Hamburger Wahlprüfsteine 2013

bundestagswahl-6.jpg

Grafik: gbs-hamburg

HAMBURG. (hpd/gbs-hh) Die Regionalgruppe der Giordano-Bruno-Stiftung hat an alle Direktkandidaten von acht politischen Parteien vier Fragen als „Wahlprüfsteine“ geschickt und die Auswertung der Antworten (und der Nicht-Beantwortung) veröffentlicht. Eine symptomatische Zustandbeschreibung, wie die Parteien mit kirchlichen Themen und Religionsfragen umgehen.

Angeregt durch das Vorbild der gbs-Erlangen (für Bayern) sind auch die Hamburger aktiv geworden.

„Am 26. August haben wir an die Direktkandidaten von acht Parteien in allen sechs Hamburger Wahlkreisen je vier Fragen verschickt. Von den insgesamt 48 Kandidaten haben bis heute (9. September) 22 geantwortet. Die Fragen und vor allem die Antworten sind hier sehr übersichtlich in Tabellenform aufgeführt. Diese Tabelle lässt sich nach unterschiedlichen Kriterien sortieren (z. B. Partei, Wahlkreis, Antwortverhalten), und dort kann man sich auch die ausführlichen Kommentare im Detail  anzeigen lassen, sofern welche abgegeben wurden.“

Die Fragen

1. Betriebsräte in kirchlichen Einrichtungen

In kirchlichen Einrichtungen wie Kindergärten, Schulen, Krankenhäusern, Alten- und Pflegeheimen, deren Kosten bekanntlich weitgehend vom Staat bzw. von den allgemeinen Sozialkassen getragen werden, werden den Beschäftigten Rechte vorenthalten, die sie in nichtkirchlichen Einrichtungen haben. So können sie dort beispielsweise keinen Betriebsrat nach dem Betriebsverfassungsgesetz wählen.
Halten Sie dies für gerechtfertigt?

2. Kirchlicher Eingriff in die Privatsphäre

Die Kosten kirchlicher Einrichtungen werden (wie in Frage 1) von der Allgemeinheit finanziert. Dennoch dürfen die Träger dieser Einrichtungen ihre Beschäftigten bei einem Verstoß gegen kirchliche Moralvorstellungen im Privatleben (z. B. Scheidung und Wiederverheiratung, Zusammenleben mit einem gleichgeschlechtlichen Partner) fristlos kündigen.
Halten Sie dies für gerechtfertigt?

3. Ablösung der Staatsleistungen

Das Grundgesetz enthält in Art. 140 in Verbindung mit Art. 138 der Weimarer Verfassung den Verfassungsauftrag, „die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften durch die Landesgesetzgebung“ abzulösen. Die Grundsätze hierfür hat der Bund (Weimarer Verfassung: das Reich) aufzustellen. Die Erfüllung dieses Verfassungsauftrags wurde bisher vom Bundestag nicht in Angriff genommen.
Werden Sie sich dafür einsetzen, dass dieser Verfassungsauftrag endlich erfüllt wird und der Bundestag die dafür erforderlichen Grundsätze beschließt?

4. Sterbehilfe

Für die Freigabe der humanen Sterbehilfe (Tötung auf Verlangen), die im § 216 StGB als strafbares Tötungsdelikt behandelt wird, sowie für die Beihilfe zum Freitod, die gegen ärztliches Standesrecht verstößt, sprechen sich bei Umfragen stets über 60 Prozent der Bevölkerung aus. Das Recht, über den eigenen Tod selbst zu bestimmen und dabei gegebenenfalls auch die Hilfe einer anderen Person in Anspruch zu nehmen, ist ein Ausfluss des Selbstbestimmungsrechtes.
Werden Sie sich für die Freigabe der aktiven Sterbehilfe einsetzen?

Die Antworten auf unsere Wahlprüfsteine zur Bundestagswahl 2013

Die Antworten (bzw. Nicht-Antworten) und die Kommentare entsprechen teilweise den Erwartungen, aber es gibt auch neue, erhellende Einsichten in die politische Meinung einiger Kandidaten und Parteien.

Was die „Wahlbeteiligung“ der Parteien bei der Beantwortung unserer Fragen angeht, gilt (fast) die Regel: je kleiner, desto antwortfreudiger. Von jeweils sechs Kandidaten haben geantwortet (bis zum 9. September): CDU: 0, SPD: 1, Grüne: 4, FDP: 0, Die Linke: 5, Piraten: 5, AfD: 2, Freie Wähler: 5.

Auffällig ist, dass bei den drei Parteien mit je fünf Antworten (Die Linke, Piraten und Freie Wähler) immer der Wahlkreis „Nord“ fehlt, aber das ist sicher nur Zufall.

Zu den einzelnen Parteien (in „amtlicher“ Reihenfolge):

CDU

Dass eine Partei mir einem „C“ im Namen auf solche Fragen nicht reagiert, war eigentlich vorauszusehen. Kein weiterer Kommentar!

SPD

Von der SPD hat immerhin einer von sechs Kandidaten geantwortet, wobei keine einzige der Fragen eindeutig bei „ja“ oder „nein“ angekreuzt wurde, sondern in Form von Kommentaren eher allgemeine Parteistandpunkte wiedergegeben wurden. Nicht sehr ergiebig.

Grüne

Die Grünen sind da schon aktiver: Geantwortet haben vier von sechs Kandidaten. Jedoch sind dabei mehrfach nahezu gleichlautende Kommentare abgegeben worden, was nicht gerade auf eine individuelle Meinung schließen lässt. Lobenswerte Ausnahme: Katja Husen aus dem Wahlkreis Wandsbek, die als einzige „Grüne“ auch alle Fragen mit einem eindeutigen „Ja“  bzw. „Nein“ beantwortet hat.

FDP

Dass eine Partei, die die Freiheit als höchstes Ziel propagiert und das auch in ihrem Namen zeigt, sich bei diesen Themen äußerst bedeckt hält (keine einzige Antwort), ist doch erstaunlich. Dabei war diese Partei schon mal an der Spitze des Fortschritts, als Liselotte Funcke und Ingrid Matthäus-Maier als Mitglieder des FDP-Bundesvorstandes 1974 (!) ein Papier verfassten mit dem Titel „Freie Kirche im Freien Staat“. Die darin enthaltenen Thesen sind hier nachzulesen, wir könnten sie heute noch im selben Wortlaut unterschreiben, so gut, wie sie damals formuliert wurden. Liselotte Funcke lebt leider nicht mehr und Ingrid Matthäus-Maier hat 1982 die FDP verlassen. Und wo steht die FDP heute?

Die Linke

Lobenswert erscheint die hohe Beteiligung (fünf von sechs Kandidaten haben geantwortet), dieser positive Eindruck wird aber stark getrübt durch die nahezu identischen Antworten von vieren dieser fünf Kandidaten. Einzig der Kandidat Dr. Hans-Joachim Hanisch aus dem Wahlkreis „Mitte“ hat sich die Mühe gemacht, individuell und – wie es scheint – auch ehrlich zu antworten.

Piraten

Die Piraten zeichnen sich nicht nur durch eine hohe Beteiligung mit fünf von sechs Kandidaten aus, sondern auch durch völlig individuelle Kommentare, in denen nicht lange um den heißen Brei herumgeredet, sondern kurz und sachlich Stellung genommen wird. Da fühlt man sich als Fragesteller doch schon mal ernst genommen.

AfD

Die Alternative für Deutschland zeichnet sich durch extreme Sparsamkeit aus: Nur zwei von sechs Kandidaten haben geantwortet, bei den insgesamt acht Antworten auf die vier Fragen gibt es nur zwei Kommentare, die wiederum nur aus je zwei Worten bestehen.

Freie Wähler

Auch hier gibt es eine hohe Beteiligung mit individuellen und teilweise unterschiedlichen Antworten bei Frage 4 (Sterbehilfe).

Unsere Wahlempfehlung:

Schon in der Bibel steht „Eure Rede sei: Ja, ja; nein, nein. Was darüber ist, das ist vom Übel.“ (Matth. 5, 37).

Auf die Reihenfolge unserer Fragen angewandt, muss der erste Teil heißen: „Eure Rede sei: Nein, nein; ja, ja.“ Der zweite Teil dieses Bibelspruches „Was darüber ist, das ist vom Übel.“ ist so zu interpretieren, dass nicht eine zusätzliche Begründung oder Differenzierung in Form eines Kommentars zur jeweiligen Antwort vom Übel ist, sondern die Abgabe eines umfänglichen, aber im Grunde nichtssagenden Kommentars anstatt eines eindeutigen „Ja“ oder „Nein“.

Es gibt also zwei Kriterien für eine Empfehlung: in unserem Sinne „richtige“ Antworten (erster Teil) und eindeutige Antworten (zweiter Teil des Bibelspruchs).

Parteien, mit einer Beteiligung von 50 Prozent oder weniger können nicht empfohlen werden, da sie uns und unsere politischen Forderungen offenbar nicht ernst nehmen. Es bleiben noch vier Parteien, die nach den oben genannten Regeln in folgende Rangreihe eingeordnet werden:

Die Piraten stimmen am besten mit unseren Vorstellungen überein. Sämtliche abgegebenen Antworten sind mit  beiden oben genannten Kriterien kompatibel.

Den zweiten Platz erreichen die Freien Wähler. Alle Fragen sind eindeutig beantwortet (zweites Kriterium), aber zwei Antworten zur Frage 4 sind in unserem Sinne nicht „richtig“ (erstes Kriterium).

Den dritten Platz erreicht Die Linke. Diese Partei stimmt zumindestens in den ersten drei Fragen mit uns überein, nur bei Frage 4 (Sterbehilfe) gibt es Differenzen. Nachteilig ist auch die Tatsache, dass es nur einen Kandidaten mit individuellen Antworten gibt, der Rest ist Einheitsmeinung.

Den vierten Platz erhalten die Grünen. Insbesondere bei Frage 3 (Staatsleistungen) sind die Meinungen  von unserem Standpunkt deutlich abweichend, weil nach Ansicht von drei Kandidaten unisono die „neuen“ Staatsleistungen von der Streichung ausgenommen werden sollen. Auch bei dieser Partei hat nur ein Kandidat individuell geantwortet.

Wir bedanken uns bei den zahlreichen Hamburger Direktkandidaten, die sich die Mühe gemacht haben, unsere Fragen zu beantworten.

gbs-hamburg