Soziale Unsicherheit stresst Schimpansen

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Schimpansengruppe im Leipziger Zoo
Schimpansengruppe im Leipziger Zoo

Ein internationales Forschungsteam beobachtete im Taï-Nationalpark an der Elfenbeinküste das Verhalten männlicher Schimpansen in Perioden des verstärkten Konkurrenzkampfes unter den Männchen und sammelte Urinproben der Tiere, um ihren Cortisol-Spiegel zu messen und so ihr Stressniveau zu bestimmen.

Obwohl die Männchen tatsächlich gestresster sind, wenn das Hierarchiegefüge innerhalb der Gruppe instabil ist, sind ihre Aggressionsraten geringer. Das deutet möglicherweise darauf hin, dass die Tiere in Zeiten sozialer Instabilität auf aggressive Handlungen verzichten, um die Eskalation von Konflikten zu vermeiden und den Gruppenzusammenhalt zu fördern.

Ein hoher sozialer Status bringt Männchen und Weibchen vieler in sozialen Gruppen lebender Tierarten, darunter auch dem Menschen, erhebliche Vorteile, ist aber auch mit Kosten verbunden. "Um zu bestimmen, welche Kosten mit dem Erlangen und der Aufrechterhaltung eines Dominanzstatus verbunden sind, haben wir mögliche Quellen für energetische und psychosoziale Stressfaktoren untersucht, denen männliche Schimpansen täglich ausgesetzt sind, insbesondere in Zeiten, wenn sie intensiv um den Dominanzstatus und Paarungsmöglichkeiten konkurrieren", sagt Anna Preis, Erstautorin der Studie.

Die Autoren bestimmten den Cortisol-Spiegel im Urin der Tiere und stellten fest, dass der Hormonwert in Zeiten sozialer Instabilität bei allen Männchen höher war, die Tiere also mehr Stress hatten, als in stabilen Perioden. Überraschenderweise verhielt es sich bei den Aggressionsraten umgekehrt: In stabilen Zeiten kam es zu einer höheren Anzahl aggressiver Handlungen. Im Gegensatz zu Erkenntnissen aus einer früheren Studie, die eine andere Schimpansenpopulation betraf, konnten die Forschenden weder in stabilen noch in instabilen Zeiten eine Verbindung zwischen dem Dominanzrang und dem Cortisol-Spiegel der Tiere feststellen.

Unsicherheit stresst

Die aktuellen Ergebnisse deuten also darauf hin, dass für dominante Taï-Schimpansenmännchen der Erhalt ihres Rangs nicht mit erhöhtem körperlichen Stress verbunden ist. Vielmehr sind alle Männchen der Gruppe im Wettbewerb um den Dominanzstatus und aufgrund von Instabilitäten im Hierarchiegefüge gleichermaßen psychosozialem Stress ausgesetzt, auch wenn es seltener zu aggressiven Handlungen kommt. Dies unterstützt eine Reihe weiterer Studien, die zeigen, dass die Unsicherheit in sozialen Beziehungen bei Primaten, - auch beim Menschen – besonders belastend ist.

"Stress wird nicht durch offen ausgetragene Aggressionen verursacht, sondern durch soziale Ungewissheit, wenn Männchen verstärkt in Konkurrenz zueinander stehen", sagt Preis. "In unserer Studie haben wir zwei mögliche Zusammenhänge untersucht, die soziale Instabilität auslösen können: das Ringen um Dominanz und um Paarungsmöglichkeiten. In beiden Zusammenhängen hatten die Männchen – unabhängig von ihrem Dominanzrang – ein höheres Stressniveau, wenn der Konkurrenzdruck am stärksten war. Die Häufigkeit und Intensität ihrer aggressiven Handlungen waren jedoch dann stärker, wenn der Konkurrenzdruck am schwächsten war."

Abwägung des Eskalationsrisikos

"Männliche Schimpansen passen ihr Wettbewerbsverhalten an kontextabhängige Bedingungen an. Wenn das Risiko besonders hoch ist, dass eine Situation eskaliert, vermeiden die Männchen aggressives Verhalten, um das Verletzungsrisiko zu verringern", sagt Roman Wittig, leitender Autor der Studie. "Schimpansen sind sehr territoriale Tiere und verteidigen ihr Gebiet gemeinsam gegen Eindringlinge. Möglicherweise vermeiden männliche Schimpansen aggressives Verhalten, wenn Dominanzbeziehungen unklar und instabil sind. Das könnte Teil einer Strategie zum Konfliktmanagement sein, die es den Tieren ermöglicht, in solchen Situationen als Gruppe zusammenzuarbeiten." Konfliktmanagementstrategien sind für die Aufrechterhaltung eines stabilen Zusammenlebens in sozialen Gruppen entscheidend. Die aktuelle Studie zeigt, wie freilebende Schimpansen mit Konflikten innerhalb der Gruppe umgehen und die Anwendung aggressiven Verhaltens gegen persönliche und Gruppeninteressen abwägen.

"Unsere Studie ist für ein breites Forschungsfeld von Interesse. Sie zeigt, dass Aggressionsraten nicht immer ein guter Indikator für die Wettbewerbsintensität sind und dass in zukünftigen Studien auch die Aggressionsvermeidung und andere nicht aggressive Formen des Wettbewerbsverhaltens berücksichtigt werden müssen", schließt Preis. (SJ, AP)