vorarlberger Mitglied in der katholischen Kirche.

Die Werbeaktion geht noch bis 9. November.

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