Der von dem studierten Historiker Vojin Saša Vukadinović herausgegebene Sammelband "Freiheit ist keine Metapher. Antisemitismus, Migration, Rassismus, Religionskritik" enthält fast 40 Texte, welche die kulturrelativistischen Aussagen und Konzepte aus der postmodernen Linken kritisieren. Auch wenn die Beiträge in Kombination miteinander etwas durcheinander und unstrukturiert wirken, verdienen sie aufgrund ihrer Kritik der antiindividualistischen "Identitätspolitik" große Aufmerksamkeit und brechen damit womöglich ein linkes Tabu.
"Der Genderfeminismus, der Antirassismus und der Queerfeminismus sind", so heißt es gleich zu Beginn, "Karikaturen geschlechter-, migrations- und sexualpolitischer Emanzipationsregungen" (S. 9). Dies steht so in der Einführung eines Sammelbandes, der von dem studierten Historiker Vojin Saša Vukadinović mit dem Titel "Freiheit ist keine Metapher. Antisemitismus, Migration, Rassismus, Religionskritik" herausgegeben wurde. Die zitierte Aussage irritiert zunächst. Worum geht es bei dem Projekt? Die meisten Autoren blicken kritisch auf eine postmoderne Linke, die aus falsch verstandenem Antirassismus den Antisemitismus gegen Israel, die Frauenfeindlichkeit unter Muslimen oder die Gefahren des Islamismus leugnet, relativiert oder verharmlost. Dies geschieht in 38 Beiträgen, die in Form und Inhalt ganz verschieden sind. Neben Erfahrungsberichten von Migranten stehen Reflexionen von Publizisten. An dezidiert wissenschaftlichen Aufsätzen mangelt es, gleichwohl bewegen sich viele Beiträge auf hohem Niveau.
Zwar wurden die Beiträge größeren Kapiteln zugeordnet, indessen passen mit Ausnahmen die Inhalte dann doch nicht immer zusammen. Um einen Eindruck von der Linie des Sammelbandes zu erhalten, sollen daher hier einige Überschriften und Zitate präsentiert werden: Gleich am Beginn geht es um "Der Iran und der Kulturrelativismus", wo Kazem Moussavi von der Green Party of Iran die Ignoranz gegenüber den Taten des dortigen islamistischen Regimes auch und gerade von Linken beklagt. Die Politikwissenschaftlerin Lisa Bertel und der Publizist Oliver Vrankovic blicken auf die Kommentierung des Nahost-Konflikts, wo sich Feministinnen dezidiert antizionistisch gegen Israel geben, aber zur Frauenunterdrückung der Hamas schweigen. Die Hochschullehrerin Annette Seidel-Arpact geht den antisemitischen Konspirationsvorstellungen in der Hip-Hop-Kultur nach, wobei diesbezügliche Aussagen meist von Musikern mit einem Migrationshintergrund vorgetragen werden und sich mit Ausnahme von Skandalen eher ein Schweigen dazu ergibt.
Besondere Aufmerksamkeit erfährt dann Judith Butler, der verschiedene Beiträge mit kritischen Inhalten gewidmet sind. Deutlich wird von ihrer "Apologie der Gewalt" (S. 170) gesprochen und ihre "antizionistische Radikalisierung" (S. 214) problematisiert. Danach geht es um Erscheinungsformen des Kulturrelativismus, so schreibt etwa die Publizistin Judith Sevinç Basad: "Selbstmordattentate sind nicht die einzige Grausamkeit, für die die Gender Studies Verständnis aufbringen. Auch die Genitalverstümmelung wird von manchen Akademikerinnen als zu beschützendes Kulturgut verstanden, das von der kulturellen Hegemonie des Westens bedroht wird" (S. 267). Die Soziologiestudentin Hannah Kassimi widmet sich danach dem "linken Hass auf migrantisch-feministische Individuen" (S. 314), würden doch Frauen wie Mina Ahadi, Ayaan Hirsi Ali oder Necla Kelek aufgrund ihrer frauenrechtlichen Positionen geschmäht, kritisierten sie doch eben auch frauenfeindliche Denkungsarten und Praktiken im Islam und unter Muslimen.
Der Jurist Emrah Erken macht darauf aufmerksam, dass das Kopftuch weder vom Islam vorgeschrieben noch ein neutrales Kleidungsstück sei: "Es ist auch ein politisches Symbol des politischen Islam …" (S. 371). Immer wieder wird auch die Identitätspolitik der Linken kritisch angesprochen, läuft sie doch auf einen antiindividualistischen Kollektivismus hinaus. Nur wenige Autoren sehen darin aber Gemeinsamkeiten mit der Rechten. Ali Utlu, ein ehemaliger Politiker der Piratenpartei, schreibt: "Denn dass sich Linke mittlerweile so sehr auf Fragen der 'kulturellen Identität' konzentrieren, die sie selbst in ihren repressiven Ausprägungen beschützen möchten, ist ein deutliches Indiz für die vorangeschrittene Reise von einem politischen Ende zum anderen" (S. 437). Genau der damit einhergehende Kultur- und Menschenrechtsrelativismus ist das Problem. Insofern ist diese Kritik an der postmodernen Linken mehr als nur begrüßenswert. Alles im Sammelband wirkt ein wenig durcheinander und unsortiert. Aber angesichts dieser Botschaft verdient er besonderes Interesse.
3 Kommentare
Kommentare
A.S. am Permanenter Link
Übertreibung ist eine gängige Methode, etwas der Lächerlichkeit preiszugeben.
So macht z.B. der Genderismus die weibliche Emanzipation lächerlich.
So macht z.B. der Menschenrechtsrelativismus die Menschenrechte lächerlich.
Ob da System hintersteckt?
struppi am Permanenter Link
Also ich habe mir noch die Kritiken bei Amazon durchgelesen und mir scheint es, es ist einfach eines dieser typischen "wer hat mehr Recht"-Bücher/Essay, unter dem der heutige Journalismus und Soziologie/Poli
Meiner Ansicht nach sollte gerade die Wissenschaft, auch versuchen alle Seiten einer unterschiedlichen Sichtweise zu analysieren und zu verstehen. Anstatt zu versuchen herauszufinden, wo eine Lösung der Konflikte zu finden wäre, versucht ein grosser Teil der Sozial- und Politwissenschaft einfach die eigene Meinung als die bessere darzustellen. Solche Sammelbände sind dann die Grundlage, um diese Konflikte weiter zu schüren und zu pflegen, weil damit der theoretische Unterbau aufgebaut wird.
Das zeigt sich dann auch in diesem Artikel genannten Beispiele, die alle eine verkürzte Darstellung komplexer Situationen mit einer als von vorneherein richtigen Position zeigen.
Beispielsweise die These von Kazem Moussavi, wo "die Ignoranz gegenüber den Taten des dortigen islamistischen Regimes auch und gerade von Linken beklagt" wird. Das ist genau dieses Meinungsdestillitat mit der man eine eigene moralische "bessere" Position erbaut, in dem eine Gegenposition so verkürzt wird, dass sie nicht mehr das ausdrückt was sie meint, sondern das was sich moralisch kritisieren läßt.
Worum es eigentlich geht erkennt man dann an der Verknüpfung mit der Kritik an der Politik von Israel und der Politik der Hamas.
Wir befinden uns also im Nahostkonflikt. Und in dem Bild, dass uns von einer breiten Meinungsfront seit Jahren eingebleut wird. Die Guten gegen die Bösen und es ist klar, auf welcher Seite wir am Ende stehen müssen. Wir die Guten sind die Staaten die nicht mit Kriegen überzogen werden oder deren Infrastruktur zerbombt wird. Glück gehabt.
Es ist also ein Buch, dass eine vermeintlich linke Meinung auf eine Weltpolitische Auseinandersetzung aufbauen möchte, die die eigentlichen Konflikte weiter schürt und die richtige Seite aufzeigen soll. Es ist zum verzweifeln das die Krieger es geschafft haben diesen als religiösen Disput darzustellen und damit moralisch viel einfacher bewerten läßt.
Es gibt kaum noch Menschen oder Wissenschaftler die thematisieren, dass eine PLO oder auch die iranische Opposition sozialistisch oder gar kommunistisch waren. Überhaupt gab es damals in grossen Teilen der arabischen Welt mehr Interesse an einer linken, säkularen Politik als an radikalreligiösen Gesellschaften. In Zeiten des kalten Krieges war der Westen nicht an so einer Politik interessiert und hat konservative Oppositionskräfte stark gemacht. Und jetzt streitet sich "die Linke" darüber wie man mit dieser, von den Kriegstreibern erschaffenen, "Opposition" umgeht.
Dabei sollte klar sein, kein Linker ignoriert das iranische Regime oder unterstützt eine radikal konservative Hamaspolitik. Die Kritik richtet sich in erster Linie an "unserer" Politik, als Teil des westlichen Militärbündnis, das die aktuellen Kriege fordert und fördert. Das Problem ist, dass die linke Opposition vor Ort auch "Dank" der westlichen Politik kaum noch Einfluss haben, bzw. im Augenblick auch gezielt zerstört wird, wo sie etwas zu sagen hat. Und mit solchen Büchern wird der theoretische Unterbau für diesen Status Quo geschaffen und hilft weder den Konflikt im nahen Osten zu lösen, noch eine Position zu vermitteln die aus der Sicht der Mitteleuropäischne Politik vertretbar wäre.
Und wer solche Bücher genau liest und versucht herauszukritallieren was der Kern der Sache ist, dürfte verwundert sein, warum sich überhaupt so heftig gestritten wird. Eigentlich wollen alle das Gleiche. Unvorstellbar das jemand einmal versuchen würde diese gemeinsame Position zu formulieren.
Ju am Permanenter Link
Interessanter Sammelband, da wir ja in einer Zeit leben, in der die angesprochenen Themen Grund genug sind, um jemanden aus der Universität zu mobben. So geschehen mit mir an der FAU Erlangen-Nürnberg.
Geschrieben werden "Diskursanalysen der Kopftuchdebatte". Die Leute merken selbst nicht mehr, wie implizit rassistisch sie aus einer vermeintlich hehren Moral sind, wenn sie im Kontext Islam und migrantischen Rassismus stets abwiegeln und relativieren. Es wäre eigentlich lustig, wäre es nicht eine so unfassbar traurige und harte Realität. Durch die Patronagebeziehungen, die ihre Bindungskraft aus politischen - eher: hypermoralischen und philorassistischen - Meinungen beziehen, wird sich dies mit der nächsten Generation an Professoren - ach halt die gibt es ja nicht mehr -, bzw. eher: unqualifizierten und unbelesenen wissenschaftlichen Mitarbeitern noch verschärfen.
Wenn der Multikulturalismus mit dem Ethnopluralismus nahezu identisch ist, wenn man als nun Ex-Linker mit der individualistischen Philosophie von Ayn Rand gegen rassistischen Kulturrelativismus argumentieren kann, was bedeuten dann noch die gängigen politischen Kategorien?
"lichtung
manche meinen
lechts und rinks
kann man nicht velwechsern
werch ein illtum - Ernst Jandl"
Die Kritik eines spezifischen Systems aus Werten und Normen, also einer Religion, kann per Definition kein Rassismus sein. Sie ist Aufklärung. Im 21. Jahrhundert sind solche Basisbanalitäten der Höhepunkt der Sozialphilosophie. Dies spiegelt den Stand der Kultur. Nietzsche hatte recht: Mitleid meint Selbsterhöhung. Daher auch die verzweifelte Konstruktion von - hierdurch zwangskollektivierten - Unterprivilegierten, innerhalb der absteigenden westlichen Gesellschaft. Sie dient letztlich der Befriedigung des eigenen, beschädigten Narzissmus. Gleichzeitig - so paradox das sein mag - ist die Suche nach dem edlen Wilden Ausdruck des westlichen Selbsthasses. Liegt in diesem unbewussten Konflikt der Grund für die manifesten Neurosen so vieler Sozialwissenschaftler? Das Über-Ich wütet gegen das Ich. Die umsichgreifende Diversität karikiert die moralinsauren Bedürfnisse der Mittelschicht. Anfangs war ich schockiert, als ich hörte, dass Trump den Geisteswissenschaften die Gelder streichen möchte. Im Laufe der letzten 2 Jahre fing ich an, damit zu sympathisieren. Die Zustände an amerikanischen Universitäten sind wohl ein Ausblick auf das, was uns in Deutschland erwartet. Dieser Sammelband, selbst vor der Lektüre, gibt desillusionierten Humanwissenschaftlern zumindest die Hoffnung, dass das Linkskartell und die Kulturhorden nicht gewonnen haben.