Hebt "Hexerey"-Urteile auch in Bayern auf!

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“Zum Zug gebunden”. Darstellung der Folter einer “Hexe” auf einem zeitgenössischen Kupferstich.

MÜNCHEN/EICHSTÄTT. (hpd/ikf) Es geht um die Würdigung und Rehabilitation der in Bayern unschuldig wegen „Hexerey“ Ermordeten. In Eichstätt wurden 1627 die Bürgermeisterin Ursula Bonschab und ihr Mann der „Hexerey“ bezichtigt, schwer gefoltert, ihres Vermögens beraubt, enthauptet und verbrannt. Wolfram P. Kastner und Claus-Peter Lieckfeld wollen, dass sie rehabilitiert werden.

Kastner und Lieckfeld schreiben an den Oberbürgermeister von Eichstätt, den Ministerpräsidenten und die Landtagsabgeordneten: „Bis heute gibt es in Eichstätt keine einzige Straße, die nach einer der 426 Personen benannt wäre, die in Terrorprozessen ihrer Menschenwürde, ihres Eigentums und ihres Lebens beraubt wurden. (…) Wir haben ein Denkmal mit ihren Namen im Zentrum der Stadt vorgeschlagen und ihre Namen und die Todesurteile öffentlich verlesen.“

Eine Vielzahl deutscher Städte und Gemeinden hat sich in den letzten Jahren dazu verstanden, die Verfolgten, die an diesen Orten gequält und ermordet wurden, moralisch, theologisch und rechtlich zu rehabilitieren: Köln, Bad Homburg, Detmold, Eschwege, Hofheim, Idstein, Lemgo, Osnabrück, Suhl, Sundern, Werl u. a. In Bayern ist das noch in keiner Stadt geschehen.

Kastner und Lieckfeld schlagen der Stadt Eichstätt vor, eine Straße im Zentrum der Stadt symbolisch nach der ermordeten Bürgermeisterin Bonschab  zu benennen und haben ein Schild dafür anfertigen lassen, das sie der Stadt für diesen Zweck schenken wollen.

Die Stadt sieht für eine Anbringung keine Möglichkeit.

Kastner und Lieckfeld schreiben an die SPD-Fraktion im Bayerischen Landtag.

Die SPD-Fraktion lehnt eine Unterstützung des Anliegens ab.

Daraufhin schreiben sie an den SPD-Fraktionsvorsitzenden und die SPD-Fraktion:

"Sie antworten auf unsere Bitte, mit dafür einzustehen, dass die Verurteilten der Prozesse  gegen 'Hexer' und 'Hexen' rehabilitiert werden: das ginge nicht, da diese Personen ja damals nach geltendem Recht verurteilt wurden. Das hätten Ihnen Juristen versichert. Und auch die Folter sei damals ein erlaubtes Mittel des prozessualen Geschehens gewesen.

Folgende Namen sagen Ihnen sicher etwas: Rudolf Breitscheid, Adolf  Reichwein, Theodor Haubach, Fritz Husemann, Rudolf Hilferding, Wilhelm Leuschner.

Es handelt sich ohne Ausnahme um prominente Sozialdemokraten, die – nach Recht und Gesetz, so wie es in den 30er Jahren galt – in Plötzensee auf Fleischerhaken gespießt, unters Fallbeil geschnallt oder unter unerklärten Umständen im KZ ermordet wurden.

Wie meinten Sie noch gleich? Man könne heutigen Tags nicht erklären, diese Urteile seien null und nichtig und die Hingerichteten rehabilitiert,  weil ja damals die Freislers und andere Blutrichter stets nach Recht und Gesetz …?

Im Umkehrschluss wären dann auch die Urteile gegen die Nazi-Verbrecher in Nürnberg null und nichtig. Auch ein Ernst Kaltenbrunner oder ein Alfred Jodel haben gesetzestreu gehandelt, respektive gemordet.

Sie gestatten, dass wir sehr klar werden: Von all den verschiedenen Begründungen, die Opfer der Morde und Terrorfeldzüge nicht zu rehabilitieren, finden wir Ihre sozialdemokratische Begründung mit Abstand herausragend.

1992 wurden Urteile der DDR-Justiz als „von Anfang an Unrecht“ aufgehoben, 1998 wurden alle Urteile des Volksgerichtshofes und der Standgerichte aufgehoben (Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile/NS-AufhG oder kurz NS-Unrechtsurteileaufhebungsgesetz), 2002 wurden Urteile der NS-Militär-Justiz vom Bundestag aufgehoben, 2009 stellte die SPD im Bundestag einen Antrag auf Aufhebung der NS-Urteile gegen „Kriegsverräter“ und deren volle Rehabilitierung.

Wir denken, dass im Bayerischen Landtag die Aufhebung der Terrorurteile der Hexenverfolger ebenso möglich ist, wie die Aufhebung der NS-Urteile im Bundestag möglich war, und würden es sehr begrüßen, wenn die SPD einen entsprechenden Antrag stellen würde.

Wir werden die anderen Landtagsfraktionen und das Justizministerium ebenfalls darum ersuchen.“

I.K.F. / C.F.

„Freispruch nach 400 Jahren!“ (27.06.2013)

Unschuldig hingerichtet – und heute? (28.05.2013)

Die Hexenbulle (05.12.1484)

Anhang: Verhörprotokoll
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„Montag, den 1. März 1627 ist auf vorhergehende reifliche Beratung der Fürstlich Eichstättischen weltlichen Herren Hofräte die Bürgermeisterin Ursula Bonschab auf 16 beständige und auf den Tod bestätigte Denunziationen hin wegen des Verdachts der Hexerei gefangen genommen und gleich gütlich und peinlich vernommen worden.

Was sie meine, was die Ursache sei, dass sie an diesen Ort beordert wurde?

Sie sagt, sie weiß es nicht, sie wolle es hören! Da sie nun nichts wissen wollte, so sind ihr alle Denunziationen vorgelesen und sie ist befragt worden, was sie dazu sage. Die sagt, wenn der Teufel die Leute damit bekannt geben könne,  so glaube sie es wohl, dass sie als eine Hexe angegeben worden sei, aber im Namen des Herrn, könne und wisse sie nichts davon, einmal geschehe ihr Unrecht, und Gott soll die Seele dieser Personen trösten. In Gottes Namen könne sie nichts (dazu sagen).

(…) und nachdem aber mit ihr in Güte nichts anzufangen gewesen (ist), also ist Meister Matthes gerufen und eine Leibesvisitation (auf Hexenmale) vorgenommen, aber es sind keine Stigmata (Teufelszeichen) gefunden worden. Danach wurde ihr eine lange Rede gehalten, aber weil immer noch so wenig wie vorher mit ihr anzufangen war, sondern sie mitteilt, wenn sie nun schon etwas in der Pein (Folter) bekenne, so leugne sie es doch danach wieder, also hat man sie in den Ort der Folter (Locum torturae) gebracht.

Im Folterkeller ist sie nach langer Rede zum Zug gebunden (dabei wurden der nackten Frau die Arme hinter dem Rücken gefesselt und sie daran hochgezogen), die sagt, ja nun man könne sie noch so hart peinigen, damit sie es sagen müsste, sie wolle darum doch kein falsches Bekenntnis ablegen. Und nach solcher ihrer Halsstarrigkeit wurde sie nun ein wenig gerüttelt, über sich gezogen und befragt, ob sie in der Ehe oder schon im ledigen Stand in das höchst verdammte Laster gekommen sei.

(nach einem ersten Bekenntnis in der Folter)  … hat sie angefangen, es sei nicht wahr, was sie gesagt habe, das sei aus Schmerzen geschehen. Deswegen wurde sie zum Schrecken (pro Terrore) in die Folterkammer geführt und zum Zug gebunden, sie sagt, man solle sie nur hier drinnen lassen, sie wolle ihr Leben gern hingeben! Vom Stock (in den sie offenbar eingeschlossen war) ein wenig über sich gezogen (…)

Mittwoch den 3. März ist die Bonschabin vorgeführt  und befragt worden. Die sagt, sie könne nichts sagen und wisse nichts, deswegen wurde sie gefesselt und mit Ruten gepeitscht, ohne ein Bekenntnis (tacite) und ihr nochmals die Beinschrauben angelegt – aber ohne Ergebnis.

Freitag den 5. März wurde sie in Güte hervorgerufen aber es war mit ihr nicht fruchtbares anzufangen, also ist sie an den Folterort geführt worden. Am Folterort ist abermals lange und viel zugesprochen worden und sie am Ende zum Zug und zum Helmschneiden (dabei wurden Schnüre um den Kopf gebunden und so stark zusammengezogen, dass sie ins Fleisch schnitten, tiefe Wunden und Schmerzen verursachten) gefesselt. Sie wurde über sich gezogen und Helmgeschnitten, aber ohne Frucht (…)

Sie wurde abermals zum Verhör gefordert und befragt, wie lange es her sei, dass sie in dieses Laster gekommen ist. Die sagt, sie wolle ihre Seele nicht freiwillig verdammen, denn so wahr Gott gerecht sei, so könne sie nichts bekennen. Deswegen ist sie zum Schrecken in das Gewölbe geführt, zum Zug gebunden und das Gewicht angehängt worden (durch Gewichte wurden beim Hochziehen zusätzlich starke Schmerzen verursacht).

Montag, den 8. März ist die Bonschabin wieder hervorgerufen worden. Die bleibt bei ihrer Halsstarrigkeit und teilt mit, sie könne nichts bekennen, sondern diejenigen Personen, die sie angegeben haben, die haben es aus Neid getan. Deswegen wurde M. Matthes gerufen und sie zum Terror hinunter geführt, zum Rückensägen (Bugglsegen) gefesselt worden. Sie will nicht heraus mit der Sprache, deswegen abgeführt und verwahrt (…)

9. März  (…)  ist zum Folterort geführt und ihr nochmals stark zugeredet worden.

(…) Nach vergeblichem Zusprechen ist sie zum Zug gebunden, über sich gezogen und sind etwa drei bis vier Hasensprünge mit ihr gemacht worden und endlich das Helmschneiden mit Anhängung des Gewichts (…)“  (bei „Hasensprüngen“ wurde die an den Armen hochgezogene Frau mit Schwung bis kurz vor dem Boden herabgelassen und wieder hochgezogen, sodass besonders starke Schmerzen entstanden und die Arme ausgekugelt wurden).
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(Auszug aus den „Abschriften  von Eichstädter Original-Hexen-Protokollen, Gesammelt und geschrieben von Joseph Brems, Herzoglich Leuchtenbergischer Hauptkaßier in  Eichstädt 1840“, im Stadtarchiv Eichstätt. Transskript und Anmerkungen: Wolfram P. Kastner)

Nach 20 Tagen brutaler Folter und Kerker war die selbstbewusste Frau zerbrochen und gestand alles, was ihr vorgesagt wurde: Wetterzauber, Kinderausgraben, Coitus mit dem „bösen Feind“, Schadzauber mit Pulver und Salben an Menschen und Tieren und nennt unter Folterandrohung 34 „Gespielen“, an denen sich die fürstbischöflichen Commissare in der Folge vergingen.

Ursula Bonschab wurde am 8. Mai 1627 „von Rechts wegen“ und von Gnaden des Fürstbischofs Westerstetten mit dem Schwert der Kopf angeschlagen und sie anschließend verbrannt. Ihr beträchtliches Vermögen vom Fürstbischof, seinen Terrorkommissaren, Foltermeister und Henkern geraubt.