„Wir mussten fast bei null beginnen“

Das Größerwerden nimmt ja gar kein Ende…

Nach meiner Auffassung kann es mit einem kontrollierten Wachstum so weiter gehen. Im Moment sind wir an einem Punkt, wo wir genauer hinschauen müssen, in welche Projekte wir investieren. Wir sind in der Vergangenheit immer darum herum gekommen, zur Bank zu gehen und zu fragen, ob wir einen Kredit bekommen, weil wir dieses oder jenes Projekt realisieren wollten. Investitionen in die Zukunft müssen aktuell genauer abgewogen werden. Wir sind jetzt dabei, drei weitere neue Kitas in Berlin ans Netz zu bringen. Und die bauen wir nicht, weil wir so viel Geld übrig haben, sondern weil in dieser Stadt ein Bedarf an Kitaplätzen ist –bis 2016 werden noch 10.000 Plätze benötigt. Niemand weiß, was noch kommt, wenn Eltern ihren Rechtsanspruch einklagen. Niemand weiß, wenn das Betreuungsgeld kommt, wie viele Kinder dann zu Hause bleiben. Und wie entwickelt sich die Erwerbstätigkeit von Müttern? Alles Variablen, die niemand einschätzen kann.

Wir müssen aber auch sehen, wie weit wir voran gehen, um nicht andere Projekte zu gefährden, denn alle befinden sich unter einem Dach. Zudem gibt es immer wieder Überlegungen, Teilbereiche in eigene Träger-GmbH`s auszugliedern, um die ökonomischen Risiken zu minimieren. Ich denke, dass so etwas auf lange Sicht kommen wird. Aber ich bin gleichzeitig der Ansicht, dass, wenn wir unser Konzept des praktischen Humanismus frühzeitig in kleinere Geschäftsfelder gesplittet hätten, unsere Stärke als Weltanschauungsgemeinschaft, die wir jetzt haben, gelitten hätte.

Die Weltanschauungsgemeinschaft und die HVD-Unternehmungen ergänzen sich gegenseitig. Von der Größenordnung sind wir ein akzeptierter gesellschaftlicher Akteur, denn in Berlin und Brandenburg weiß man, welchen Stellenwert der HVD hat. Wenn wir nur eine kleine Wertegemeinschaft wären, hätten wir nicht diese Bedeutung. Deswegen war dieser Weg richtig. Ich denke aber, was Professionalität in den einzelnen Arbeitsfeldern wie auch die Risikoabschirmung betrifft, werden Änderungen notwendig sein, weil  auch ein starker Ökonomisierungsdruck auf den Organisationen des Dritten Sektors ruht. 

Meine Prognose ist, dass in den kommenden Jahren die ‚Mutter’, die Wertegemeinschaft, groß und stark genug sein wird und sein muss, um die verschiedenen Arbeitsfelder inhaltlich zu steuern und zusammen zu halten. Mit bald 10.000 Mitgliedern sind wir jetzt schon eine mitgliederstarke Organisation. Mitgliedergewinnung und –bindung muss auch zukünftig ein Schwerpunkt verbandlicher Anstrengungen sein.

 

Demnächst wirst du offiziell aufhören…

Ich bin Jahrgang 48, im September ist für mich der formale Ruhestand erreicht. Im Moment sieht es so aus, dass der Verband dabei ist, die Nachfolgeregelung zu organisieren und ich habe zugesagt, dass ich, solange der oder die Nachfolgerin noch nicht gefunden ist, im Amt bleibe. Danach ist dann … Schluss.

 

Das Wachstum des Verbandes hat sich meines Erachtens auch fortgesetzt, nachdem Brandenburg dazu gekommen war und es jetzt zwei Verantwortliche an der Spitze gibt. Das heißt, achtundzwanzig Jahre lag es nur auf deinen Schultern und jetzt sind es dann zwei Personen, die es weiterführen.

Ja, das hängt nicht nur damit zusammen, dass wir territorial als Verband in den Aufgaben größer geworden sind. Ich habe als Geschäftsführer das Gesamtmanagement gehabt, sowohl die Verbandsgeschäftsführung nach innen, wie auch die Verbandsvertretung nach außen. Wenn so ein Unternehmen größer wird, erfordert das noch mehr Professionalität. Wir bewegen über 50 Millionen Euro jedes Jahr und das sind Finanzströme, die bewältigt werden müssen. Ich selbst bin ja kein Betriebswirt, sondern habe mich über die Jahre qualifizieren müssen. Nach der Fusion sind die richtigen Hebel umgelegt worden, um mit einem Vorstand aus zwei Personen gut in die Zukunft zu kommen.

Das hat aber auch Rückwirkungen auf die betriebliche und die innerverbandliche Struktur. Es gibt jetzt jemanden, der im Vorstand für Finanzen und Personal verantwortlich ist und wir sind jetzt auch intern dabei, die Verwaltung umzustrukturieren, weil aufgrund der unterschiedlichen Größen und qualitativen Anforderungen da auch nicht mehr alles so bleiben kann wie bisher. Das sind schon schwierige Probleme, mit denen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter umgehen müssen.

In der Mitarbeiterstruktur verändert sich gegenwärtig einiges. Die ‚Pioniere’, die erste Generation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter scheiden allmählich aus. Die zweite Generation identifiziert sich häufig nicht mehr so stark mit den weltanschaulichen Zielen des Verbandes. Viele Kollegen kommen primär zu uns, weil es einen attraktiven Arbeitsplatz gibt und erst in zweiter Linie, weil wir eine Weltanschauungsgemeinschaft sind.

 

Für Familienbetriebe heißt es manchmal, die erste Generation baut auf, die zweite verwaltet es und die dritte… nun das ist sehr unterschiedlich…

 

Nun ja, aber ich denke, wir haben beides bewerkstelligt, wir haben den Aufbau vorangetrieben und gleichzeitig auch gut verwaltet. Und wir arbeiten immer noch auf Zuwachs, ich hoffe nicht, dass das bereits zu Ende ist.

Wir haben uns als Landesverband Berlin-Brandenburg jahrelang, jahrzehntelang konzentriert auf den Aufbau von Geschäftsfeldern und Dienstleistungen. Aber ich sage auch auf den Mitgliederversammlungen immer wieder, der Betrieb muss sich durch die Wertegemeinschaft legitimieren lassen. Wenn dieser Mitgliederverband ein schwacher ist, wird ihm auch die Legitimation für das Unternehmen abhanden kommen. Deshalb setze ich mich auch dieser Tage dafür ein, dass wir den Mitgliederverband stärker nach vorne bringen.

Es klang zwar bereits an, aber ich möchte die Frage noch einmal explizit stellen: Ist es für dich etwas Besonderes, Vorstandsvorsitzender eines humanistischen Verbandes zu sein oder wäre das für dich bei dem Paritätischen oder dem Roten Kreuz ähnlich?

Dieser weltanschauliche Hintergrund ist ja ein Alleinstellungsmerkmal des Humanistischen Verbandes auch gegenüber anderen kulturellen und sozialen Trägern. Der Humanismus ist immer das Wesensmerkmal, das Fundament für meine Arbeit gewesen. Ohne, dass ich das täglich reflektiert habe, waren die humanistische Lebensauffassung, Vernunft und Menschenwürde für mich wichtig. Das hängt auch mit meiner Biografie zusammen, ich bin katholisch sozialisiert.

In Schleswig-Holstein, in Kiel?...

Mein Vater stammt aus Danzig und war katholisch, meine Mutter aus Mecklenburg-Vorpommern, evangelisch, und als sie heirateten, ist meine Mutter konvertiert. Damals hat der Mann gesagt, wo es lang geht. Ich bin als Jugendlicher  – ich mag das gar nicht so gerne erzählen -, über das Gymnasium in eine katholische Eliteorganisation, den Bund Neudeutschland, gekommen. Mädchen wurden nicht aufgenommen. Mit fünfzehn stand dann die Entscheidung an, wird man Messdiener; und ich durfte nicht Messdiener werden, weil meine schulischen Leistungen nicht auf 1 waren. Da fing ich an nachzudenken, was machen die eigentlich mit dir? Und wir hatten einen Geistlichen Rat, der war so etwas wie unser religiöser Berater, und er hat uns Ferien am Gardasee oder in Dänemark organisiert. Das waren erlebnisreiche Freizeiten, die wir als Jugendliche erlebt haben. Aber er kam mit  frauenfeindlichen Sprüchen daher, dieser Geistliche Rat, das ich mich fragte: Er ist eine moralische Instanz, wie kann der so über Frauen reden?

Und so kam eins zum anderen und ich bin dann mit 18 aus der Kirche ausgetreten. Ich entsinne mich noch: ich wollte den Führerschein machen und mein Vater erklärte mir:  Wenn du wieder in die Kirche eintrittst, zahle ich dir den Führerschein. (Gemeinsames Lachen) Aber das Thema war damals für mich schon durch, da ich mich selber schon recht schnell als Atheist begriff, ohne dass ich das philosophisch alles durchdacht hätte. Ich würde mich heute auch noch als Atheisten bezeichnen, nur ist Atheismus ist für mich ein Element meines Humanismus.