Sterbehilfe – Strategien der humanistischen Szene

Ablehnung eines religiös verabsolutierten Lebensschutzes

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Gita Neumann

BERLIN. (hpd) Einer fast Zweidrittel-Mehrheit in der deutschen Bevölkerung für liberale Regelungen der Sterbehilfe stehen die Bestrebungen der Gröhe-Initiative auf Kriminalisierung jeglicher organisierter Sterbehilfe entgegen. Religiös konservative Kräfte wollen der Gesellschaft ihr Weltbild aufzwingen – sogar mit den Mitteln des Strafrechts. Der Bundestag wird in wenigen Wochen seine Beratungen aufnehmen. Es ist an der Zeit, dass auch außerparlamentarisch Initiativen entfaltet werden, um den Parlamentariern vor Augen zu führen, was die Bevölkerung wirklich denkt und verlangt.

Säkulare und humanistische Organisation haben bereits vor Monaten das “Bündnis für Selbstbestimmung bis zum Lebensendegegründet, das an diesem Wochenende eine Konferenz mit hochkarätiger Besetzung aus der Sterbehilfe und Medizin, der Philosophie und der Rechtswissenschaft durchführt. In dieser Woche haben DGHS und gbs eine Kampagne “Mein Ende gehört mir gestartet und der HVD hat sich mit einer Broschüre mit dem Titel ”Am Ende des Weges" an alle Bundestagsabgeordneten und die Öffentlichkeit gewandt.

Unterschiedliche Strategien und Orientierungen innerhalb der humanistischen Szene werden sichtbar - einig sind sich aber alle in der strikten Ablehnung eines Verbots der organisierten Sterbehilfe und des Kriminalisierungsvorhabens seitens der Religiös-Konservativen.

Über das gemeinsame Ziel, aber auch über die Unterschiede in der Strategie, über das Gesetzesvorhaben und über ethische Grundsätze bei der Sterbehilfe hat der hpd mit Gita Neumann gesprochen. Gita Neumann ist Psychologin, Referentin Lebenshilfe und Leiterin der Bundeszentralstelle Patientenverfügung des HVD; sie ist zudem Mitautorin der HVD-Broschüre “Am Ende des Weges”.

 

hpd: Frau Neumann, Sie haben die HVD-Broschüre “Am Ende des Weges” mit verfasst. Was ist die zentrale Aussage dieser Broschüre?

Wir wollen raus aus der Defensive und zeigen, dass wir bei der in Deutschland bestehenden Straffreiheit der Suizidhilfe ein Modell schaffen könnten, was sogar international Vorbildcharakter hätte. Gerade die Suizidbefürworter unter den Organisationen sind aufgefordert, sich endlich Gedanken zu machen, wie wir die Freitodhilfe human gestalten wollen.

Dies muss auf der Grundlage unserer bestehenden Rechtslage geschehen, dass nämlich die Hilfe für einen Sterbewilligen, der durch eigene Initiative selbstverantwortlich aus dem Leben scheiden will, nicht rechtswidrig ist. Darüber hinaus wollen wir die Praxis der ärztlichen Suizidhilfe erleichtern und gleichzeitig die Suizidverhütung stärken.

Wir wollen der Tendenz einer verabsolutierten Selbstbestimmung entgegenwirken, die zur Gleichgültigkeit führt (“Ist doch egal, wenn jemand lieber sterben möchte”) oder auch zur Haltung gegenüber vermeintlich sinnlosem Existieren (“Das ist ja kein Leben mehr”).

Nochmals ganz deutlich: unser Hauptgegner ist allerdings der verabsolutierte Lebensschutz, der Suizidhilfe in Zukunft mit dem Strafrecht den Garaus machen will. Ihm geht es nicht um den individuellen Menschen wie in der humanistischen Position, sondern um ein abstraktes Prinzip, dem die Selbstbestimmung geopfert werden muss.

 

“Am Ende des Weges” beginnt mit einer eindrucksvollen Bewertung des menschlichen Lebens, das als “höchstes Gut” des Menschen, als endlich und unwiederbringlich bezeichnet und in einen Zusammenhang mit der Evolution gestellt wird. Warum haben Sie in der Broschüre eine grundsätzliche Äußerung zur Bedeutung des Lebens an den Anfang gestellt und nicht die Erörterung von Rechtspositionen, etwa des Selbstbestimmungsrechts?

Wir sollten uns gerade im Namen der betonten Selbstbestimmung immer wieder vergewissern, dass auch das (nicht mehr oder noch nie) zur Selbstbestimmung fähige Leben Wert und Würde hat.

Zudem: Die ganzen verfassungsrechtlichen Argumente sind zwar schön und gut – aber scheinen letztendlich doch ein stumpfes Schwert zu sein. Bekanntlich kann die Würde im Sterben pluralistisch gerade so oder genau anders herum interpretiert werden. Außerdem wird von niemandem in der Debatte das Selbstbestimmungsrecht zum Freitod an sich in Frage gestellt – das wird von Suizidhilfebefürwortern nicht korrekt kommuniziert. Es geht ja bei der Gesetzgebung jetzt ausschließlich um die Bewertung der Hilfe dazu, also um die Beteiligung anderer.

Eine “Rechthaberei” oder auch ein behauptetes “Recht auf Suizidhilfe” bleibt doch sehr an der Oberfläche bzw. ist nicht bis zu Ende gedacht – soll ein solches Recht wirklich unterschiedslos für jeden gelten? Dann also auch für unglückselige Arbeitslose, Vereinsamte, Strafgefangene (wie jetzt in Belgien), für Jugendliche oder körperlich Kerngesunde, die irgendwie gescheitert sind und vor allem für die alten Menschen? Es ist sehr schwer, Grenzen zu ziehen und sollte auch nicht für Polemik missbraucht werden - aber solche Auswirkungen völlig auszublenden, ist verantwortungslos.

Sterbehilfe – ernsthafte Fragen der menschlichen Existenz angesprochen

Es handelt sich doch hier um eine ernsthafte Frage unserer menschlicher Existenz und unserer gesellschaftlichen Zukunft angesichts einer menschheitsgeschichtlich noch nie da gewesenen demographischen Entwicklung. Da sind eine geisteswissenschaftlich-philosophische Tiefe und ethische Verantwortung gefragt. Beides wird gemeinhin gern den Kirchen zugebilligt …

 

… zudem die Kirchen kräftig an dem Zerrbild mitwirken, sie und nur sie seien die eigentlichen Garanten für ethische Normen und Menschenwürde …

… ja - wobei sie die dies aber gar nicht zu leisten vermögen. Wir zeigen in unserer Positionsbegründung, dass heutzutage der Rückgriff auf die Evolutionsidee uns menschlicher, solidarischer und verantwortlicher macht und haben im Humanistischen Verband ja auch eine entsprechende Praxis beispielsweise im Sozial-, Gesundheits-, Palliativ- und Hospizbereich vorzuweisen. Diese konkreten Erfahrungen im Umgang mit Menschen in schwierigen sozialen und gesundheitlichen Situationen, auch und gerade in der letzten Lebensphase, im Sterbeprozess, prägen natürlich unsere Haltung.

 

Ein “Recht auf letzte Hilfe”, wie es aktuell etwa die Giordano Bruno Stiftung (GBS) und die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) verlangen, wird in der HVD-Position nicht erwähnt? Handelt es sich um Unterschiede nur in der Formulierung oder gibt es Unterschiede im Inhalt? Es scheint, dass gbs und DGHS ein Recht propagieren, von anderen die Unterstützung bei der Selbsttötung verlangen zu können. Haben Sie Bedenken gegenüber einer solchen Position?

Eindeutig ja. Es ist eine populistische Position und außerdem für jeden, der in der Praxis der Suizidhilfepraxis tätig ist, völlig unannehmbar. Ich erhalte mindestens einmal pro Woche solche Anrufe mir fremder Menschen: teils sehr verzweifelt, teils psychisch gestört, teils dreist fordernd, Geld bietend oder wimmernd flehend, die das Verlangen an mich richten, ihnen dabei zu helfen, so bald wie möglich vom Leben zum Tode zu kommen. Wer dem einfach nachgeben würde, wäre selbst schon längst verloren. Oft werden von mir angesprochene Möglichkeiten, wie doch jeder sterben kann (z. B. durch Verzicht auf lebensverlängernde Maßnahmen oder auch auf Nahrungsaufnahme) brüsk als unzumutbar zurückgewiesen – es solle doch ganz schnell gehen. Auf meinen Hinweis – gerade in dieser Woche ist mir das wieder passiert – auch bei Hilfe durch Dignitas oder SterbehilfeDeutschland wäre doch vorher eine ganze Zeit der Regularien zu absolvieren, kommt sehr oft heraus: Der Betroffene möchte eigentlich, dass jemand sofort vorbeikommt, um ihn zu töten.

Ich persönlich leiste auch in Einzelfällen Suizidbegleitung – aber nur völlig freiwillig (und kostenfrei in meiner Freizeit) und nur, wenn die menschliche Beziehung stimmt (und regelmäßig nur bei sehr langem Kennen eines Mitglieds unserer Organisation). Wenn jemand mir gegenüber auf sein “Recht” pochen würde, wäre das für mich keine tragfähige Basis.

 

In der Broschüre wird zur gegenwärtigen Rechtslage ein Klarstellungsbedarf angemahnt. Was ist Ihrer Auffassung nach klarstellungsbedürftig, wenn die jetzige Rechtslage die Beihilfe zur Selbsttötung straffrei lässt?

Wir haben die paradoxe Situation, dass die Rechtslage eigentlich klar ist – Straffreiheit bei Hilfe zu einer freiwillensfähigen Selbsttötung – dies aber kaum bekannt ist. Dies hat viele Gründe: Tabuisierung (bis zum Verbot, daran überhaupt zu denken geschweige darüber zu sprechen), fehlende Kultur einer Bürgerautonomie (wie etwa in der Schweiz vorhanden), keine für die Leistung von Sterbehilfe zur Verfügung stehende Ärzteschaft (wie etwa in den Niederlanden), skurrile Rechtskonstruktionen (“Garantenpflicht” zur Lebensrettung, wenn der Suizident bewusstlos geworden ist), standes- und arzneimittelrechtliche Hindernisse, schließlich der Mythos vom Hippokratischen Eid und so weiter.

Bestehende Rechtslage normieren?

Das Damoklesschwert des Unrechtmäßigen hing und hängt über der Suizidhilfe. Deshalb hat der Humanistische Verband schon 2012 den Vorschlag gemacht, die bestehende Rechtslage doch gesetzlich zu normieren, damit jeder (vor allem aus der Ärzteschaft) schwarz und weiß im Strafgesetzbuch nachlesen kann, dass weder die Hilfe zum Suizid noch dessen Nichthinderung strafbar ist, wenn der Suizident freiwillensfähig die Tat selbst begangen hat.

 

Also doch auch vom HVD der Vorschlag einer strafrechtlichen Regelung?

Es geht uns dabei keinesfalls um irgendeine Neukriminalisierung im Strafrecht – ganz im Gegenteil um die gesetzliche Klarstellung der Nicht-Rechtswidrigkeit, der Nicht-Strafbarkeit. Das könnte durchaus auch durch eine neue Regelung im Strafgesetzbuch erfolgen.

 

Ein eigenes Kapitel der Broschüre ist dem Thema “Einführung einer qualifizierten Suizidkonfliktberatung” gewidmet. Worum geht es Ihnen dabei?

Wir möchten gern das allgemein zugänglich machen, was wir heute schon im Ansatz entsprechend unseren (beschränkten) Möglichkeiten den Mitgliedern des Humanistischen Verbandes anbieten. Das Stichwort ist auch hier, eine Beziehung zu den Ratsuchenden aufzubauen und ihnen eine ergebnisoffene Gesprächsatmosphäre anzubieten. Wir haben damit sehr gute Erfahrungen gemacht und können sagen: Ja, es ist möglich, den Suizidwunsch voll zu akzeptieren und im Einzelfall auch zu unterstützen, und trotzdem lebensbejahend zu wirken.