„Wir mussten fast bei null beginnen“

Dass der Verband in der Vergangenheit keinen atheistischen Schwerpunkt herausgebildet hat, finde ich richtig, anderes wäre kontraproduktiv gewesen. Dem aktuellen „Religionsmonitor“ der Bertelsmann-Stiftung ist zu entnehmen, dass 36 Prozent der westdeutschen und 16 Prozent der ostdeutschen Bevölkerung den Atheismus als Bedrohung empfinden. Darüber muss man einmal nachdenken, warum das so ist. Das ist ja erst einmal eine rein subjektive Wahrnehmung, die ist repräsentativ für die Bundesrepublik. Ich denke, das Bild, das in der westdeutschen Bevölkerung über Religion besteht, entsteht über Medien. Es bildet sich nicht mehr aus dem praktischen religiösen Vollzug der Menschen, den gibt es ja fast gar nicht mehr. Wenn das so ist, dann muss man sich fragen, warum wird der Atheismus durch die Medien so negativ dargestellt? Als Bedrohung! Nur der Islam wird in dieser Wahrnehmung noch heftiger als Bedrohung wahrgenommen. Auch dieses Szenarium muss hinterfragt werden.

Ich meine, dass ein wertebildender praktischer Humanismus eine größere Zukunft hat als der reine Atheismus. Natürlich sind radikale Positionen, auch der Religionskritik legitim. Aber das ist nicht das Feld, auf dem der Humanistische Verband agieren sollte. Ich mache das auch an anderen Ergebnissen der Bertelsmann-Studie fest: religiöse Werte rangieren ganz unten und was sind die positivsten Werte? Und da lese ich: Der positivste Wert in der deutschen Bevölkerung ist Hilfsbereitschaft! Und sehr viele religiöse Menschen engagieren sich bürgerschaftlich in irgendwelchen Organisationen. Das kann ich nachvollziehen, der Mensch ist hilfsbereit und will etwas tun. Die Kirchen, Caritas, Diakonie bieten Betätigungsfelder an. Ich behaupte, wenn der HVD solche Angebote auch macht, findet er unter den Konfessionsfreien einen ebenso hohen Prozentsatz, die sich engagieren. Der Humanistische Verband macht noch zu wenig Angebote für Freiwillige. So simpel ist das.

 

Die Kirchen holen die Leute dort ab, wo sie warten…

Ja, genau. Der HVD muss meines Erachtens noch mehr auf bürgerschaftliches Engagement setzen. Das ist für mich einerseits eine Vorstufe für eine mögliche Mitgliedschaft, andererseits  eine generelle Bedingung, einen Verband zu organisieren. Wir brauchen selbstverständlich das Verbandsmitglied, wir benötigen aber auch viele bürgerschaftlich engagierte Menschen, die im Umfeld des HVD mitarbeiten.

Das ist nun nicht mein Verdienst, aber für den Berlin kann ich feststellen: Wir haben 800 ehrenamtlich Engagierte, die in den verschiedenen Arbeitsfeldern des Verbandes aktiv sind. Diese Zahl lässt sich sicherlich noch steigern.

Nun eine ganz andere Frage: Gab es auch etwas Fröhliches für dich in den vergangenen dreißig Jahren? Wenn du jetzt so schmunzelst…

Also, mit dem Humor…, es gibt viele Momente, aber Humor,… ich versuche es einmal mit dem Kabarettisten Werner Finck – du kennst ihn vielleicht noch -. Von ihm stammt der Satz: „Die schwierigste Turnübung ist es, sich selbst auf den Arm zu nehmen.“ Für den Humor hieße es dann, sich selbst nicht allzu ernst zu nehmen, Fehler auch positiv darstellen zu können.

Eine der Geschichten – es gibt viele Beispiele -, ist eine Anekdote aus dem Jahr 1993. Ich habe seinerzeit eine Bildungsreise des Verbandes in die Toscana organisiert. Renaissance und Humanismus waren die Themen. Die Toscana hat natürlich etwas mit italienischem Lebensgefühl zu tun und so stand auch eine Weinverkostung auf dem Programm. Nach der Weinprobe sind wir leicht angeheitert in den Weinberg gegangen. Es hatte den Tag so sehr geregnet, dass wir mit unseren Straßenschuhen in dem Matsch des Weinbergs kleben geblieben sind. Anspielend an die biblische Geschichte sagte ein Teilnehmer: „Da habt ihr aber Pech gehabt, ihr Humanisten. Zur Strafe müsst ihr jetzt im Weinberg des Herrn verbleiben.“ Wir haben alle schallend gelacht.

 

Es gibt so Momente, die kenne ich aus meiner eigenen Arbeit, die sind zwar selten, aber es ist dann das rundum gute Gefühl, „Das ist dir einfach gut gelungen!“ Gibt es so etwas auch für dich? Verbunden mit einem gewissen Stolz, nicht so sehr auf die Leistung, sondern darauf, dass das eigentlich den Sinn der Arbeit ausmacht.

Ja, im Alltag gibt es ein Projekt, eine Aufgabe ist erfolgreich abgeschlossen, das sind so Momente. Aber ich glaube, das fängt bei mir erst jetzt mit dem Ende meiner beruflichen Tätigkeit an, sich zu setzen. Ich war mir meiner Funktion durchaus bewusst, nun wo ich 30 Jahre Revue passieren lasse und mich aus meiner Rolle als Vorstandsvorsitzender verabschiede, erfahre ich die Relevanz meiner Arbeit. Stolz wäre nicht die passende Vokabel dafür; ich bin einfach mit mir zufrieden.

 

Das einfache, gute Gefühl, da habe ich etwas Gutes beigetragen, das hat Sinn gemacht…

Ja, dieses Gefühl verstärkt sich jetzt. Es wird der Moment kommen, wo der Verband mich verabschiedet und ich wahrscheinlich gefragt werde: Was ist deine Lebensleistung? Die Antwort, welchen Beitrag ich in dreißig Jahren für den HVD eingebracht habe, müssen schon andere geben.

 

Nun ist ja absehbar, dass du bald „Privatier“ wirst. Und da kann man sich ja alles Mögliche vorstellen: An der Ostsee sitzen und übers Wasser schauen, dicke Bücher lesen, zu denen du bisher nicht gekommen bist… Wie sieht deine Perspektive aus, wenn du aus deinen Alltagsverpflichtungen heraus bist?

Zunächst werde ich es mir gönnen, die Dinge, die bisher in meiner Freizeit zu kurz gekommen sind, anzupacken. Ich werde mich intensiver als bisher um mein Hobby Fotografie bemühen. Ich arbeite an zwei, drei Thematiken, die ich vor Jahren angefangen habe und jetzt zu Ende bringen möchte. Des Weiteren schwebt mir vor, dass ich zwei Buchprojekte im Frühjahr 2014 abschließe.

Dann will ich ja dem HVD und dem gesamten säkularen Spektrum noch verbunden bleiben. Ich werde weiterhin den Vorsitz der Humanismus-Stiftung innehaben – sofern man mich haben will. Zum anderen werde ich mich zivilgesellschaftlich und basisnah in meinem Stadtteil betätigen. Bei mir um die Ecke existiert die „Zukunftswerkstatt Heinersdorf“, die im Konflikt um ein Moscheebauprojekt für Toleranz und Sachlichkeit gegenüber dem Islam warb. Dieser Bürgerverein organisiert Politikstammtische, Kinderveranstaltungen, Sportangebote für Familien und vieles mehr. Derzeit versucht die Zukunftswerkstatt eine geplante Fleischfabrik zu verhindern, die die soziale Infrastruktur des Kiezes zerstören würde. Hier sehe ich Aufgabenfelder, wo ich meine Fähigkeiten und Kenntnisse einbringen kann. Graswurzelarbeit hat man früher dazu gesagt.

Ja, und dann gibt es noch den anderen Bereich von echter Freizeit, den der Familie. Meinen Sohn im Teenageralter will ich in seiner persönlichen Entwicklung begleiten. Der älteste Enkelsohn kommt im August zur Schule und hat schon gefragt, ob er auf dem Nachhauseweg bei Opa vorbeikommen darf, ob Opa mit ihm Fußball spielt oder bei den Schularbeiten hilft. Derartige Aufgaben werden mir sicherlich Freude bereiten.

Was ist noch wichtig? Für meine Frau Andrea und mich ist Reisen immer ein Stückchen Lebensinhalt, die Welt kennen zu lernen. Wir werden auch in Zukunft so häufig wie möglich miteinander verreisen. Und das würde ich dann auch gerne mit meinem Hobby Fotografieren verbinden. Vielleicht kann man meine Fotos später in einer Ausstellung beim HVD anschauen.